Skip to main content

Full text of "Die öffentliche Gesundheitspflege Wiesbadens: Von der Stadt Wiesbaden ..."

See other formats


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world's books discoverable online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover. 

Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 

We also ask that you: 

+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 

About Google Book Search 

Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web 



at |http : //books . google . com/ 




über dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nutzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 



Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen. 













HARVARD COLLEGE 
LIBRARY 


FROM THE UBRARY OF 

DR. ALBERT SÜDEKUM 

of ZcMendorf, Gcmmny 

The Gift of 

EDWARD A. FILENE 

of Boston 

1924 









J- i]b:hv-r Virein für öffentliche ücsiindhejbüpflege 



Die öffentliche ^- - 
csundheitspflege 
-^^ Wiesbadens 



Von der Stadt WitryhvKXn dH-tht^^eriC 

Festschrift 



!M AUFTRAGE DES MACni-.lRATS 
horausgecebc:; von 

Dr. H. RAHLSON 

^-vr ,^<. ::t;*- ■■-'•^vn Amts der Stadt WiestaJe.i 



t«=>^<-x4- 



WlL'SliADKN 

Ve r 1 a g von J. F. B o r ß m i ^ n 

1908 



^3*. ; ; -■»>ii3fl^*?Ä^-«*«!».- -y . 




■-.r:%-. 



-/ / 



Ji-r< ■" 






i»<1 «►il'i ..« 



'1> ^^:ir^Jt: 



V ^ 1' 



Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege 

33. VERSAMMLUNG • WIESBADEN 1908 



O 



Die öffentliche ^ 
Gesundheitspflege 
^^^ Wiesbadens 



Von der Stadt Wiesbaden dargebotene 

Festschrift 



IM AUFTRAGE DES MAGISTRATS 
herausg,egeben von 

Dr. h!'RAH'lSON 

Leiter des Statistischen Amts der Stadt Wiesbaden 



-fi—^ 



WIESBADEN 

Verlag von J. F. Bergmann 

1908 






HARVARD C0LL€6E LIBRUffV 

FROM THE SUDEKUM LIBRARY 

GIFT OF EDWARD A. FILENE 

JULY 30, 1924 



DRUCK von CARL RITTER, O. m. b. H. 
WIESBADEN. 



Inhalt. 



Seite 

A. Wissenschaftliche Anstalten. 

1. Königliche Medizinal-Untersuchungsstelle 1 

2. Chemisches Laboratorium Fresenius 3 

3. Statistisches Amt der Stadt 5 

B. Die Wasserversorgung, von Direktor Halbertsma und Oberingenieur 
Spieser 6 

C. Beseitigung der Abfallstoffe. 

1. Die Kanalisation, von Oberingenieur Frensch 42 

2. Die Müllbeseitigung. 

I. Die Müllabfuhr, von Stadtbauinspektor Scheuermann . . 65 
IL Kehrichtverbrennungsanstalt, von Stadtbauinspektor Berlit. 66 

D. Anlage und Pflege der Strassen, von Stadtbauinspektor Scheuer- 
mann 74 

E. Bebauungsplan und Bauordnung, von Stadtvermessungsinspektor Born- 
hofen 95 

F. Badewesen. 

1. Volksbadeanstalten, von Stadtbauinspektor Berlit 103 

2. Heilbäder, von Oberingenieur Frensch 108 

G. Einrichtungen für Fürsorgebedürftige, zusammengestellt von Sanitätsrat 
Dr. Friedr. Cuntz. 

1. Fürsorge für Kinder. 

I. Fürsorge für Säuglinge und noch nicht schulpflichtige Kinder 114 
IL Für schulpflichtige Kinder 117 

2. Fürsorge für Kranke. 

I. Krankenanstalten 126 

IL Fürsorge für Gebärende 140 

III. Die Gesundheitskommission 141 

IV. Heil- und Pflegepersonal und Arzneiversorgung 142 

V. Sanitätswache 143 

VI. Fürsorge für Irre, Idioten, Epileptische, Taubstumme und 

Blinde 145 

3. Fürsorge für Arme und Invalide 146 

4. Fürsorge für Gefangene 148 



IV Inhalt. 

Seite 
H. Verhütungs- und Desinfektionswesen. 

1. Die städtische Schlacht- und Viehhof anläge, von Direktor Thon 149 

2. Überwachung des Nahrungsmittelverkehrs 152 

3. Impfwesen 153 

4. Überwachung der Prostitution 154 

5. Bestattungswesen und Friedhöfe 154 

6. öffentliches Desinfektionswesen und die Desinfektionsanstalt, von 
Oberingenieur Frensch 157 

7. Infektionsspital, von Stadtbauinspektor Grün 161 

J. Bevölkerungsverhältnisse, von Dr. Rahiso n 163 

K. Wohnungsverhältnisse, von Dr. Rahiso n 173 



A. Wissenschaftliche Anstalten. 



I. Königliche Medizinaluntersuchungsstelle. 

Leiter: Professor Dr. med. G. Frank. 



In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts war die preussische 
Regierung in grösserer Ausdehnung als bisher die Fortschritte der 
Bakterienkunde für die Erkennung und Bekämpfung der übertrag- 
baren Krankheiten nutzbar zu machen bestrebt, und durch den Erlass 
des Gesetzes betreffend die Dienststellung des Kreisarztes und die 
Bildung von Gesundheitskommissionen vom 16, 9. 1899, sowie das 
Reichsgesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank- 
heiten vom 30. 6. 1900 wurden die Aufgaben und die Initiative djes 
Kreisarztes erheblich erweitert; durch § 37 der Dienstanweisung für 
die Kreisärzte vom 23. 3. Ol wurde den Kreisärzten die Verpflichtung 
auferlegt, einfache physikalische, chemische, mikroskopische und 
bakteriologische Untersuchungen selbst auszuführen. Es stellte sich 
jedoch bald heraus, dass die überwiegende Mehrzahl der Kreisärzte 
nicht die Zeit fand, um sich diesen neuen Aufgaben in einwands- 
freier Weise widmen zu können. Infolgedessen sah sich die Regierung 
veranlasst, den Gedanken der Ausstattung aller Kreisärzte mit 
bakteriologischen Geräten aufzugeben und statt dessen zur Bildung 
grösserer Laboratorien zu schreiten. 

So entstand zugleich mit 14 Schwesterstellen die bakteriologische 
Untersuchungsstelle in Wiesbaden. Sie führt jetzt die Bezeichnung 
Kgl. Medizinaluntersuchungsstelle, deren es jetzt im preussischen 
Staate 7 gibt (bei den Regierungen in Breslau, Bromberg, Marien- 
werder, Osnabrück, Sigmaringen, Trier und Wiesbaden). Sie ist 
einem Kreisassistenzarzt unterstellt und hat einen gegen Taglohn 
angestellten Diener. 

Der Wirkungskreis erstreckt sich über den Regierungsbezirk 
Wiesbaden. 

1 



2 Königliche Medizinaluntersuchungsstelle. 

Zur Erleichterung der Untersuchungen hat der preussische 
Staat eine Einrichtung getroflfen, derzufolge Gefässe zur Entnahme 
und Einsendung von Untersuchungsmaterial nach besonderem Muster 
durch den Herrn Minister in allen Apotheken des Landes nieder- 
gelegt worden sind, von denen sie den beamteten und nicht beamteten 
Ärzten kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise 
sind jetzt sämtliche Arzte in der Lage, bakteriologische Unter- 
suchungen bei Aussatz, Cholera, Diphtherie, Genickstarre, Milzbrand, 
Pest, Rotz, Rückfallfieber, Ruhr, Tripper, Tuberkulose und Typhus 
ohne Kosten ausgeführt zu sehen. Welche Erleichterung dadurch 
die Stellung der Diagnose und die Bekämpfung der übertragbaren 
Krankheiten erfährt, liegt auf der Hand. Die Leiter der staatlichen 
und sonstigen Untersuchungsanstalten sind angewiesen, die von ihnen 
im Interesse der Seuchenbekämpfung verlangten bakteriologischen 
Untersuchungen mit tunlichster Beschleunigung auszuführen und das 
Ergebnis derselben in jedem Falle dem Einsender, bei positivem 
Ausfall der Untersuchung aber auch dem beamteten Arzt mitzuteilen. 

Im Jahre 1905 wurden 531 Untersuchungen ausgeführt, wovon 
133 auf den Stadtkreis Wiesbaden entfielen; im Jahre 1906 waren 
es 705 bezw. 195 und im Jahre 1907 745 bezw. 28^J. 

(Nach Kirchner: „Die preussischen Medizinaluntersuchungsämter" in 
„Medizinische Anstalten auf dem Gebiete der Volksgesundheitspflege in Preussen". 
Jena 1907.) 



Chemisches Laboratorium Fresenius. 



2. Chemisches Laboratorium Fresenius. 

Direktoren: Geh. Regierungsrat Prof. Dr. H. Fresenius, 
Prof. Dr. W. Fresenius, Prof. Dr. E. Hintz. 



Das chemische Laboratorium Fresenius zu Wiesbaden ist eine 
vom Staat unterstützte Privatanstalt. Sie zerfällt in ein akademisches 
Unterrichts- und ein Untersuchungslaboratorium. Von einer Abteilung 
dieses letzteren wird die Nahrungsmittelkontrolle ausgeübt. Mit der 
Anstalt sind verbunden eine von einem Spezialisten geleitete bakterio- 
logische Abteilung und als selbständige Anstalt die unter Leitung 
von H. Fresenius stehende agrikulturchemische Versuchsstation 
der Landwirtschaftskammer für den Regierungsbezirk Wiesbaden. 
Die Anstalt hat die Berechtigung zur praktischen Ausbildung von 
Nahrungsmittelchemikem für die Hauptprtifung (gemäß § 16 der 
Prüfungsvorschriffcen vom 22. Februar 1894). 

Ausser den drei Direktoren, die gleichzeitig Inhaber der Anstalt, 
sind am Laboratorium tätig 5 Abteilungsvorsteher und Dozenten, 
25 Assistenten, darunter 3 geprüfte Nahrungsmittelchemiker, 4 Bureau- 
beamte, 1 Hausmeister, 4 Diener. 

Die Anstalt beschäftigt sich mit Analysen auf technischem 
Gebiete, namentlich Schiedsanalysen von Erzen und Metallen, mit 
Analysen von chemischen Produkten aller Art, mit Nahrungs- 
mittelanalysen, mit der Erstattung von Gutachten verschiedener 
Art, mit der Untersuchung von Mineralwassem, mit chemischen und 
bakteriologischen Untersuchungen für das Wasserwerk der Stadt 
Wiesbaden, mit der Ausführung von Weinanalysen für die Keller- 
kontrolle im Regierungsbezirk Wiesbaden, mit Untersuchungen und 
Erstattung von Gutachten für die Zoll- und Steuerbehörden, sowie 
für die Gerichte. Die landwirtschaftliche Versuchsstation beschäftigt 
sich vorwiegend mit Dünge- und Futtermittelkontrolle. Die Inhaber 
des Laboratoriums Fresenius geben die „Zeitschrift für analytische 
Chemie** heraus. Namentlich in dieser, aber auch in anderen Zeit- 
schriften erscheinen die Veröffentlichungen der Leiter des Laboratoriums, 
der Abteilungsvorsteher sowie der Assistenten der Anstalt. 

Die für die Durchführung des Nahrungsmittelgesetzes 
erforderlichen chemischen Untersuchungen sind dem Laboratorium 
Fresenius von der Königlichen Polizei -Direktion in Wiesbaden 



4 Chemisches Laboratorium Fresenius. 

übertragen. In der Zeit vom 1. April 1907 bis 31. März 1908 wurden 
auf hygienischem Gebiet, ausschliesslich der viel zahlreicheren 
anderen Analysen, etwa folgende Untersuchungen ausgeführt: 

Im Auftrage von Behörden: 
Wasserwerk der Stadt Wiesbaden: 

Chemische Untersuchungen 198 

Bakteriologische Untersuchungen 591 

Städtisches Kanalbauamt, Wiesbaden: 

Chemische und bakteriologische Untersuchungen von 
Thermalwassem 40 

Bach- und Kanalwasser: 

a) chemisch 35 

b) bakteriologisch 20 

Königliche Polizei-Direktion, Wiesbaden: 

Milchproben 160 

(davon beanstandet 8) 
Nahrungs- und Genussmittel verschiedener Art, Butter, 
Gewürze, Fleisch und Fleischwaren, Fruchtsäfte etc. 157 

Für Private: 

Weinproben 267 

Milchproben 12 

(davon beanstandet 1) 

Medizinische Untersuchungen 130 

Ausführliche Analysen von Mineralquellen 10 — 12 

Eine grössere Anzahl von Trinkwasseruntersuchungen. 



Statistisches Amt der Stadt. 



Statistisches Amt der Stadt. 

Leiter: Dr. Rahlson. 



Der Geschäftskreis des am 1. Januar 1907 provisorisch und am 
1. April 1907 endgültig in Tätigkeit getretenen Statistischen Amts 
der Stadt Wiesbaden umfasst ähnlich den anderen deutschen kommunal- 
statistischen Ämtern das gesamte Gebiet der städtischen Verwaltung, 
die Bevölkerungsentwicklung, Grundbesitzwechsel, Bau- 
tätigkeit, Wohnungsmarkt, Thermalbäder u. a. m. Die Durch- 
führung der Volks-, Berufs-, Gewerbe- und Viehzählungen liegt dem 
Amte ob, ebenso die Beantwortung der bei der Stadtverwaltung ein- 
gehenden Fragebogen. Zur Veröffentlichung seiner Arbeiten besitzt 
das Amt vier Organe, nämlich: 

1 . Statistische Monatsberichte (mit Stadtplan) folgenden Inhalts : 
Bevölkerung, Krankenbewegung in den grösseren Anistalten, 
Bestattungswesen, Städtische Desinfektionsanstalt, 
Städtisches Badewesen, Feuerwehr und Sanitätswache, 
Städtisches Leihhaus, Sparkassen, Arbeitsnachweis, Rechtsauskunftsstelle, 
Arbeiterversicherung, Städtisches Armen-Arbeitshaus, Städtische Arbeiter- 
schaft, Lebensmittelpreise, Lebensmittel- Verbrauch, Säuglingsmilch- 
anstalt, Vieh- und Schlachthof, Verkehr, Stadt. Licht- und 
Wasserwerke, Grundbesitz -Wechsel, Bautätigkeit, Witterungs- 
verhältnisse. 

2. Beiträge zur Wiesbadener Statistik. 

3. Mitteilungen des Statistischen Amts der Stadt. 

4. Statistischer Jahresbericht der Stadt Wiesbaden. 
Schriftenaustausch mit 275 in- und ausländischen Behörden, 

Ämtern, Vereinen und dergl. mehr. 

Das ständige Bureaupersonal besteht aus einem Bureauvorsteher, 
drei Hilfsarbeitern und zwei Hilfsarbeiterinnen. 



B. Die Wasserversorgung. 

Von Direktor Halbertsma und Oberingenieur Spieser. 



I. Geschiehtliehe Entwickelang. 

Wiesbaden erfreut sich bereits seit dem Jahre 1870 einer zentralen 
Wasserversorgung mit Hausanschltissen. Vorher waren seine Ein- 
wohner auf Pumpbrunnen und öffentliche Brunnen angewiesen. Von 
den letzteren waren schon im Jahr 1821 14 Stück vorhanden. Sie 
bezogen ihr Wasser mittels eiserner Leitungen aus einer gemeinschaft- 
lichen, im Taunus unterhalb der Platte gelegenen Quellfassung, dem 
Kisselborn. Wiesbaden hatte damals etwa 8000 Einwohner. Drei 
weitere Bezugsquellen, die Hollerbom-, Holzbom- und Faulweidenbom- 
Leitung waren bis zum Jahre 1859 mit dem Anwachsen der Stadt 
hinzugekonunen. Sie speisten zusammen mit dem Kisselborn bis zur 
Eröffnung der zentralen Wasserleitung 33 in der Stadt verteilte Lauf- 
brunnen und lieferten im Sommer nicht mehr als 700 cbm täglich — 
eine bescheidene Menge flir eine Stadt von 30000 Einwohnern^). 

Für die allgemeine Versorgung suchte man das Wasser natur- 
gemäß zuerst in Gegenden, von denen aus es der Stadt ohne künstliche 
Hebung zugeleitet werden konnte, d. h. im Taunus. Dort war von 
den benachbarten, genügend hoch liegenden Tälchen das zwischen 
der „Fasanerie" und der „eisernen Hand" sich erstreckende das 
wasserreichste. Daselbst wurde in den Jahren 1864 bis 1868 die 
erste der zur Zeit noch benutzten Quellfassungen, die sogenannte 
Sickergalerie Pfaffenborn angelegt. Sie lieferte im Jahr 1870 
eine mittlere tägliche Sommerwassermenge von 2300 cbm. Obgleich 
im Jahr 1873 durch eine zweite Sickergalerie im Adamstale weitere 
400 Tages-Kubikmeter durchschnittlich erschlossen wurden, trat im 
besonders trockenen Jahr 1874 Wassermangel ein und drängte zum 
energischen Aufschluss neuer Bezugsquellen. Die Wassergewinnung 
wurde alsdann auf das obere Nerotal ausgedehnt, woselbst die 



1) Das sind nur 23 Liter oder etwa 2 Eimer pro Kopf. 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 7 

Sickergalerie Alter Weiher und drei kurze, flachliegende 
Stollen — Wiesen-, Wilhelm- und Bergstollen — entstanden. 
Gleichzeitig wurde der Münzbergstollen in Angriff genommen, 
welcher nach seiner Vollendung im Jahre 1888 fast zwei Jahrzehnte 
hindurch unter den Bezugsquellen sowohl wegen der grossartigen 
Anlage als auch der Ergiebigkeit die erste Stelle einnahm und für 
die späteren Tiefstollenbauten vorbildlich wurde ^). 

Aber Wiesbadens Bevölkerung und der Wasserbedarf auf die 
Bevölkerungseinheit nahmen rasch zu. Auch wuchs die Stadt an 
den Bergabhängen hinauf. Schon im Jahr 1893 stand die Wasser- 
frage wiederum im Vordergrund. Ihre endgültige Lösung konnte — 
das erkannte man bereits — nicht im Taunus gefunden werden, doch 
war dort vorläufig nicht allzuweit von Wiesbaden entfernt noch Wasser 
bester Beschaffenheit in erheblicher Menge erschürfbar. Da zudem 
die Verhältnisse für die Beschaffung grosser Mengen einwandsfreien 
Grundwassers nicht besonders günstig lagen, blieb man zunächst im 
Gebirge bei dem durch den Münzbergstollen so gut bewährten System 
und begann im Jahre 1896 den Schläferskopfstollen tief unter 
der vorerwähnten Sickergalerie Pfaffenborn vorzutreiben. Während 
diese Arbeiten noch im Gang waren, nahm man femer im Jahr 1899 
nördlich von Rambach den Kellerskopfs tollen in Angriff und 
entschloss sich gleichzeitig zur Anlage einer Hochzone für die hoch- 
gelegenen Stadtteile zwecks Verbesserung der dortigen Druck- 
verhältnisse und zwecks Aufschlusses neuer Baugebiete, sowie zur 
getrennten Versorgung, d. h. zur Anlage einer Nutzwasserleitung 
mit einem Grundwasserwerk in der Nähe des Rheins bei 
Schierstein. Man ging dabei von der Annahme aus, dass nach 
Durchführung dieser auf Grund eines grosszügigen Entwurfs auf- 
gestellten Pläne, wofür ein generelles Enteignungsrecht erworben 
wurde, das vorzügliche Taunuswasser für lange Zeiten als Trinkwasser 
ausreichen werde. Leider mussten im Schläferskopfstollen die Bau- 
arbeiten am 1. Januar 1901 vorzeitig eingestellt und die Ausführung 
der 1400 m langen Reststrecke verschoben werden, da Wasseimangel 
eintrat und das bereits erschürfte Wasser benötigt wurde. Bald darauf, 
im Sommer 1901, wurde noch ein vierter Tiefstollen, der Kreuz- 
stollen begonnen. Unterdessen waren auch die Bauten der Nutz- 



1) Die Wasserversorgung der Stadt Wiesbaden wurde im Jahr 1887 von 
Direktor Winter eingehend beschrieben in der Festschrift zur sechzigsten 
Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte. 



8 Haiberts ma und Spieser, Wasserversorgung. 

Wasserleitung so gefördert worden, dass letztere im Jahr 1901 in 
Betrieb genommen werden konnte. 

Trotz dieser Maßregeln und obgleich ausserdem im Jahr 1898 
die aus dem Kalk des Taunusvorlandes entspringende Römerquelle ^) 
mit einer Ergiebigkeit von etwa 1200 Tages-Kubikmetern für die 
Trinkwasserversorgung nutzbar gemacht worden war, drohte immer 
noch das Gespenst des Wassermangels, solange der Kreuz- und der 
Kellerskopfstollen unvollendet waren. In dieser Bedrängnis wurde 
im Jahr 1901 die Erbauung eines Ozonwerkes beschlossen, welchem 
die Aufgabe zufiel, das in Schierstein für Nutzzwecke erbohrte Brunnen- 
wasser, welches von chemischem Standpunkte aus einwandsfrei aber 
anscheinend im Keimgehalt veränderlich war, durch Sterilisation flir 
Genusszwecke brauchbar zu machen. Das Werk wurde im Sommer 1 902 
dem Betrieb übergeben, versagte aber zunächst infolge des Eisen- 
gehaltes des ihm zugeführten Brunnenwassers. 

Ausgedehnte, in den Jahren 1902 und 1903 durchgeführte 
geologische und hydrologische Untersuchungen hatten die Möglichkeit 
ergeben, in Schierstein auch keimfreies und zu Trinkzwecken geeignetes 
Grundwasser in ansehnlicher Menge zu entnehmen. Hierauf fussend 
und in der Erkenntnis, dass es vor allen Dingen notwendig sei, 
genügend Zeit für die Vorarbeiten und die Errichtung eines auf 
mehrere Jahrzehnte ausreichenden Wasserwerkes zu gewinnen, baute 
man in den Jahren 1903 bis 1907 die Schiersteiner Werke für eine 
tägliche Leistungsfähigkeit von 4800 cbm Nutzwasser und 7200 cbm 
Trinkwasser aus. In dieser Zeit beugte die Wasserwerksverwaltung 
erheblichem Wassermangel dadurch vor, dass sie in dem im Bau 
begriffenen KellerskopfstoUen die geschlossen auftretenden Quellen 
ohne Störung der Bauarbeiten besonders fa«ste und in einer eisernen 
Rohrleitung aus dem Stollen und zur Stadt führte. Auch war sie 
genötigt, den Kreuzstollen im Jahr 1903 ebenfalls vorzeitig zu benutzen. 
Erst im Jahr 1907 konnte derselbe vollendet werden, nachdem ein Jahr 
zuvor der Kellerskopfstollen dem Betrieb übergeben worden war. 

Dank der Vollendung der Schiersteiner Erweiterung können in 
diesem Sommer auch im Schläferskopfstollen die Arbeiten wieder 
aufgenommen werden. Bei ihrer Beendigung — voraussichtlich im 
Jahr 1910 — wird die Stadt mit dem Vorort Bierstadt, den sie mit 
Wasser versorgt, etwa 120000 Einwohner besitzen und in Jahren 



1) Diese Quelle ist seit dem Jahr 1905 von der Trinkwasserversorgung 
ausgeschaltet und wird seitdem für die Nutzwasserversorgung in Reserve gehalten. 



'f 



H alber tsma und Spießer, Wasserversorgung. 9* 

geringer Quellenergiebigkeit täglich durchschnittlich über 14000 cbm 
und dank den Stollen verschlussen im Sommer maximal über etwa 
21 000 cbm Trinkwasser und 6000 cbm Nutzwasser verfügen. Hierdurch 
werden pro Kopf und Tag im Mittel 167 1 und im Maximum 225 1 
abgegeben werden können. Wiesbaden erscheint hiemach auf einige 
Jahre hinaus genügend versorgt und kann unterdessen hoffentlich 
die Suche nach neuen Bezugsquellen rechtzeitig mit dem Bau eines 
neuen grossen Wasserwerkes abschliessen, für welches die Vorarbeiten 
bereits eifrig betrieben worden sind. 

II. Wassergewinnang. 

a) Geologische und hydrologische Verhältnisse. 

Wiesbaden liegt im südlichen Taunusvorland etwa 6 km vom 
Kamm des Gebirges und ebensoweit vom Rheine entfernt, während 
sich der Main an seiner Mündung der Stadt bis auf 10 km nähert.. 
Der Taunus streicht ebenso wie die ihn bildenden devonischen, steil 
aufgerichteten Schichten von Südwesten nach Nordosten. Nach dem 
Rhein hin taucht das Devon unter das Tertiär und dieses wieder 
unter das Diluvium der Rheinebene unter. In der Richtung von 
Südosten nach Nordwesten findet man an der Erdoberfäche im Devon 
der Reihe nach Serizitgneisse, Phyllite, Quarzite mit Glimmersandsteinen 
und Wisperschiefer. Ostlich der hohen Wurzel, einem Taunusgipfel 
etwa 9 km westnordwestlich von Wiesbaden, tritt zwischen den 
Quarziten eine Phyllitfalte zu Tag, so dass die Quarzite, welche den 
Grad des Gebirges bilden, westlich dieses Gipfels in einem einzigen, 
östlich desselben in zwei getrennten, parallelen Zügen auftreten. Von 
den Devonschichten ist nur der Quarzit erheblich wasserdurchlässig 
und wasserführend; er bildet für das einsickernde Meteorwasser 
gleichsam einen Behälter, dessen Wände aus wenig durchlässigem 
Schiefergestein bestehen. In der Tat ist die Grenze zwischen Quarzit 
und Schiefer durch eine Kette von Quellen gekennzeichnet, die den 
Behälterüberlauf bilden und überall dort austreten, wo der Rand der 
Behälterwand eingesenkt ist. Auch sind diejenigen Taunustäler am 
wasserreichsten, welche die Quarzit -Schichten durchbrechen. Leider 
besitzen diese oben nur eine Breite von P/g bis 2 km und werden 
nach unten schmäler. 

Für die Bildung von Grundwasser und Quellen kommen aber 
im Taunus nicht nur der Quarzit und überhaupt das geschlossene 
Gestein, sondern auch die über dem Gestein lagernden Geschiebe der 



10 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 

Täler in Betracht, allerdings infolge ihrer geringen Mächtigkeit nicht 
in dem Maß wie die Quarzite. 

Infolge des eben beschriebenen geologischen Aufbaues sowie der 
.geringen Regenhöhe (in Wiesbaden knapp 600 mm, im Gebirge 
vielleicht 700 mm jährlich) ist der Taunus in Wiesbadens Umgebung 
wasserarm. Auch das Taunusvorland und die rechtsseitige Main- und 
Rheinniederung ist in Wiesbadens Nähe für die reichliche Wasser- 
versorgung einer Grossstadt nicht besonders geeignet. Wohl finden 
sich im Tertiär des Taunusvorlandes wasserführende Sande und Kiese 
sowie Kalkbänke, aber diesen Schichten fehlt zur Bildung grosser 
Grundwassermengen die genügende Ausdehnung und infolge zahlreicher 
Verwerfungen der notwendige Zusammenhang. Ausserdem ist das 
Wasser des Tertiärs sehr hart. Bedauerlicherweise sind auch die 
Diluvialschichten des Rheins in Wiesbadens Nähe nicht sehr ausgedehnt 
und von verhältnismäßig geringer Mächtigkeit. Da endlich auch für 
die Versorgung mit Talsperrenwasser die Verhältnisse ungünstig 
liegen, hätte einzig und allein die Zufuhr von künstlich filtriertem 
Rheinwasser besondere Schwierigkeiten nicht geboten. Zum Oberflächen- 
wasser wird man aber für eine Weltkurstadt aus bekannten Gründen 
nur ungern greifen, solange bessere Möglichkeiten genügenden und 
einwandsfreien Wasserbezugs ohne übermäßigen Kostenaufwand 
vorliegen. Kein Wunder, wenn unter diesen Verhältnissen Wiesbadens 
Wasserwerk nicht nur über eine Gewinnungsanlage verfügt, sondern 
seine Fangarme nach allen Seiten hin ausstreckt, kein Wunder, wenn 
es sowohl Wasser aus dem Geschiebe der Taunustälchen und dem 
Quarzitgestein als auch aus dem Tertiär des Taunusvorlandes und 
dem Diluvium des Rheins bezieht. 

b) Anlagen im Taunus. 

Zwei Arten von Quellfassungen sind in Wiesbaden heimisch 
geworden, die Sicker- oder Talgalerien und die Tiefstollen. Beide 
sind im wesentlichen kilometerlange Kanäle aus Ziegelmauerwerk mit 
offenen Stossfugen für den Wassereintritt. Die Sickergalerien — 
die älteren Anlagen — , im offenen Einschnitt hergestellt und nur 
selten begehbar, entwässern hauptsächlich das Geschiebe der Tälchen 
und Nebentälchen und ihr Hauptkanal folgt deren Sohle mit 4 bis 
14 m Überdeckung. Sie liegen ebenso wie die Tiefstollen am unteren 
Ende gerade hoch genug, um ihr Wasser der Stadt mit natürlichem 
Gefälle liefern zu können. Wo am Talabhang eine Quelle durch den 
Hauptkanal unbeeinflusst geblieben war, wurde sie besonders gefasst 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. H 

und diesem durch einen Seitenkanal zugeleitet. Von den vier Tälern, 
welche sich in Wiesbaden fächerförmig vereinigen, besitzen die drei 
westlichen in ihrem oberen Teil eine solche Sickergalerie (siehe 
Lageplan Tafel 1). Am weitesten westlich liegt die Pfaffenborn- 
galerie, in der Mitte die Sickergalerie Adamstal und östlich 
dieser die Sickergalerie Alter Weiher sowie die drei Flachstollen: 
Wiesen-, Wilhelm- und Bergstollen. Die Pfaffenborngalerie 
besitzt einen Hauptkanal von 3100m Länge und 1900 m Seitenkanäle, 
die Galerie Adamstal hat eine Ausdehnung von 1 530 m und die Galerie 
Alter Weiher einschliesslich der vorerwähnten Flachstollen eine solche 
von 2060 m. Ein Längsschnitt und mehrere Einzelheiten einer Strecke 
der Galerie „Alter Weiher" mit Wiesen- und Wilhelmstollen sind 
auf Tafel 2 dargestellt. 

Die Ergiebigkeit der Sickergalerien schwankt infolge der seichten 
Lage ausserordentlich nach Jahr und Jahreszeit. Auch erhält ihr 
Wasser bei starken Regenfällen und raschem Schneeabgange eine 
leichte Trübung, welche seine Verwendbarkeit zu Genusszwecken 
zeitweilig beeinträchtigt. 

Der Pfaffenborngalerie wurde durch den in den Jahren 1896 bis 
1900 aufgefahrenen Schläferskopfstollen mehr als zwei Drittel ihres 
Wassers entzogen. 

Die Flachstollen bilden eine Zwischenstufe beim Übergang von 
der Sickergalerie zum Tiefstollen. Man hat sie am oberen Ende einer 
jeden Sickergalerie je in einer Länge bis zu 200 m in das Schiefer- 
gestein vorgetrieben, nachdem die Erfahrung gelehrt hatte, dass das 
gefasste Wasser um so reiner und in der Menge gleichmäßiger bleibt, 
je tiefer es gefasst und je weniger die deckende Erdschicht durch 
Aufgraben verletzt wird. An den drei Flachstollen sind die Verschlüsse 
bemerkenswert, welche gestatten, bei Wasserüberschuss mehrere 
1000 cbm Trinkwasser im Stollen und in den Gesteinsspalten zurück- 
zuhalten und später nach Bedarf zu verwerten. Sie sind als Vorläufer 
der später beschriebenen Tiefstollenverschlüsse zu betrachten. 

Die Methode der Wassergewinnung durch Talgalerien musste 
derjenigen mittels Tiefstollen weichen, als man dank den Forschungen 
des Kgl. Baurats E. Winter und des verstorbenen Landesgeologen 
Koch den geologischen Aufbau des Taunus im allgemeinen und den 
Wasserreichtum, sowie die Beschaffenheit der Quarzite im besonderen 
richtig erkannt hatte. Seither gewinnt man im Taunus Trinkwasser, 
indem man durch Tiefstollen auf möglichst kurzem Weg die 



12 Halbertsma und Spieser, WaÄserversorgung. 

Quarzitzüge in möglichst grosser Tiefe zu erreichen und zu durch- 
queren sucht. 

So selbstverständlich heute dieses Prinzip angesichts der durck 
die Wiesbadener Stollen gewonnenen Aufschlüsse erscheinen mag^ 
muss dennoch die Anlage des ersten der Tiefstollen, des zunächst 
1980 m wasserarme Phyllite durchfahrenden Mtinzbergstollens- 
als ein grosses und mutiges Unternehmen betrachtet werden, galt es doch 
damals, die immerhin theoretischen Annahmen unter Aufwand grosser 
Geldmittel zu erhärten. Dieser Stollen erreichte den südlichen Quarzitzüge 
165 m unter der Erdoberfläche bei starkem Wasserandrang. Die 
jenseitige Grenze des Zuges wurde bei 2650 m angetroflfen. Als 2909 m 
aufgefahren waren, mussten leider die Vortriebsarbeiten infolge Ein- 
spruchs einiger benachbarter Gemeinden des Aartals eingestellt werden, 
bevor noch der nördliche Quarzitzug erreicht war (siehe auch Tafel 3). 

Nur halben Wert würde der Stollen gehabt haben ohne den von 
Winter in 1900 m Entfernung vom Mundloch angelegten Stollen- 
verschluss, der ermöglicht, in den Spalten und Rissen des Quarzits 
das Wasser bis zu etwa 170 m Höhe über Stollensohle beim Verschluss 
zu stauen, auf diese Weise Trinkwasservorräte von mehr als einer 
halben Million Kubikmeter zu sammeln und sie später nach Bedarf 
zu verwerten. Die Quellwasserversorgungen im allgemeinen und die 
Wiesbadener Sickergalerien — weniger die Tiefstollen — im besonderen 
liefern im Frühjahr, wenn der Wasserbedarf gering ist, am meisten 
und im Sommer und Spätjahr, wenn viel Wasser gebraucht wird, am 
wenigsten Wasser. Demzufolge fliesst im Frühjahr viel Wasser unnütz, 
in den Bach und im Spätsommer tritt leicht Wassermangel ein. 
Durch die Stollenverschlüsse wurde in Wiesbaden dieser Übelstand 
nicht nur vollkommen behoben, sondern es wurde sogar möglich, 
überflüssiges Quellwasser eines günstigen Jahres für ein späteres 
ungünstiges aufzuspeichern. 

Der Verschluss bei 1900 m im MünzbergsloUen besteht im 
wesentlichen aus einem 6 Meter langen wasserdichten, in undurch- 
lässige Phyllitschichten eingesetzten Mauerwerkspfropfen, der von 
mehreren mit Abschlussorganen ausgerüsteten Röhren durchbrochen 
wird. Die später gebauten Stollenverschlüsse erhielten Türen, welche 
die dahinter liegende Stollenstrecke zugänglich lassen (vgl. Tafel 
4 und 5). Ausser dem Hauptverschluss bei 1900 m besitzt der 
Münzbergstollen noch zwei weitere, näher am Stollenmund liegende 
Verschlüsse, welche indessen nur von untergeordneter Bedeutung und 



i 






j 



rtl^fl 



I 



Halbertsma und Spieser, WaÄserversorgung. 13 

selten in Benutzung sind, da ihr Staubereich in den wenig porösen 
Phylliten liegt. 

Beim Münzbergstollen muss man zum Bedienen des Stollen- 
verschlusses jedesmal 1900 m weit zu Fuss auf Betonplatten über 
dem offen fliessenden Trinkwasser vordringen, während bei den später 
gebauten Stollen zur Vermeidung einer Wasserverunreinigung und 
zur Bequemlichkeit die Einrichtung getroffen wurde, dass man das 
Verschlusswasser am Stollenmund aus einer gusseisemen Hochdruck- 
rohrleitung mittels Schieber und Venturiwassermesser bequem abzapfen 
kann. Auch besitzen die anderen Stollen auf der ganzen Länge ein 
Oleis mit 60 mm Spur aus Stahlschienen auf Eisenbetonschwellen 
und sind mittels Draisine bequem und rasch befahrbar (siehe 
Tafel 6, 7 u. 8). 

Im gebrechen Gebirge erhielten die Stollen eine Auskleidung 
aus Ziegelstein -Mauerwerk. Das lichte Profil der ausgemauerten 
Strecken ist bei sämtlichen Stollen elliptisch, beim Münzbergstollen 
2,10 m hoch und 1,10 m breit, bei dem zuerst erbauten Teil des 
Schläferskopfstollens 2,20 m hoch und 1,80 m breit und bei dem 
Kreuz- und Kellerskopfstollen sowie der Verlängerung des Schläfers- 
kopfstollens endlich 2,20 m hoch und 2,00 m breit. Die grössere 
Breite ermöglichte bei den zuletzt genannten Stollen eine gleich- 
zeitige Vornahme der Vortriebs- und Ausmauerungsarbeiten und 
dadurch eine bedeutende Beschleunigung der Bauten. 

Die Lüftung des Münzbergstollens erfolgt durch eine bis zum 
Hauptverschluss vorgestreckte, 150 mm weite Leitung und durch 
einen kleinen Zentrifugalventilator, gekuppelt mit einer durch das 
Stollenwasser angetriebenen Turbine, für welche ein Gefälle von 
2,50 m vorhanden ist. Der Kellerskopfstollen wird durch eine 200 mm 
weite Leitung mittels Körtingscher Wasserstaubventilatoren belüftet, 
welche ihr Druckwasser einer über dem Stollen und 400 m seitlich 
der Stollenachse gelegenen Quelle entnehmen. Diese Quelle, das 
sog. Schönwässerchen im Theistal, war durch die Stollenarbeiten 
unbeeinflusst geblieben; sie wurde besonders gefasst und durch ein 
bei 2313 m niedergebrachtes, 103 m tiefes Bohrloch dem Stollen zu- 
geleitet. Auch der Kreuzstollen besitzt Wasserstaubventilatoren, die 
ihr Aufschlagwasser dem dortigen Verschluss entnehmen. Ein 
ähnliches ist für den Schläferskopfstollen geplant. Nötigenfalls soll 
der Kreuzstollen mit Verschlusswasser des Schläferskopfstollens und 
dieser mit Verschlusswasser des Kreuzstollens ventiliert werden 
können. 



14 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 



Weitere vergleichende Angaben über die vier Tiefstollen ent- 
hält nachstehende Tabelle. 



Münzberg- 
stollen 



Eellerskopf- 
stollen 



Kreuzstollen 



Schläfers- 
kopf- 
stoUen 



Länge in m 

Höhe des elliptischen Pro- 
fils inm 

Breite des elliptischen Pro- 
fils in m 

Sohle am Stollenmund ü. 
N. N inm 

Stollengefälle . . ^»o 

Anzahl der Verschlüsse . 

Abstand der Verschlüsse 
vom Stollenmund inm 

Ungefähres Stauvermögen 
der Verschlüsse 

in cbm Wasser 

Absperrbares Wasser in o/q 
des Gesamtwassers . . 

Grösster Stau in Meter- 
Wassersäule .... 

Durchschnittliche Stollen - 
Überlagerung . in m 

Grösste Überlagerung in m 

Gesamtlänge der Phyllit- 
strecken ... in m 

Gesamtlänge der Quarzit- 
strecken ... in m 

Durchschnittl. tägliche Er- 
giebigkeit im Beharrungs- 
zustand ohne Stau in cbm 

desgl. für 1 m Stollen in cbm 

desgl. für 1 m Phyllitstrecke 
in cbm 

desgl. für 1 m Quarzit- 
strecke .... in cbm 

Art der Gesteinsbohrung . 



Gesamtbaukosten . in M. 

j, für 1 m St. 

inM. 



2909 

2,10 

1,10 

206,91 

1,0 

3 

190, 680 u. 
1900 

600000 

92 

170 

125 
246 

2239 

670 



2900 
1,00 

0,38 

3,05 
I bis 1300 m 
, von Hand, 
Rest mit 
I Druckluft 
800000 

' 274 



4251 

2,20 
2,00 

259,64 

0,5 I 

2 I 

I 

1086 u. 2844 ! 



400000 

92 

200 

150 
290 

2681 

1570 



3300 

0,78 

0,19 

1,78 
bis 400 m 
elektrisch, 

Rest 

hydraulisch 

1700000 

400 



1490 

2,20 

2,00 

250,64 
0,5 

1 

778 



300000 
77 
150 

115 

180 

1000 
490 



900 
0,60 

0,20 



jetzt 1848 
später 3250 

2,20 

1,80 u. 2,00 

249,64 
0,3 u. 0,5 
später 2 

I noch unbest^ 



1,43 I , 
hydraulisch 



später lOO 
164 

bisher 54S 

« 130O 

„ 2100 
« l,14r 

. 0,45 

. 1,43 



460000 
309 



noch unbest. 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 15 

c) Anlagen im Taunusvorland und in der Rheinniederüng. 

Am Südrand der Gemarkung Wiesbaden tritt im Salzbachtal die 
Römerquelle zu Tage. Sie entspringt einer leicht nach Nordosten 
ansteigenden Kalkfelsschicht des Taunusvorlandes auf -|- 95 m N. N. 
Im Jahre 1897/98 wurde sie gefasst und mit einem Damp^umpwerk 
ausgerüstet. Ihre Wassermenge betrug bis zum Jahre 19U2 etvv^a. 
1300 und von da ab etwa 800 cbm täglich, nachdem ihr durch 
Kanalbauten, bei deren Ausführung die wasserführenden Kalkbänke 
angeschnitten wurden, ein Teil des Wassers entzogen worden war. 
Das Römerquellenwasser besitzt 21 deutsche Härtegrade. Es wurde 
bis zum Jahre 1905 behufs Verwendung zu Trinkzwecken durch eine 
6800 m lange Leitung nach dem Hochbehälter an der Platterstrasse 
gepumpt und dort mit weichem Taunuswasser gemischt. Von einer 
weiteren Verwendung als Trinkwasser wurde alsdann mit Rücksicht 
auf die in der Umgebung der Quelle immer weiter fortschreitende 
Bebauung und die dadurch bedingte Gefahr einer Verunreinigung 
für die Folge Abstand genommen, und die Quelle bildet seither nur 
eine Reserve des Nutzwasserwerkes. 

In den Jahren 1899 bis 1901 wurde zur Entlastung der Trink- 
wasserwerke, denen nur beschränkte Mengen des vorzüglichen Taunus- 
wassers zur Verfügung standen, eine Nutzwasserleitung angelegt. 
Die hierfür nötigen Gewinnungs- und Förderanlagen wurden unter- 
halb Schierstein in der Nähe des Rheins und etwa 5 km süd- 
westlich Wiesbaden erbaut, nachdem durch Bohrungen dortselbst das 
Vorhandensein ausreichend mächtiger Kies- und Sandschichten fest- 
gestellt worden war, welche brauchbares Wasser führten. Es wurden 
8 Rohrbrunnen angelegt und zwar 3 Stück (A^ — A3) in der Nähe 
eines toten Rheinarms, 4 Stück (B^ — B^) 100 m mehr landeinwärts 
und der achte (Ci) weitere 100 m landeinwärts. Der Abstand der 
Brunnen unter sich betrug sowohl in der A- wie in der B-Reihe 
etwa 100 m. 

Das Maschinenhaus erhielt 207 qm lichte Grundfläche und wurde 
zunächst mit einem Pumpmaschinensatz von 120 cbm stündlicher 
Leistung ausgerüstet. Letzterer bestand aus einer im Keller auf- 
gestellten doppeltwirkenden ZwiUingsplungerpumpe, mittels Riemen 
provisorisch angetrieben durch eine im Erdgeschoss stehende Loko- 
mobile. Bald darauf wurde ein Reserveaggregat von gleicher Leistung 
und gleicher Art aufgestellt. 

Im Juni 1901 wurde zum ersten Mal Schiersteiner Nutzwasser 
der Stadt zugeführt. Die im Betrieb angestellten chemischen Unter- 



16 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 

suchungen ergaben zwar nicht für alle acht, aber doch bezüglich 
der vier Brunnen B^ — B4 und des C- Brunnens eine durchaus für 
Trinkzwecke geeignete WasserbeschaflFenheit. Dasselbe gilt im allge- 
meinen von den bakteriologischen Untersuchungen. Nur ab und zu 
wurde ein höherer Keimgehalt gefunden, ohne dass es zunächst 
gelang, dessen Ursache zu ergründen. Unter diesen Verhältnissen 
wurde — abgesehen von Notfällen — zunächst nicht gestattet, das 
B- und C-Brunnenwasser ohne weiteres auch zu Trinkzwecken zu 
verwenden. Neues Trinkwasser musste aber beschafft werden, und 
so verfiel man auf den Ausweg, durch eine Sterilisations- Anlage 
mittels Ozon das Schiersteiner Brunnenwasser für Trinkzwecke jeder- 
zeit geeignet zu machen. Im November 1901 wurde der Firma 
Siemens & Halske in Berlin das Ozonwerk als Versuchsanlage 
mit 250 cbm stündlicher Leistung in Auftrag gegeben und war am 
1. August 1902 betriebsfertig. Die Wirksamkeit des Verfahrens 
wurde durch mehrmonatliche Dauerversuche erprobt, und der geplanten 
Verwendung hätte nichts im Weg gestanden, wenn nicht ein unvorher- 
gesehener Umstand störend aufgetreten wäre. Während nändich vor 
der Auftragserteilung der Eisengehalt des Grundwassers nur gering 
war, zeigte sich kurz nach der Betriebseröffiiung des Ozonwerks eine 
Zunahme des Eisengehalts. Durch die Ozonisierung wurde das Eisen 
vollständig ausgefällt und verlieh dem Wasser eine gelbe Färbung, 
so dass es selbst für einige Zwecke der Nutzwasserversorgung nicht 
verwendet werden konnte. Dieser Missstand war zwar beseitigt, als 
vier Jahre später die bei Erweiterung der Schiersteiner Wasserwerke 
ausgeführte Enteisenungs-Anlage in Betrieb gekommen war, unter- 
dessen war aber das Ozonwerk überflüssig geworden. Durch jahre- 
lange tägliche bakteriologische Untersuchungen war es nämlich 
gelungen, nachzuweisen, dass einerseits das Grundwasser der 
B-Brunnen von Hause aus steril ist und die Keimzahl nur dann 
«twas zunimmt, wenn bei Überschwemmung des Brunnengeländes die 
Brunnen abgepumpt werden und dass andererseits die zu anderen 
Zeiten beobachteten höheren Keimzahlen auf zufällige Verunreini- 
gungen bei der Probeentnahme oder auf sonstige Untersuchungs- 
fehler zurückzuführen waren. 

Zufolge dieser Erkenntnis wurde das Brunnengelände eingedeicht, 
und zwar so, dass etwa 95 ^/q aller Hochwasser dem Gelände ferngehalten 
werden. Wäre der Deich so hoch angelegt worden, dass er sämtliche 
Hochwässer abgehalten hätte, würde er zu kostspielig geworden 
sein. Tritt nun ausnahmsweise — nach der Statistik durchschnittlich 



-n 



^ 












K 


DJ 

m 
m 






\ 










\— 






P- 






DJ 






1= 






DJ 






-ö 






m 


1=: 




11 


m 




m 


a 




DJ 


m 




^ 


Ol 

tu 




p- 


p: 




DJ 


O 

S 



DJ 



a 

PL 

Ol 
Dl 







/ 




/ -I 






/ = 






















.u.,...,««,.,*..;^^ 


^F 




* 




1 \ 




■" 


c 


\ 


_-^ 


c 




1 f 


V-^-;. 


S .i 


\-^-, < 








1' 



^ 



I 






in 


1 




1 



e -i 



6-1 



^ :^ 




LH 
SCO 

LH 




Tafel 5. 



c 
o 

a 
o 

CO 

IS 




vO 
00 

o 



I .^ 

-* t/) 

Xi < 

Vi -^ 

-5 ä 

•g o^ 

<u 

> 









^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^H 



vO 








o 




■r^ 




E 


CJ 


-i*: 


C/) 




C 


<u 


< 


X) 


1 


f/1 




3 


t3 




L. 


j: 


O 


m 


> 



Tafel 6. 




Portal des Kellerskopfstollens. 




Portal des Kreuzstollens. 



Tafel 7. 





Portal des Kreuz-Stollens. 
Innere Ansichten. 



"J 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 17 

einmal im Jahr — ein Hochwasser, für dessen Zurückhaltung der 
Deich zu niedrig ist, ein, so tritt der Wasserspiegel erfahrungs- 
gemäß nach wenigen Tagen wieder unter die Deichkrone zurück und 
das eingedeichte Brunnengelände kann alsdann im Zeitraum von etwa 
fünf Tagen mittels eines besonderen Pumpwerks, bestehend aus einer 
elektrisch angetriebenen Zentrifugalpumpe, wieder trocken gelegt 
werden. Während einer solchen Überschwemmung und in den ersten 
vierzehn Tagen, an denen das Brunnengelände wieder hochwasserfrei 
ist, wird aus den B- Brunnen überhaupt nicht gepumpt und ent- 
sprechend mehr Wasser den Vorräten hinter den Stollenverschlüssen 
entnommen. Sodann wird das B-Brunnenwasser vorsichtshalber so 
lange als Nutzwasser verwendet, als etwa die bakteriologischen 
Untersuchungen kein günstiges Ergebnis liefern. Sollte einmal das 
B-Brunnenwasser auch zu Zeiten einer Überschwemmung zu Trink- 
zwecken benutzt werden müssen, so hätte das Ozonwerk in Tätigkeit 
zu treten. 

Auf eine Beschreibung des Ozonisierungs -Verfahrens und des 
Schiersteiner Ozonwerkes kann an dieser Stelle mit Rücksicht auf 
die darüber verbreitete Literatur verzichtet werden. 

Wie bereits erwähnt, wurde in den Jahren 1903 — 1907 auf 
Grund eingehender hydrologischer und geologischer Untersuchungen 
das Schiersteiner Werk auf eine Leistungsfähigkeit von 7200 cbm 
Trinkwasser und 4800 cbm Nutzwasser gebracht. Sein gegenwärtiger 
Zustand soll nachfolgend beschrieben werden. 

Das Grundwasser wird mittels Rohrbrunnen diluvialen Sauden 
und Kiesen entnommen. Die 5 — 14 m mächtige wasserführende 
Schicht ruht auf dem Tertiär und zwar im östlichen Teil des Entnahme- 
Gebietes auf Ton, im Westen auf Kalkfels. Sie wird von einer 
schwer durchlässigen Aluviumschicht von etwa 2,3 — 3,6 m Dicke 
überlagert (vergl. Tafel 9). • 

Die Trinkwassergewinnungsanlage (vergl. Tafel 10) 
besteht aus den in einer Reihe zu zwei Gruppen angeordneten 
30 Brunnen, Bg — B22 und Bg^ — B42. Vom offenen Rheinstrom liegt 
die B- Brunnenreihe 500 m entfernt. Die 18 Brunnen der Gruppe 
B5 — B22 sitzen in Abständen von 25 m. Von der einen zur anderen 
Gruppe ist ein Zwischenraum von 78 m vorhanden. Bei der Gmppe 
B31 — B42 ist der Brunnenabstand auf etwa 30 m erweitert. Jede 
Gruppe besitzt eine gusseiserne Heberleitung. Diejenige der Gruppe 
B5 — B22 ist 855 m lang, nach dem Beispiel der Tilburger Anlage 
mit dem Scheitel wagerecht auf + 81,50 N. N. gelegt. Ihre Weite 

2 



18 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 

wächst nach dem Maschinenhaus hin bis auf 450 mm. 1 m über 
dem Scheitel befindet sich die 50 mm weite galvanisierte Leitung zur 
Entlüftung des Hebers und der Brunnen ^). Die 350 mm weite und 
428 m lange Heberleitung der anderen Gruppe war ursprünglich an 
die 4 alten, jetzt verlassenen Brunnen B^ — B4 angeschlossen und 
steigt in früher üblicher Weise nach dem Maschinenhaus an, woselbst 
ihr Scheitel die Höhe + 83,50 N. N. erreicht. Beide Heber tauchen 
in den im Maschinenhaus befindlichen Trinkwasser -Sammelbrunnen 
ein. Übereinstimmend mit der grösseren Mächtigkeit der wasser- 
führenden Kiesschichten und teilweise mit dem Unterschied in der 
Höhenlage der beiden Heber ist bei den Brunnen B5 — B22 eine um 
1,50 m tiefere Absenkung des Grundwassers als bei den Brunnen 
B31 — B42 vorgesehen. Dementsprechend reicht die oberste Schlitz- 
reihe der Brunnen-Filterrohre bei diesen beiden Brunnengruppen bis 
zur Kote + 75,50 N. N. bezw. + 77,00 N. N. hinauf. 

Die Brunnen wurden im allgemeinen mit 400 mm Weite gebohrt. 
Konzentrisch zum Bohrrohr wurde das aus verzinntem Kupferblech 
bestehende, 180 mm weite Filterrohr mit Schlitzlochung eingesetzt. 
Es hängt an einem galvanisierten schmiedeisernen Rohr gleicher 
Weite, welches in dem mit der Heber -Zweigleitung verbundenen, 
gusseisernen Brunnenkopf endigt. Der hohlzylindrische Raum zwischen 
Filter- und Bohrrohr wurde mit doppeltgesiebtem, im Korn der 
Beschaffenheit der wasserführenden Schicht angepasstem und übrigens 
sterilisiertem Kies ausgefüllt und das Bohrrohr bis über die Schlitze 
des Filterrohres hochgezogen. Der Brunnenkopf, der mit Woltmann- 
Wassermesser und Schieber ausgerüstete Heberanschluss, sowie der 
Anschluss der Luftsaugeleitung sitzen in einem wasserdicht gemauerten 
Schacht, woselbst auch die Proben für bakteriologische Unter- 
suchungen durch die auf Tafel IIb veranschaulichte Einrichtung ent- 
nommen werden können. Das Schachtinnere ist gegen den eigent- 
lichen Brunnen wasserdicht abgeschlossen; auch wurde bei der 
Brunnenkonstruktion auf Vermeidung jeder Verunreinigung des 
Brunnenwassers durch Tagwasser sorgfältig Bedacht genommen. Im 
übrigen wird auf Tafel 1 1 a verwiesen. Diese Bauart der Brunnen hat 
sich bisher, d. h. in vier Betriebsjahren, in Schierstein vollständig 
bewährt, insbesondere ist keine Versandung der Brunnen eingetreten. 
Es sei noch bemerkt, dass durch besondere Ausbildung des Brunnen- 



1) Vergleiche „Das Grundwasserwerk der Stadt Tilburg in Holland" von 
Halbertsma im Journal f. Gasbel. u. Wasserv. 1903. 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 19 

kopfes und durch die Anordnung einer Luftsaugeleitung bei Betriebs- 
pausen der Heber gefüllt bleibt, ohne dass ein Überhebem von den 
einen Brunnen in die anderen stattfindet. 

Bei niedrigstem Grundwasserstand beträgt die Ergiebigkeit der 
30 Trinkwasserbrunnen etwa 7200 cbm täglich. 

Die Brunnen Bg — B^g wurden im Jahr 1903/04, die übrigen 
B-Brunnen im Jahre 1907 erbaut. 

Der früher erwähnte C- Brunnen wurde wegen zu geringer 
Ergiebigkeit aufgegeben. 

Die im Jahr 1906 erstellte neue Nutzwassergewinnungs- 
anlage besteht aus den 12 Brunnen D^ — Djg, welche in Abständen 
von 25 m in einer Reihe parallel zum Rheinstrom und 100 m vom 
Ufer entfernt auf einer Halbinsel, der Bauernau, angeordnet wurden. 
Der Grundwasserträger liegt dort durchschnittlich auf + 71,00 N.N., 
die oberste Schlitzreihe der Brunnenfilterrohre auf + 76,50 N. N. und 
das Gelände auf + 82,30 N.N. oder 1,16 m über dem Mittelwasser 
des Rheins (-|- 81,14 N.N.). Die Bauart der neuen Nutzwasser- 
brunnen ist diejenige der Trinkwasserbrunnen. Die Gesamtergiebigkeit 
dürfte bei niedrigstem Grundwasserstand 5900 cbm täglich betragen. 
Eine wagerechte, 790 m lange gusseiseme Heberleitung von 500 mm 
grösstem Durchmesser mit der Scheitelkote + 81,50 N.N. verbindet 
die Brunnenreihe mit dem Nutzwassersammelbrunnen, welcher dicht 
am Maschinenhaus liegt. Sie kreuzt unter einem Damm mit Durch- 
lass einen südlichen und mittels Damm und Düker (was nebenbei 
bemerkt nur das Tilburger Heberleitungs- System gestattet) einen 
nördlichen toten Rheinarm. Ebenso wie jeder Brunnen wird sie 
durch eine besondere, 50 mm weite und 1 m über dem Heberscheitel 
angeordnete galvanisierte Leitung entlüftet. Böschungen und Krone 
des Heberleitungsdammes, welcher auch die Luftsaugeleitung und die 
Brunnen umkleidet, ist zwischen Rheinstrom und Düker zum Schutz 
gegen Wellenschlag und Eisgang bei Hochwasser mit Bruchsteinen 
gepflastert. Der Düker wurde in einer 22 m langen und 2 m breiten 
Spundwand zusammen mit zwei gemauerten Pfeilern für eine in 
Höhe der Dammkrone liegende Brücke unter Wasserhaltung gegründet. 
Er besteht aus verstärkten gusseisernen Röhren von 350 mm Weite 
und liegt mit dem Scheitel 1,63 m unter dem niedr. Niedrigstwasser 
(+ 79,60 N.N.) und 0,87 m unter der Sohle des Rheinarms. 

Die 3 alten A-Brunnen können als Reserve an die Nutzwasser- 
Heberleitung der D-Brunnen angeschlossen werden. 



20 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 

Die Förderanlage (siehe Tafeln 12 — 16) besteht im wesent- 
lichen aus 5 Vor- oder Brunnenpumpen mit etwa 18 m manometrischer 
Förderhöhe, welche das Wasser den Sammelbrunnen entnehmen und 
auf die Enteisenungsanlage drücken, den 5 Haupt- oder Behälter- 
pumpen mit etwa 108 m manometrischer Förderhöhe, die das ent- 
eisente Wasser aus den Reinwasserkellern saugen und nach den 
Sammelbehältern bei Dotzheim fördern und aus der Dampfkessel- 
Anlage. Von den 5 Maschinensätzen heben die beiden östlichsten 
Nutzwasser, die übrigen Trinkwasser. Jede der 2 Hauptpumpen für 
Nutzwasser leistet 120 cbm stündlich, was für die verlangte Gesamt- 
leistung von 200 cbm reichlich ist. Jede der 3 Hauptpumpen für 
Trinkwasser liefert 150 cbm stündlich, so dass bei der verlangten 
Gesamtleistung von 300 cbm eine Maschine in Reserve verbleibt. 
Eine Reserve für Nutzwasser erschien überflüssig, weil dieses nötigen- 
falls durch Trinkwasser ersetzt werden kann. 

Die Vorpumpmaschinen, welche für eine um 10 Prozent höhere 
Leistung als die Hauptpumpen konstruiert wurden, sind stehende 
„Compound-Dampfpumpen**. Oben liegen nebeneinander die beiden 
Dampfzylinder, unten die beiden Zylinder der einfach wirkenden 
Zwillings-Tauchkolbenpumpe. Die Hauptmaschinen dagegen sind 
Compound-Maschinen Hegender Bauart und besitzen doppeltwirkende 
Zwillings-Tauchkolbenpumpen, deren Kolbenstangen mit den Stangen 
der Dampfkolben unmittelbar gekuppelt sind. Jede Hauptmaschine 
ist mit einem Mischkondensator versehen, der gleichzeitig auch als 
Kondensation der Vorpumpmaschinen und zur Entlüftung der Heber- 
leitungen und Brunnen dient. Für den letzteren Zweck sind ausser- 
dem als Reserve Dampfstrahlsauger vorhanden. 

Den Dampf für die Maschinen und die Beheizung der Gebäude 
liefern 3 Zweiflammrohr-Kessel mit je 81 qm Heizfläche, ausgerüstet 
mit je einem Überhitzer von 58 qm Heizfläche. An den Kesseln 
beträgt der Dampfüberdruck höchstens 10 kg/qcm, beim Eintritt in 
die Maschinen etwa 9 kg/qcm. Die Heizgase der 3 Kessel werden 
durch einen gemeinschaftlichen, 40 m hohen Schornstein abgeführt. 
Zur Kesselspeisung dient Brunnenwasser von etwa 19 deutschen 
Härtegraden nach entsprechender Enthärtung. 

Die mit einem Laufkran von 2000 kg Tragkraft ausgerüstete 
Maschinenhalle ist 30,1 m lang und 16,7 m breit. Im Erdgeschoss 
befinden sich die Hauptpumpmaschinen, in einem besonderen wasser- 
dichten Schacht die Vorpumpmaschinen. Erdgeschossflur liegt auf 
+ 87,70 N. N., Vorpumpenschachtflur der Nutzwasserseite auf 



Wasi*r*frkf 
der Sladt Wiesbaden 









Wa55Er\)7Erk 5ch 







LängenproFil durch die Hr 




Tafel 9. 



Ersfein 1 



i 4 g ;| f 




Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 21 

+ 83,00 N. N. und der Trinkwasserseite auf + 82,00 N. N., die 
Sohle der Baugrube unter dem Trinkwasservorpumpenschacht auf 
-f- 79,75 N. N. Der innerhalb des Maschinenhauses angeordnete 
Trinkwasser-Sammelbrunnen besitzt 4,15 m 1. W. und eine lichte 
Sohlenhöhe von + 75,00 N. N. ; er wurde aus gusseisemen Tübbings 
zusammengesetzt und vor Herstellung der an ihn anschliessenden 
Maschinenhausfundamente mittels Druckluft abgesenkt. In der Nähe 
des Maschinenhauses steht das Grundwasser durchschnittlich auf 
-f 82,50 N. N. 

Zwischen Maschinen- und Kesselhaus liegen die Räume des 
sx)gen. Zwischenbaues, und zwar im Keller die beiden durch einen 
Gang getrennten Reinwasserbehälter für Trink- und Nutzwasser von 
320 bezw. 200 cbm Inhalt, im Erdgeschoss ein Aufenthaltsraum für 
die Kesselwärter, je ein Zimmer für die Direktion und den Maschinen- 
meister sowie ein Magazin, im Obergeschoss endlich ein Laboratorium, 
ein Aufenthalts- und Speiseraum für die Arbeiter, eine Arbeiter- 
badeanstalt, bestehend aus einem Wannen- und einem Brausebad mit 
kaltem und warmem Wasser, sowie 2 Aborte. 

Neben den 3 Kesseln ist im Kesselhaus, welches 16,5 m lang 
und 14,5 m breit ist, fürsorglich noch Raum für einen vierten Kessel 
vorgesehen. 

Unweit des Kesselhauses steht für sich allein das Kohlenhaus, 
das in Länge und Breite mit den Abmessungen des Kesselhauses 
übereinstimmt und etwa 1000 Tonnen Kohlen fassen kann. Es ist 
durch eine Feldbahn für Pferdebetrieb einerseits mit dem Rheinufer 
und andererseits mit dem Kesselhaus verbunden. Die Kohlen- 
bahn benutzt zwischen Rhein und Kesselhaus den Nutzwasserheber- 
damm und die Dükerbrücke. Sie ermöglicht den Schiffsbezug der 
Brennstoffe und gestattet, arbeitstäglich 100 t Kohlen auszuladen. 
Gegenüber dem Bahnbezug stellen sich die Brennstoffkosten im 
Kesselhaus beim Schifisbezug um etwa 1,30 M. für die t niedriger. 

Wie bereits erwähnt, ist das Schiersteiner Brunnenwasser eisen- 
haltig. Nach den im Jahr 1907/08 vorgenommenen Untersuchungen 
schwankt beispielsweise der Eisengehalt im Mischwasser der Trink- 
wasserbrunnen B — Big von 0,40 bis 1,72 mg FegOg im Liter, im 
Mischwasser der Trinkwasserbrunnen Bgj — B42 von 0,11 bis 0,34 mg 
und in denjenigen der Nutzwasserbrunnen D^ — D12 von 7,57 bis 
11,14 mg, der Mangangehalt von 0,36 bis 0,89 mg Mn im Liter, 
bezw. 0,10 bis 1,28 mg bezw. 1,83 bis 2,63 mg. Daher wurden 
gleichzeitig mit der Vermehrung der Brunnen und der Erweiterung 



22 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 

der Pumpwerke Enteisenungsanlagen und zwar getrennt für Nutz- 
und Trinkwasser erbaut. Deren System anlangend entschied man 
sich für Koksriesler und Schnellsandfilter, nachdem zuvor an einer 
Versuchsenteisenungsanlage die Brauchbarkeit dieses Verfahrens für 
die Schiersteiner Wässer erprobt worden war. 

Die Ries 1er wurden in einem gemeinschaftlichen Gebäude 
von 22,64 m innerer Länge und 8,03 m Breite untergebracht und 
bestehen aus 3 Kokskammem für Trinkwasser und 2 für Nutzwasser. 
(Siehe Tafel 12, 15 und 16). Jede Kokskammer hat eine lichte 
Grundfläche von 20 qm, auf einen qm kommen stündlich 5 cbm 
Wasser, auf jede Kanamer stündlich 100 cbm Wasser im Normal- 
betrieb. Die Koksschicht ist 3 m hoch und mit verzinkten Well- 
blechen abgedeckt, deren Berge und Täler in regelmäßigen Abständen 
gelocht sind. Über den Blechen erfolgt die gleichmäßige Wasser- 
verteilung nach einem neuen System der Verwaltung mittels einer 
Reihe besonders hierfür konstruierter Brausen. Das Wasser wird 
hierbei bis zur Zerstäubung fein verteilt und sowohl im 1,40 m 
hohen freien Fall, wie beim Tröpfeln durch die Koksschicht durch- 
lüftet. Unter jeder Kokskammer sammelt sich das Wasser in einem 
Keller von 55 cbm Inhalt, lässt dort und in der Koksschicht den 
grössten Teil des Eisens als Niederschlag zurück und läuft sodann 
über einen Überfall auf die Filter oder, wenn gewünscht, zum Ozon- 
werk. Zwecks Spülung der Koksschicht kann das Aufschlagwasser 
jeder Kammer verdreifacht werden. Auch können die Keller durch 
weite Kanalanschlüsse unter kräftiger Spülwirkung vom abgelagerten 
Eisenschlamm befreit werden. Das Eisenschlamm haltige Spülwasser 
darf übrigens nicht unmittelbar in die toten Rheinarme geleitet 
werden, da diese Fischlaichgebiet sind. Vielmehr war man genötigt, 
vor der Ausmündung des Spülkanals einen Klärweiher anzulegen, in 
dem die Abwässer zunächst ihren Schlamm absetzen können. 

Die Sohlen und Wände der Filter sind aus Stampfbeton, und 
deren Überwölbung aus eisenarmiertem Beton, ruhend auf eisernen 
I- Längsträgern und gusseisernen Säulen, hergestellt und mit Erde 
überdeckt. Sie enthalten 6 Kammern von je 200 qm lichter Fläche, 
4 für Trinkwasser und 2 für Nutzwasser (vergl. Tafel 17). Die 
Trink- und Nutzwasserfilter sind durch den Spülkanal der Riesel- 
anlage vollständig von einander getrennt. 

Das gerieselte Wasser strömt oben auf die Filter und wird 
dort auf einer konstanten Wasserhöhe von 1 m über dem Filterbett 
gehalten. Das Filterbett ist 0,90 m hoch und besteht bei den 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 23 

Trinkwasser -Filtern aus einer oberen 0,40 m starken groben 
Sandschicht von ^/g bis 2 mm, einer 0,20 m starken groben Sand- 
schicht von l bis 2 mm, einer 0,10 m starken feinen Kiesschicht von 
2 bis 4 mm, einer 0,10 m starken groben Kiesschicht von 4 bis 20 mm 
und einer 0,10 m starken sehr groben Kiesschicht von 20 bis 40 mm 
Korngrösse. Sämthche Sande und Kiese sind aus dem Rhein 
gebaggert und auf dem Bau doppelt gesiebt und mit Wasser aus 
der Trinkwasserleitung gewaschen, bevor sie in die Filter gebracht 
wurden. Das Filterbett ruht auf einer 0,20 m hohen Drainanlage 
aus hartgebrannten Ziegelsteinen, welche in einen Hauptdrainkanal 
aus Stampfbeton von 0,50 m lichter Weite und 0,70 m lichter Höhe 
mündet, der, in der Längsachse des Filters liegend, das vom Eisen 
befreite Wasser dem Filter-Abfluss-Regulator zuführt. 

Die Nu tzwasser- Filter sind ebenso konstruiert, nur mit 
dem Unterschiede, dass für die obere Filterschicht auch das etwas 
gröbere Korn der zweiten Schicht genommen und demzufolge 
die beiden oberen Schichten zu einer 0,60 m starken Schicht von 
1 bis 2 mm Korngrösse, behufs Erzielung einer grösseren Durch- 
lassfähigkeit bezw. Filtergeschwindigkeit vereinigt wurden. 

Wenn für Nutz- und Trinkwasser je eine Kammer gereinigt 
wird und die übrigen Kammern in Betrieb sind, liefert bei voller 
Beaufschlagung (200 cbm Nutzwasser und 300 cbm Trinkwasser) 
1 qm Nutzwasserfilter 1 cbm und 1 qm Trinkwasserfilter V2 cbm 
stündlich. Die 4 Trinkwasserfilter wurden mit je einem Regulator, 
System Götze, ausgerüstet. Alle Filter sind zum Füllen von unten 
zur Wiederinbetriebsetzung an die Trinkwasserdruckleitung der Haupt- 
pumpen angeschlossen und mit einem Überlaufe versehen. Etwas 
über Erdgleiche sind die Türen der Filtereingänge angeordnet, an 
die sich schräge Rampen zum Ein- und Ausfahren des Filtersandes 
anschliessen. Eine Sandwäsche, System Körting, vervollständigt 
die Filtereinrichtung. 

Von den Filtern fliesst das Wasser für gewöhnlich in die 
Reinwasserkeller und wird dort von den Hauptpumpen angesaugt. 

Das Ozonwerk kann sowohl zwischen Riesler und Filter, als 
auch zwischen Filter und Reinwasserkeller eingeschaltet werden. 
In beiden Fällen arbeiten die Anlagen erfahrungsgemäß ohne Anstände. 

Die Wirkung der Enteisenungsanlage ist eine ganz vorzügliche, 
indem der Eisen- und Mangangehalt sowohl des Trinkwassers wie 
des Nutzwassers gänzlich entfernt wird. 



24 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 

d) Leistungsfähigkeit der einzelnen Anlagen. 

Soweit die Ergiebigkeit der einzelnen Gewinnungsanlagen nicht 
bereits zahlenmäßig angegeben wurde, möge sie, sowie die Bedeutung-^ 
welche jeder Anlage für die städtische Wasserwirtschaft zukommt, 
der nachstehenden Tabelle des monatlichen Wasserzulaufs und 
-Verbrauchs entnommen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass 
das Jahr 1907/08 in Bezug auf die Wasserlieferung der Taunusquellen 
ein günstiges und daher die Benutzung von Schiersteiner Trinkwasser 
nur in geringem Umfange erforderlich war. Ferner ist zu beachten, 
dass der Stau hinter den Verschlüssen des Münzberg- und Kellerskopf- 
stollens in diesem Jahre sehr hoch gehalten werden konnte, wodurch, 
die Ergiebigkeit genannter Stollen aussergewöhnlich niedriger ausfiel. 
Endlich sei wiederholt, dass am Ende des Jahres 1907/08 die Sicker- 
galerien Adamstal und Alter Weiher von der Trinkwasserversorgung* 
ausgeschaltet und zur Nutz- bezw. Bahnwasserversorgung heran- 
gezogen wurden. 

III. Wasseruntersuchnng nnd WasserbesehaflTenheit. 

Das Wasser der einzelnen Tjinkw asser-Gewinnungsanlagen 
wird laufend bakteriologisch untersucht und zwar um so häufiger 
oder seltener, je grösser bezw. kleiner die immerhin denkbare Gefahr 
einer Verunreinigung mit Rücksicht auf Nachbarschaft, Überlagerung, 
Filtrierfähigkeit der wasserführenden Schichten usw. erscheint. Der 
zeitliche Abstand von einer Untersuchung zur nächsten beträgt 
für das Mischwasser der Schiersteiner Trinkwasser- 
Brunnen^) Bß — Bgg und dasjenige der Trink- 
wasser-Brunnen B31 — B42 1 Woche, 

für die einzelnen Brunnen . . 26 Wochen, 

für die flachliegende Sickergalerie Pfaffenborn . . 2 „ 
für das von der Nachbargemeinde Sonnenberg 
bezogene Wasser, welches Flachstollen ent- 
stammt 4 „ 

für den Wiesen-, Wilhelm- und Bergstollen sowie 
für die vorderste 400 m lange und verhältnis- 
mäßig flach liegende Strecke des Schläferskopf- 
stollens 6 n 



1) Der Wissenschaft halber wird das Wasser der Nutzwasser-Brunnen- 
anlage alle ^ Wochen einmal bakteriologisch untersucht. 



[res 1907I0S. 



W(M8erver8o rgung. 



Zu Seite 24. 



til 1907 
, 1908 
; Vorrat 



cbm 2216 

, 4010 

cbm 1794 



! 






Manometerstan 


i 










Unge- 
fährer 


. 








es 




Oesamt- 


der Stollenverschlüsse in Atm. 


Unbenutztes Wasser 


Wasser- 










am Monatsersten 










ver- 


;.er 


Ver- 


yer- 
















brauch 


n 


brauch 


brauch 




Kellers- 
kopf 


3hläfers- 
kopf 


1 


Schläfers- 
kopf 


Pfaffen- 
born 


Adams- 
tal 


Alter 
Weiher 


der 
Hoch- 
zone 










I 


11 


QQ 




0,0 -400 m 










70 


55000 


308790 


12,6 


8,0 


11,2 






2600 


1100 


450 


11950 


34000 


50 


77000 


888550 


11,7 


8,0 


15,3 


— 


— 


— 


1540 


2940 


12630 


47000 


70 


83780 


394950 


10,8 


8,1 


12,0 


— 


— 


— 


720 


— 


6070 


50000 


50 


76080 


385460 


9,5 


7,7 


8,8 


— 


— 


— 


480 


— 


3750 


52000 


70 


90090 


401850 


9,9 


6,5 


7,0 


— 


— 


— 


• 440 


-- 


160 


46000 


70 


78910 


394380 


8,5 


5,0 


6,3 


— 


— 


5860 


1070 


610 


1240 


31000 


.60 


63980 


379700 


8,0 


4,0 


5,0 


-- 


— 


8950 


370 


4060 


4720 


28000 


190 


57220 


349330 


6,9 


2,8 


9,6 


— 


— 


680 


470 


2620 


3760 


26000 


^90 


53670 


330070 


6,6 


2,5 


11,0 


— 


— 


3600 


4130 


8730 


16690 


24000 


130 


54840 


327580 


8,2 


2,4 


9,6 








1800 


3230 


3160 


12600 


22000 


.90 


49510 


311710 


8,5 


2,3 


8,3 


— 


— 


1800 


8140 


5440 


12650 


20000 


20 


56580 


353470 


10,6 


6,8 


9,5 


— 


— 


4780 


20220 


16090 


14050 


35000 












Stand am 












i60 


796660 


4325840 


11,7 


8,9 i 12,5 


. 1. April 1908 


30070 


44710 


44200 


100270 


415000 


\^ 


— 


0,9 


1,3 


gestiegen 




219250 


cbm 






1 


100 o/o 




0,9 






gefj 


ülen 













Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 



25 



für das Wasser der Tiefstollen und zwar getrennt 
nach dem Wasser der Verschlüsse und dem 
übrigen Wasser 12 Wochen^ 

und für das Wasser der Hochbehälter endlich . . 1 Jahr. 

Falls ausnahmsweise ozonisiert wird, finden tägliche bakterio- 
logische Untersuchungen sowohl des Brunnenwassers als auch des 
ozonisierten Wassers statt. Vor und nach der Inbetriebnahme neuer 
Trinkwasser- Anlagen wird vorsichtshalber häufiger untersucht; bei- 
spielsweise wurde beim Wasser der Brunnen B^ — B^g die Keimzahl 
einige Jahre hindurch täglich festgestellt. 





Keim zahl 




Datum der 
Probe-Entnahme 


Sicker- 
galerie 
Pfaffen- 
bom 


Berg- 
stollen 


Münzbergstollen 

vor 1 hinter 

dem Verschluss 


Bemerkungen 


6. IV. 1906 . . . 

20. IV. 1906 . . . 

4. V. 1906 . . . 

18. V. 1906 . . . 
1. VI. 1906 . . . 

16. VL 1906 . . . 

13. VII. 1906 . . . 
27. VII. 1906 . . . 
10. VIIL 1906 . . . 
24. VIIL 1906 . . . 

7. IX. 1906 . . . 

21. IX. 1906 . . . 

5. X. 1906 . . . 

19. X. 1906 . . . 
16. XL 1906 . . . 
30. XL 1906 . . . 

14. XII. 1906 . . . 
29. XII. 1906 . . . 
IL L 1907 .. . 
26. I. 1907 . . . 

8. IL 1907 . . . 


9 

58 

7 

8 

40 

9 
26 

3 

3 

1 

4 

1 

fehlerh. 

Untersuch. 

7 

3 

1 

3 

1 
19 

1 

1 


11 
10 

9 
2 

13 
14 

9 


5 
3 

4 

2 




1 
3 

1 
5 


Tags zuvor heftiger 
Regen. 

Vom 24. V.— 1. VL 
Regen. 


Übertrag der 

Summen . 


205 


68 


14 


10 





26 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 





im der 
Entnahm 




Keim zahl 






Dati 
Probe-] 


Sicker- 
e galerie 
Pfaffen- 
bom 


Berg- 
Stollen 


Mttnzbergstollen 

vor 1 hinter 

dem Verschluss 


Bemerkungen 


Übertrag 


der 














Summen 


205 


68 


14 


10 




22. II. 


1907 . 


104 


— 


— 


— • 


Am 19. u. 20. Regen 
u. Schneeschmelze. 


8. III. 


1907 . 


42 


16 


— 


— 


Vom 7.— 10. Regen. 


22. III. 


1907 . 


21 


— 


— 


— 




5. IV. 


1907 . 


7 


— 





1 




19. IV. 


1907 . 


1 


13 


— 


— 




3. V. 


1907 . 


150 


— 


— 


— 


Vom 29. IV.-3. V. 
bedeutende Regen- 


17. V. 


1907 . 


9 




_ 




fälle. 


1. VI. 


1907 . 


3 


5 


— 


— 




14. VI. 


1907 . 


11 


— 





— 




28. VI. 


1907 . 


49 


— 


2 


2 




12. VII. 


1907 . 


2 


8 


— 


— 




26. VII. 


1907 . 


1 




— 


— 




9. VIII. 


1907 . 


2 


.._ 


— 


— 




23. VIII. 


1907 . 


1 


7 


— 


— 




6. IX. 


1907 . 


8 




— 


— 




20. IX. 


1907 . 


2 


— 


2 







4. X. 


1907 . 


5 


31 


— 


— 




18. X. 


1907 . 


1 


— 


— 


— 




31. X. 


1907 . 


5 


— 


— 


— 




15. XL 


1907 . 


3 


88 


— 


— 


Am 12. u. 13. Regen. 


29. XI. 


1907 . 


20 


— 


— 


— 




13. XIT. 


1907 . 


15 


— 


1 







28. XII. 


1907 . 


11 


13 


— 


— 




24. I. 


1908 . 


2 


— 


— 


— 




7. II. 


1908 . 


16 


25 


— 







21. II. 


1908 . 


23 


— 


— 


— 




6. III. 


1908 . 


— • 


— 


2 


1 




20. III. 


1908 . 


17 


12 


— 


— 




Gesamt-Summen 












der Keimzahlen 


736 


286 


21 


14 




Gesamt-Anzahl d 


er 










UntersuchungeB 


47 


17 


9 


9 




Durchschnittlich( 


3 










Keimzahl einei 


r 










Untersuchung 


16 


17 


2 


1-2 





Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 27 

Zur Charakterisierung des Wassers der Sickergalerien, Flach- 
stollen und Tiefstollen in bakteriologischer Hinsicht seien in vor- 
stehender Tabelle die Keimzahlen zusammengestellt, welche in den 
zwei Betriebsjahren 1906/07 und 1907/08 für die Sickergalerie 
PfaflFenborn, den Bergflachstollen, die vor dem Hauptverschluss 
liegende Strecke des Münzbergstollens und die dahinter liegende 
Strecke gefunden wurden. Zuvor möge noch erwähnt werden, dass 
alle bakteriologischen und chemischen Untersuchungen durch das 
Laboratorium Fresenius ausgeführt worden sind, welches für 
gewöhnlich über die Keimzahl nach 14 Tagen Brutzeit^), bei 
auffallenden Ergebnissen indessen vorläufig auch über die nach 
3 bis 5 Tagen gefundene Keimzahl berichtet, sowie dass jedes Unter- 
suchungsresultat das Mittel der Keimzahlen von 4 Kulturen darstellt. 

Obgleich höhere Keimzahlen häufig bei der Empfindlichkeit der 
Untersuchungsmethode zufälligen Verunreinigungen z. B. gelegentlich 
der Probeentnahme, zuzuschreiben sind, erkennt man aus vorstehender 
Tabelle doch, dass die Keimzahl im Wasser der Sickergalerien etwas 
schwankt und von den meteorologischen Niederschlägen abhängig ist, 
dass diese Schwankungen bei den Flachstollen kleiner sind und bei 
den Tiefstollen ganz fehlen, die Keimzahl also mit der Tiefe der 
Gewinnungsanlage zurückgeht. 

Man ist geneigt, beim Gebirgsquellwasser, d. h. bei dem in 
Spalten, Rissen oder Klüften des Gesteins zirkulierenden Wasser eine 
Infektionsgefahr viel eher anzunehmen als beim Wasser der Sande 
und Kiese von Flussniederungen. Ein solches Misstrauen ist vielleicht 
dem aus Kalk entspringenden Wasser gegenüber berechtigt, wäre 
aber dem Wiesbadener Tiefstollenwasser gegenüber gänzlich verfehlt. 
Die Keimfreiheit des letzteren erklärt sich daraus, dass alle wasser- 
führenden Klüfte des Gebirgs mit gut filtrierendem Material ausgefüllt 
sind. Die Kluftfüllungen setzen sich aus Verwitterungsprodukten 
des betreffenden Gesteins zusammen. Bei den Phylliten besteht dieses 
Produkt hauptsächlich aus Ton und zu einem geringeren Teil aus 
Quarzsand; die Füllung ist gut filtrierend und wenig durchlässig. 
Die Quarzite, welche den Stollen weitaus das meiste Wasser liefern. 



^) Dahingegen äusserte sich Proskauer auf der diesjährigen Jahres-Vers. 
des D. Ver. von Gas- und Wasserfachmännern dahin, dass behufs eines richtigen 
Vergleichs die Keimzahlen, ebenso wie bei den Sandfiltern für Oberflächenwasser, 
allemal nach 2 x 24 Stunden gezählt werden sollten. Wäre hiernach auch in 
Wiesbaden verfahren worden, so würden sich die Keimzahlen noch als viel 
kleiner herausgestellt haben. 



28 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 

bestehen aus Quarz, verkittet durch ein quarziges Bindemittel. Ihr 
Verwitterungsprodukt ist daher nur Sand, und die Füllung ihrer 
Klüfte besitzt eine vorzügliche Filtrierfähigkeit verbunden mit grosser 
Durchlässigkeit. Man könnte hier einwenden, die Kluftfüllung werde 
durch das Quellwasser ausgespült und das natürliche Filter werde 
dadurch zerstört, jedoch mit Unrecht. In dem feinen Sande der Klüfte 
sind nämlich stets mehr oder weniger grosse Gesteinsbrocken eingebettet. 
In der Nähe des Stollenhohlraumes läuft der Sand der Klüfte freilich 
aus, nicht aber der Schotter, welcher wie der grobe Kies bei einem 
künstlichen Filter den Filtersand zurückhält. 

Übrigens liegen die Wiesbadener Tiefstollen unter unbebauten 
und fast durchweg bewaldetem Gebiet. Dasselbe gilt ftlr die Sicker- 
galerien und Flachstollen, soweit sie der Trinkwassergewinnung dienen^ 
und eine Verunreinigung ist daher auch bei ihnen ausgeschlossen. 

Die beiden Sickergalerien Adamstal und Alter Weiher, deren 
Nachbarschaft nicht ganz frei von Privatwiesen ist, liefern, wie bereits 
erwähnt, seit dem März ds. Js. nur noch Nutzwasser. 

Die vorzügliche bakteriologische Beschaffenheit des Schiersteiner 
Trinkwassers möge der zeichnerischen Darstellung entnommen werden, 
welche in Tafel 18 die Keimzahl des Mischwassers aus den Brunnen 
B5— Bj6 für die Zeit vom 1. Oktober 1906 bis 30. Juni 1908 sowie 
den Spiegelgang des Rheinstromes und des toten Rheines in der Nähe 
der Brunnenanlagen wiedergibt. Ende März 1907 zeigte sich ein 
kleines Anschwellen der Keimzahl als Folge eines das Brunnengelände 
überschwemmenden Hochwassers, ebenso im Mai 1907. Der Deich 
mit seinem Pumpwerk war damals im Bau begriffen und unfertig. 
Bei den kurzen und geringen Hochwässern in der zweiten Hälfte des 
Februar und Mitte März 1907 war er indessen bereits soweit aufgeführt, 
dass er eine Überflutung des Brunnengeländes und damit ein Ansteigen 
der Keimzahl verhindern konnte. Einigemale ergab sich an einzelnen 
Tagen jeweils im Gegensatz zum Vortage und zu dem nachfolgenden 
Tage eine höhere Keimzahl. Eine derartig rasche Änderung der 
Grundwasser-Beschaffenheit ohne eine besondere äussere Veranlassung 
erscheint aber ausgeschlossen. Die Erfahrung hat gelehrt, dass die 
Keimzahl des Schiersteiner Brunnenwassers sich wohl zeitweise in 
Folge einer Überschwemmung des Brunnen- Vorgeländes etwas heben 
kann, dann aber beim Fallen des Oberwassers nach und nach wieder 
zurückgeht. Dieses ist ja auch bei den dortigen schönen Kies- und 
Sandschichten des Untergrundes nur begreiflich. Es ist aber unmöglich, 
dass die Keimzahl vier Tage hintereinander sich abwechselnd plötzlich 



Tafel 10. 



:mm mSM 




Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 29 

hebt und senkt. Die betreffenden Untersuchungen müssen daher als 
fehlerhaft und ihre Ergebnisse als belanglos angesehen werden. 

Bei neuen Gewinnungsanlagen vergeht gewöhnlich eine längere 
Betriebszeit, bis die vom Bau herrührende höhere Keimzahl allmählich 
verschwunden ist. So dauerte es beispielsweise bei den Tiefstollen 
mehrere Monate, bis nach und nach die sterile Wasserbeschaffenheit 
erreicht war. 

Einmal im Jahre wird das Wasser jeden Stollens, halbjährlich 
das Mischwasser der Brunnen B5 — B221 dasjenige der Brunnen 
B31 — B42 und das der Brunnen D^ — D^g vollständig chemisch 
untersucht. Daneben finden abgekürzte chemische Untersuchungen 
des Mischwassers der Trinkwasserbrunnen in vierwöchentlichen 
Zwischenräumen und der einzelnen Trinkwasserbrunnen einmal im 
Jahre statt, wobei Eisen, Chlor, Permanganat -Verbrauch, Salpeter- 
säure, Salpetrige Säure, Ammoniak und Mangan quantitativ bestimmt 
werden. 

Zur Kennzeichnung der chemischen Beschaffenheit des Wassers 
aus den verschiedenen Gewinnungsanlagen wird auf nachstehende 
Tabelle verwiesen, welche vollständige Analysen einer Wasserprobe 

Trinkwasser: 

1. aus der von dem Verschluss und im PhyUit liegenden Strecke des 
Münzbergstollens, 

2. aus der hinter dem Verschluss und hauptsächlich im Quarzit liegenden 
Strecke desselben Stollens, 

3. aus dem Misch wasser der Brunnen B5 — Bie in Schierstein, 

4. « « fl r^ V B3I— B42 „ y, 

Nutzwasser: 

5. aus dem Mischwasser der Brunnen Di — D12 in Schierstein, 

6. aus der Römerquelle * 
enthält. 

Im Wasser der Schiersteiner Trinkwasser -Brunnen fällt der 
-etwas hohe Chlor- und ein geringer Ammoniak-Gehalt auf. Das 
Yorhandensein dieser beiden StoflFe rührt von Mineralwasser her, 
welches ebenso wie an vielen Stellen des Rheingaues und überhaupt 
der Rheinebene auch in Schierstein in der Nähe der Brunnenanlagen 
aus dem Tertiär empordringt und sich mit dem übrigen Grundwasser 
mischt ^). 



1) Der Chlorgehalt der Brunnen B5— Bie ist am grössten und entspricht 
ungefähr einem Kochsalz-Gehalt von 0,20 gr pro Liter. Das Wasser des Wies- 
badener Kochbrunnens enthält dagegen 6,83 gr, das Kgl. Selterswasser 2,33 gr, 
das Kgl. Fachingerwasser 0,68 gr Kochsalz pro Liter. 



30 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 



Das den Phylliten entstammende Stollenwasser stimmt in seiner 
chemischen Zusammensetzung fast vollständig mit dem Wasser der 
Sickergalerien überein, soweit diese über dem Phyllit liegen, was mit 
wenigen Ausnahmen zutrifiFt. 



Bezeichnung der 
Wasserprobe : 



Münzbergstollen 

vor I hinter 

dem Verschluss 



Mischwasser der 
Schiersteiner 



Trinkwasser- 
brunnen 

Bö— BieBji— B42 



Nutz- 
wasser 
brunnen 

I)l-Di2 



Nutz- 
wasser 

der 
Römer- 
quelle 



Datum der Entnahme: 



10.IV.07 10.IV.07 



19.VI.08 22.V.08 19.VI.08 



23.XL05 



Abdampfrückstand, getrock- 
net bei 1800 C 

Eisen, berechnet als Eisen- 
oxyd (FeaOs) 

Mangan, berechnet als Man- 
ganoxydoxydul (Mn3 04) . 

Kalk (CaO) 

Magnesia (MgO) .... 

Natron (Na«0) 

Kieselsäure (Si02) . . . . 

Kohlensäure in Monokarbo- 
naten (CO») 

Schwefelsäure (SO3) . . . 

Chlor (Cl) 

Salpetersäure (N2O5) . . . 

Salpetrige Säure (Ng Os) . . 

Ammoniak (NH3) . . . . 

Kaliumpermanganatverbrauch 

(K Mn O4) nach Schulze 

entsprechend Sauerstoff (0) 

Gesamte Härte in deutschen 
Graden 

Vorübergehende Härte in 
deutschen Graden . . . 

Bleibende Härte in deutschen 
Graden 



Milligramm im Liter Wasser 



479,0 ' 484,0 



118,6 


51,6 


573,2 


biifaerBicbtntersBcht 


1,32 


j> »» 


»» 


0,63 


32,2 


8,2 


138,6 


10,0 


6,5 


30,9 


10,0 


2,8 


101,8 


8,0 


11,6 


33,6 


33,6 


7,9 


120,3 


7,1 


4,3 


58,0 


8,0 


6,8 


102,9 


2,5 


2,5 


0,5 


war nicht 


rorbaBden 





>j ,» 


„ 


1,0 


2,22 


2,73 


7,63 


0,56 


0,69 


1,93 


4,61 


1,72 


18,16 


4,28 


1,01 


15,34 


0,33 


0,71 


2,82 



0,06 

0,14 
141,3 
36,8 
50,8 

18,4 

137,8 
36,2 
47,6 

0,6 



0,4 

4,91 
1,24 



12,53 

1,99 
160,5 
41,7 
26,4 

18,8 

155,4 

46,3 

19,0 

6,6 



446,6 



bishernicht 
untersucht 



147,3 
35,4 
39,3 
15,4 

138,3 

26,4 

37,1 

15,1 

war flicht rorhanden 

Q O war nicht 
' Torhander» 



11,42 
2,89 



19,24 : 21,84 



17,58 
1,66 



19,81 
2,03 



1,64 
0,41 

19,65 

17,63 

2.02 



IT. Hochbehälter^ Zuleitungen^ Bohrnetze und 
Hausanschlussleitungen. 

Als im Jahre 1869 der Hochbehälter, welcher die Tages- 
schwankungen in der Wasserabgabe auszugleichen hatte, für das im 
darauffolgenden Jahre zu eröffnende Wasserwerk errichtet werden 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 31 

sollte, befanden sich die tiefstgelegenen bebauten Strassen etwa 107 m 
und die höchstgelegenen etwa 165 m ü. N. N. Damit zur Bekämpfung 
von Bränden selbst in den höchstgelegenen Stadtteilen noch ein 
Überdruck von 25 m in Strassenhöhe verfügbar sein sollte, legte man 
den Hochbehälter mit dem Überlauf auf -|- 191,50 N. N. Im übrigen 
wurde der Behälter an der Platterstrasse auf dem Bergrücken 
zwischen Adams- und Nerotal erbaut, da diese Lage gestattete, den 
Zusammenfluss des im Gehrner Tal (PfaflFenborn), Adamstal und 
Nerotal erschürften oder zu erschürfenden Wassers mit den geringsten 
Kosten zu bewirken (siehe Lageplan Tafel 1). 

Er erhielt einen Nutzinhalt von 3100 cbm bei 4,60 m Wasser- 
höhe. Im Jahre 1882 wurde mit der von Jahr zu Jahr steigenden 
Wasserabgabe ein zweiter Sammelbehälter erforderlich. Diesen legte 
man neben den ersten auf gleiche Höhe, gab ihm ebenfalls zwei 
Kammern, aber 4200 cbm Fassungsraum. Im Gegensatz zum ersten 
wurde er sowie alle späteren Hochbehälter zwecks Verbilligung und 
zur Verkürzung der Bauzeit aus Stampfbeton hergestellt. Seine 
Ausführung ist von Herrn Wasserwerks - Direktor E. Winter im 
Journal für Gasbeleuchtung und Wasserversorgung 1883, Seite 567 
eingehend beschrieben. 

Bis zum Anfang des neuen Jahrhunderts genügten die beiden 
Behälter an der Platterstrasse. Erst als die Nutzwasserleitung mit 
dem Schiersteiner Grundwasserwerk und dann infolge des Wachstums 
der Stadt an den Bergabhängen hinauf eine zweite höher gelegene 
Druckzone geplant wurde, musste man an den Bau neuer Hoch- 
behälter denken. So entstand im Jahre 1901 der vierkammerige 
Niederzonen-Behälter bei Dotzheim für 10400 cbm, zur 
einen Hälfte für Nutzwasser, zur andern für Trinkwasser bestimmt, 
letzteres, weil die beiden alten Trinkwasserbehälter allmählich zu 
klein zu werden drohten. Der neue Behälter wurde mit den alten 
ungefähr auf gleiche Höhe gelegt. Die Überlauf- Kote wurde zu 
+ 191,64 N. N., der grösste Wasserstand zu 4,80 m gewählt. Tafel 19 
veranschaulicht diesen Behälter. 

Für die alle hochgelegenen Stadtteile umfassende Hochzonen- 
versorgung errichtete man im Jahre 1902 einen Sammelbehälter von 
4400 cbm Inhalt auf dem Neroberg mit 4,80 m Wasserstand und 
mit dem Überlauf auf -|- 244,64 N. N. Ebenso wie der Dotzheimer 
Behälter erhielt er 4 Kammern, um die Einführung von Nutzwasser 
auch in der Hochzone zu ermöglichen. 



32 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 

Bislang besitzt die Hochzone freilich immer noch eine einheitliche 
Versorgung und es ist zu hoffen, dass auch fernerhin die kostspielige 
Nutz Wasserleitung dank den neuen Trinkwasser -Bezugsquellen in 
dieser Zone entbehrt werden kann. 

Als am Ende des vorigen Jahrhunderts der eingangs erwähnte 
grossztigige generelle Entwurf für die Erweiterung der Wasserwerke 
durch eine Hochzonen- Versorgung, eine Nutzwasserleitung mit einem 
Grundwasserwerke bei Schierstein und mehrere neue Tiefstollen auf- 
gestellt wurde, hat man ausser dem Behälter „Neroberg" noch zwei 
weitere Behälter für die Hochzone, den einen im Osten der 
Stadt nördlich von Bierstadt ^), den andern im Westen nördlich 
von Dotzheim im Walddistrikt „Kohlheck" sowie für die Tiefzone 
einen weiteren Behälter im Südosten der Stadt südlich von Bierstadt 
im Distrikt „Remise"*) vorgesehen. Die 3 neuen Stollen wurden 
so hoch angelegt, dass ihr Wasser den Hochzonenbehältern mit 
natürlichem Gefälle zufliessen kann. Der Hochbehälter Neroberg 
sollte durch ein an der Platterstrasse errichtetes Pumpwerk, der 
Hochzonenbehälter Bierstadt durch den Kellerskopfstollen und der 
Behälter Kohlheck durch die Schläferskopf- und Kreuzstollen gespeist 
werden. Der Kohlheckbehälter sollte in den Tiefzonenbehälter 
Dotzheim, der Nerobergbehälter in die Behälter Platterstrasse und 
der Behälter Bierstadt in den Behälter Remise gegebenenfalls über- 
laufen. Diesen Plänen entsprechend [wurden die Fall- oder Abzapf- 
Rohrleitungen der 3 neuen Stollen (Zuleitungen genannt) ausgeführt. 
Da der Bau der Behälter Bierstadt, Kohlheck und Remise indessen 
noch auf eine längere Reihe von Jahren verschoben werden kann, 
fliesst einstweilen das Kellerskopfstollenwasser durch eine besondere 
Zuleitung in den Behälter Neroberg, und das Wasser von den 
Schläferskopf- und Kreuzstollen durch die vorgesehenen und bereits 
verlegten Rohrleitungen direkt in den Trinkwasserbehälter Dotzheim. 
Das für die Tiefzone etwa aus dem Kellerskopfstollen benötigte 
Wasser läuft vom Nerobergbehälter in die Platterstrassenbehälter 
über, kann aber auch aus dem Rohrnetz der Hochzone in die Tief- 
Äonenbehälter abgezapft werden. Der letztere Umstand ist zur Zeit 
besonders beim Behälter Dotzheim von Wert, weil es dadurch möglich 
wird, dort das harte Schiersteiner Trinkwasser mit dem weichen 
Taunuswasser zu mischen. 



1) Die für den Bau dieser Behälter erforderlichen Gelände sind bereits im 
Besitz der Stadt. 






. t 



h 



. ^ 



Tafel IIb, 






-Ü- 






ÜT«;itÄ£. Ät<??r4-. 



f -«r ^.^^i^^ütm,* 



/ 




Erläuterung. 

Soll eine Probe entnommen werden, so wird die leere 5 - Liter - Flasche mittels 
der Gummischläuche mit dem Hahn ,,B'' und dem sterilisierten Entnahme - (ilasapparat 
verbunden. 

Alle Hähne sind vorläufig geschlossen. Nun wird der zuvor mittels Lötlampe 
sterilisierte Hahn „A" rasch geöffnet, der Entnahme-Apparat in den Brunnenkopf ein- 
geschoben und mittels (lummi-Stopfen mit dem Hahn luftdicht verbunden. Wird nun 
der Hahn „B" geöffnet, so entsteht in der Wasserflasche dasselbe Vacuum wie im Brunnen- 
kopf und das Wasser durchfliesst - wenn nun auch die beiden horizontal angeordneten 
Glashähnchen geöffnet sind — den Apparat. 



Wasserwerke 
T Stadt WKsbadcik. 



Wi 



asserwei 



Schnlll durch Mascl 



Ma 




mil BerBll V; .'. 
Beitier TonfliMri 



l SchiErsfEm. 



inEn-und KessBlhaus. 



Tafel 13. 



-I I I I I I I I I 

* ft • / Aa 



nnnr 







|i " I. 



:ira.in 



ranni 




a^^Q 



-i _ _ 1 - -.ii_- 



mmmzM 



Erk[|rung 

■■■■■ Mauerwerk 
Belon 

Mauer wiLehn 
5chwarat\(int 
-■if*^ AscheföUung 
\)(^s§erd.cH Pub 



«niltttt*. i> tm m* 



MßJ*/ 



- ^ + jrihtrSand 

_* ■-_ >., G'üsuSJtinm 
JHjH erawrund T«n 

'-.''\\ HeHfilfcirMnd. 

'. ".' '.■ ' KieBm\l9rtbc» 



Wasserwerk bei Schierstein. 



Tafel 14. 




Gesamt-Ansicht. 

A Enteisenung, B Filter, C Kesselhaus, Ü Maschinenhaus, E Kohlenschuppen, F Ozonwerk. 




Maschinen- und Kesselhaus 



Tafel 15. 




Maschinenraum. 



I!^.#iiüp 





1 'i'H^^^^^"^'''^''-' :V^\i ■ l 


arTa 




J-v- 






^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^H^^^^^^HBI^^^^^^^^^^^^^^ 


y 



Enteisenungs- Anlage. 
(Rieselung.) 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 33 

Der Vollständigkeit halber sind noch zwei Sammelbehälter von 
mehr untergeordneter Bedeutung zu erwähnen: der Bergstollen- 
behälter an der Platterstrasse und der Bahn-Nutzwasser- 
behälter an der Erbenheimer Landstrasse. Ersterer wurde im 
Jahre 1 889 mit 200 cbm Inhalt erbaut. Sein höchster Wasserspiegel 
liegt auf + 259,28 N. N. Er wird vom Bergstollen gespeist und 
versorgt ein kleines besonders hochgelegenes Gebiet an der Platter- 
strasse. Soweit das Bergstollen wasser dort nicht gebraucht wird, 
fliesst es von genanntem Behälter zum MünzbergstoUenmund über 
und von da ab mit dem Stollenwasser vereinigt zu den Tiefzonen- 
behältern Platterstrasse. 

Der Bahnwasserbehälter wurde erst am 1. April 1908 
in Betrieb genommen. Seit der Eröffnung des neuen Hauptbahnhofes 
im November 1906 haben alle Wiesbaden berührenden Eisenbahnzüge 
hier Maschinenwechsel. Die Eisenbahnverwaltung benötigt infolge- 
dessen am hiesigen Bahnhofe ganz bedeutende Mengen von Lokomotiv- 
kessel-Speisewasser und zwar zur Zeit durchschnittlich bereits rund 
700 cbm täglich. Bis zum 1. April d. Js. erhielt sie dieses Wasser- 
quantum aus der allgemeinen städtischen, mit Schiersteiner Grund- 
wasser gespeisten Nutzwasserleitung. Dieses Wasser ist jedoch wegen 
seiner Härte für die Zwecke der Bahn wenig geeignet und diese 
plante daher die Errichtung eines eigenen Wasserwerks für die 
Entnahme von Rheinwasser. Der Stadt war es indessen möglich, 
der Bahn weiches Nutzwasser zu einem solchen Preise anzubieten, 
dass diese den Plan eines eigenen Werkes vorläufig fallen liess und 
mit der Stadt einen Vertrag abschloss, wonach diese die Lieferung 
des Bahnwassers in geeigneter Beschaffenheit auf die Dauer von 
mindestens 10 Jahren übernahm. Der Wasserpreis wurde mit ab- 
nehmender Härte steigend vereinbart. 

Das Bahnwasserwerk verdankt im übrigen folgenden Umständen 
seine Entstehung: 

Wie bereits erwähnt, ist das Wasser der Sickergalerien 
„Adamstal" und „Alter Weiher" nach heftigen Regenfällen und 
Schneeschmelze zeitweilig für Trinkzwecke infolge beträchtlicher 
Vermehrung der Keimzahl ungeeignet, und so lange diese Anlagen 
der Trinkwasserversorgung dienten, musste das Jahr über ein grosser 
Teil ihres Wassers — 40 bis 50 ^/^ — unnütz in den Bach fliessen, 
obgleich es für Nutzzwecke stets brauchbar gewesen wäre. Da das 
Sickergalerienwasser ausserdem sehr weich und für die Dampfkessel- 
Speisung infolgedessen vorzüglich geeignet ist, lag es nahe, diese 

3 



34 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 

beiden Sickergalerien für ein Bahn -Nutz Wasserwerk zu verwenden. 
Die Ausführung des Planes wurde noch dadurch begünstigt, dass 
vom Behälter Platterstrasse bis zum Bahnbehälter und von da fast 
bis zum Bahnhofe eine sonst überflüssige Leitung — die ehemalige 
Druckleitung des Pumpwerkes „Römerquelle" — , ebenso wie der 
genannte Behälter selbst, für den vorliegenden Zweck verfügbar waren. 
Der Bahnbehälter fasst 330 cbm bei 1,50 m Wasserstand und 
sein Überlauf liegt nur 165,40 m ü. N.N. — wiederum ein günstiger 
Umstand, da das Rohmetz der Bahn für hohen Druck nicht geeignet ist. 
Auch das Wasser der Sickergalerie „Pfaffenbom** kann, falls 
es als Trinkwasser zeitweilig nicht brauchbar ist, dem Bahn-Nutz- 
wasser zugeführt werden. Soweit letzteres — beispielsweise im Früh- 
jahr — im Überschuss vorhanden ist, tritt es selbsttätig in das 
allgemeine Nutzwasser-Rohrnetz über und dementsprechend braucht 
dann weniger Wasser von Schierstein gepumpt zu werden. Umge- 
kehrt kann Wasser aus dem Nutzwasser-Rohmetz dem Bahnwasser 
zugesetzt werden, wenn es an letzterem mangelt. 

Zur Übersicht diene noch folgende Zusammenstellung: 

Es werden gespeist 

die Trinkwasserbehälter Platterstrasse durch den unteren Teil 

der Sickergalerie „Pfaffenborn", den Münzbergstollen mit 

dem Überlauf des Bergstollenbehälters, den Wiesen- und 

Wilhelmstollen sowie den Überlauf des Nerobergbehälters; 

der Nutzwasserbehälter Dotzheim durch das Nutzwasserpumpwerk 

Schierstein ; 
der Trinkwasserbehälter Dotzheim durch das Trinkwasser- 
pumpwerk Schierstein, den Kreuz- und Schläferskopfstollen, 
sowie den oberen Teil der Sickergalerie „Pfaffenbom"; 
der Nerobergbehälter durch den Kellerskopfstollen; 
der Bergstollenbehälter durch den Bergstollen; 
der Bahnwasserbehälter durch die Sickergalerie „Adamstal" 
und „Alter Weiher". 
Ausserdem können nötigenfalls gespeist werden: 
die Trinkwasserbehälter Platterstrasse durch den Kreuz- und 

Schläferskopfstollen sowie aus dem Hochzonennetz; 
der Nutzwasserbehälter Dotzheim durch Trinkwasser von Schier- 
stein ^) und den Kreuz- und Schläferskopfstollen sowie aus 
dem Hochzonennetz; 



1) Die umgekehrte Speisung des Trinkwasserbehälters Dotzheim durch Nutz- 
wasser von Schierstein ist durch geeignete Vorkehrungen unmöglich gemacht worden. 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 35 

der Trinkwasserbehälter Dotzheim aus dem Hochzonennetz; 

der Nerobergbehälter durch das Reservepumpwerk Platter- 
strasse ; 

der Bahnwasserbehälter aus dem allgemeinen Nutzwasser- 
Rohrnetz, durch Trinkwasser der Sickergalerie „Pfaffenborn", 
des Kreuz- und Schläferskopfstollens sowie des Wiesen- und 
Wilhelmstollens; 

das Trinkwasser-Rohrnetz der Niederzone unmittelbar 
aus der Trinkwasser -Druckleitung der Pumpwerke Schier- 
stein sowie aus dem Rohrnetz der Hochzone; 

das Trinkwasser-Rohrnetz der Hochzone unmittelbar aus 
dem Kellerskopfstollen und der Druckleitung des Pumpwerks 
Platterstrasse und 

das Nutzwasser-Rohrnetz endlich unmittelbar aus der Nutz- 
wasser-Druckleitung des Schiersteiner Pumpwerks sowie aus 
demjenigen des Pumpwerks Römerquelle und aus der Zuleitung 
des Bahnwassers. 

Die Betriebssicherheit der Wasserwerke ist unter diesen Ver- 
hältnissen eine ausserordentlich grosse. 

Ganz ausgeschlossen ist die Möglichkeit eines Übertrittes von 
Nutzwasser zum Trinkwasser. 

Es würde hier zu weit fuhren, Länge, Durchmesser, Längen- 
profil usw. der verschiedenen Zu- und Druckleitungen zu beschreiben 
und wird diesbezüglich auf Tafel 1 verwiesen. Es sei nur noch 
erwähnt, dass alle Druckleitungen und fast alle Gravitationsleitungen 
aus Gusseisen hergestellt wurden. Alle Hochpunkte besitzen Ent- 
lüftungen und zwar fast ausschhesslich selbsttätige. An den Tief- 
punkten zweigen Entleerungs- und Spülleitungen ab. Streckenweise 
sind die Leitungen durch Schieber absperrbar. Für den Betriebsdruck 
von — 5 Atm. werden die gewöhnlichen Röhren nach deutschen 
Normalien aber mit Bleirille in der Muffe, für Drücke von 5 — 10 Atm. 
Röhren mit verstärkten Wandungen und Muffen nach Wiesbadener 
Mitteldruck-Normalien und für Drücke von 10 — 15 Atm. endlich 
verstärkte Röhren nach Wiesbadener Hochdruck-Normalien verwendet. 

Nach der gleichen Regel werden die Leitungen der Rohrnetze 
ausgeführt. Letztere sind infolge dieser, wenn auch teueren so doch 
besonders kräftigen Bauart sehr widerstandsfähig; undichte Muffen 



36 



Haibert sma und Spieser, Wasserversorgung. 



und Rohrbrüche sind selten und der Wasserverlust durch Undichtig- 
keit gering, was vor einigen Jahren durch ausgedehnte Dichtigkeits- 
proben nachgewiesen wurde. Der lichte Durchmesser der Strassen- 
leitungen schwankt zwischen 80 und 450 mm ^). 

Ein Bild der Entwicklung der Rohrnetze gibt folgende Tabelle : 
Gesamtlänge and jährliche Zunahme der Rohrnetze in Metern. 







Trink 


wasser 

; 


Nutzwasser 


Insgesamt 


Datum 


Tiefzone 


1 Hochzone 


Tiefzone 






Länge . 

1 


Zunahme 


1 Länge 

1 


Zunahme 


Länge 


Zunahme 


Länge Zunahme 


1. Aprü 1904 


73974 


2 287 


1 10 226 


4 966 


24461 4 507 


108 661 11760 


1. , 1905 


76 425 


2 451 


12 095 


1869 


27 971 3 510 


116 491 7 830 


1. „ 1906 


78 617 


2192 


18 734 

1 


6 639 


82 948 4 977 


130 299 


13 808 


1. , 1907 


82148 


3 531 


21441 


2 707 


40 088! 7 140 


143 677 


13 378 


1. , 1908 


88 929 


6 781 


[i 22 374 

1, 


933 


50 235 


! 10147 

1 


161 538 


17 861 



Nutzwasser-Rohrleitungen werden in der Regel nur in den neu 
auszubauenden Strassen verlegt. 

An das Trinkwasser-Rohrnetz waren am 1. April 1908 1028 
und an das Nutzwasser -Rohrnetz 419, zusammen 1447 öffentliche 
Feuerhähne angeschlossen. 

Die Hausanschltisse werden von der Venvaltung vom 
Strassenhauptrohr bis zum Wassermesser in den kleinen Weiten 
— ^IJ' = 19 nmi und 1" = 26 mm 1. W. — aus geschwefelten Blei- 
röhren, darüber hinaus — von ^jj' = 29 mm — aus asphaltierten, 
geschweissten Stahlröhren (u. a. Mannesmann - Röhren) und von 
60 mm 1. W. an auch aus asphaltierten, gusseisernen Röhren her- 
gestellt. 



1) An den Strassen - Kreuzungen und -Gabelungen sind Teilkugeln mit 
Schiebern jeweils in einem gemauerten Schachte zugänglich angeordnet; jeder 
Strang ist dort absperrbar. 



Was&erweHie 
der Stadt Wiesbaden 






T TTi:ii33XiJ iii .s: ' ; 




(|^uvt<itiA> *V^ <^^*^*^tA»»*^. .Cf* ^ ^ C?» 




cn 



I /fffif^rwerA HB Beton ' We.j>g'of/r/e 

rS."^ ßrai/n^/as/rfe 






Tafel 16. 






«^u«K«Ä««^ e-©. 




Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 



37 



Die Hausleitungen hinter dem Wassermesser werden von 
den Hausbesitzern nach freier Wahl entweder aus geschwefelten 
Bleiröhren oder aus galvanisierten, gezogenen, schmiedeeisernen Röhren 
hergestellt. In der Regel wird aus Billigkeits- und sonstigen Rück- 
sichten das letztgenannte Material gewählt. Durch wiederholte Ver- 
suche ist nachgewiesen, dass den Schmiedeeisen- und Stahlröhren 
gegenüber das Leitungswasser schwach aggressiv ist, die Bleiröhren 
dagegen dadurch nicht angegriffen werden. 

Hiermit übereinstimmend ist die Erfahrung, dass, für soweit 
Klagen der Konsumenten über die Beschaffenheit des Wassers bei 
der Verwaltung einlaufen, diese sich in der Regel auf gelbliche 
Färbung und Trübung des am Morgen zuerst abgezapften Wassers 
beschränken, und diese Fehler fast immer nur auf die schmiedeeisernen 
Hausleitungen zurückzuführen sind. Lässt man aber, wie in solchen 
Fällen immer von der Verwaltung empfohlen wird, regelmäßig 
morgens das über Nacht in der Hausleitung gestandene Wasser 
zuerst ablaufen, und vermeidet man sorgfältig, damit die Wasser- 
gefässe zu füllen, so stellt sich das weiter im Laufe des Tages 
abgezapfte Wasser als vollständig klar heraus, während sonst die 
Wasserflaschen gleich morgens beschmutzt werden und darin auch 
das später abgezapfte klare Wasser schlecht aussieht und zu weiteren 
unberechtigten Klagen Veranlassung gibt. 

Von dem Bestand an Hausanschlüssen am 1. April 1908 
entfielen : 





Für 
Trinkwasser 


Für 
Nutzwasser 


Zusammen 


Auf die allgemeine städt. Verwaltung 
„ „ städt. Zweigverwaltungen . . 

„ Vereine 

y, Private 


102 

64 

108 

4795 


24 
2 
6 

685 


126 

66 

114 

5480 


Zusammen . . 


5069 


717 


5786 



Mit Wassermessern waren versehen . . 5773 Hausanschlüsse, 

eingeschätzt . 5 „ 

abgestellt . . 8 „ 

Alle bebauten Grundstücke sind innerhalb des Stadtberings an 
die städtische Wasserleitung angeschlossen. 



38 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 



Im Jahre 1907/08 waren in den angeschlossenen Grundstücken 
angeschlossen : 





An die 


An die 




Mehr gegen 




Trinkwasser- 


Nutzwasser- 


Zusammen 




leitung 


leitung 




1906/07 


Überflurhydranten . . . 


1 


5 


6 


6 


Zapfhähne 


43700 


— 


43700 


2044 


Wasserklosetts .... 


24029 


8178 


32207 


2037 


Pissoirhähne 


813 


241 


1054 


95 


Gartenhähne 


2045 


816 


2861 


128 


Springbrunnen .... 


116 


39 


151 


4 


Badehähne 


8995 


— 


8995 


652 


Feuerhähne 


394 


218 


612 


44 


Aufzüge 


46 


42 


88 


— 


Strahlpumpen 


5 


3 


8 


3 


Laufbrunnen 


2 


— 


2 


2 


Andere Wasserkünste . . 


5 


3 


8 


— 



Aus sanitären Gründen ist die Anordnung von Zapfhähnen bei 
der Nutzwasserleitung verboten; Nutzwasser wird daher für Bade- 
zwecke nicht abgegeben — vom Augusta Viktoria- 
Schwimmbade abgesehen — und dient hauptsächlich nur für 
Klosett- und Kanalspülung, Strassen- und Gartenbesprengung, Feuer- 
löschung und gewerbliche Zwecke. 

V. Der Wasserverbrauch. 

Wie sich die Wasserabgabe mit der Zeit entwickelt hat, zeigt 
die in Tafel 20 wiedergegebene zeichnerische Darstellung des Trink- 
wasserverbrauchs, des Nutzwasserverbrauchs, der Einwohnerzahl, des 
Verbrauchs auf die Zeit- und Bevölkerungs-Einheit sowie der Ergiebig- 
keit der verschiedenen Gruppen der Gewinnungsanlagen. Auch ist 
dort ersichtlich, auf welche Steigerung der Wasserabgabe und auf 
welche weitere Entwickelung der Werke in den nächsten Jahrzehnten 
sich die Wasserwerks- Verwaltung einzurichten gedenkt. Die Ein- 
wohnerzahl stieg in den letzten beiden Jahrzehnten von einer Volks- 
zählung zur anderen, also jeweils in 5 Jahren, gleichmäßig um 16^/o 
und der Wasserverbrauch auf den Kopf der Bevölkerung und Tag 
ebenfalls von 5 zu 5 Jahren um 10 Liter. Eine gleiche Zunahme 
wird einstweilen auch für die Zukunft vorausgesetzt. 

Die Abhängigkeit des monatlichen Wasserverbrauchs von der 
Jahreszeit kann für das Jahr 1907/08 der oben unter Abschnitt II d 
gegebenen Tabelle entnommen werden. 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 



39 



Es betrug im Jahre 1907/08 

beim Trinkwasser 
die geringste Monatsabgabe 89,2 Proz., die grösste 
„ „ Wochenabgabe 85,9 „ y, n 

„ „ Tagesabgabe 66,3 ^ ^ 

beim Nutzwasser 
die geringste Monatsabgabe 74,5 Proz., die grösste 
„ „ Wochenabgabe 69,9 „ j, v 

„ y, Tagesabgabe 47,3 „ 

beim Gesamtverbrauch 
die geringste Monatsabgabe 86,5 Proz., die grösste 
„ „ Wochenabgabe 83,0 „ „ „ 

r, „ Tagesabgabe 64,5 

der durchschnittlichen. 

In demselben Jahre wurden abgegeben 



107,3 Proz., 
114,3 „ 
131,9 , 


135,8 Proz., 
160,5 , 
192,0 , 


111,7 Proz., 
119,3 , 
135,7 , 





Insgesamt 


Trinkwasser 


Nutzwasser 






Proz. der 




Proz. der 




Proz. der 




cbm 


Gesamt- 
summe 


cbm 


Gesamt- 
summe 


cbm 


Gesamt- 
summe 


Gegen Bezahlung 














nach Messern 


3191950 




2652463 




5894871) 




nach Schätzung 


12888 




12888 






zusammen . 


3204838 


74,1 


2665851 


75,5 


589487 


67,7 


oder in Prozenten der ganzen 














bezahlten Abgabe 


100 




88,2 




16,8 




Unentgeltlich 














a) nach Messern (hauptsäch- 














lich für öffentliche Zwecke) 


287656 


6,6 










b) ungemessen (Selbstver- 














brauch u. Spülung, Minder- 






868829 


24,5 


257 173 


82,8 


angabe der Wassermesser, 








' 






Verlust durch Undichtig- 














keit und Überlauf) .... 


838346 


19,8 










oder in Prozenten der ganzen 














unbezahlten Abgabe .... 


100 




77,0 




23,0 




Gesamtsumme . 


4325840 


100 


8529180 


100 


796 66Ö 


100 



J) Einschliesslich Augusta Viktoria-Schwimmbad. 



40 Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 

Von der bezahlten Abgabe entfielen 
auf die städtischen Zweigverwaltungen .... 345417 cbm 
r r Vereine, Staats- und öffentliche Ver- 
waltungen (ausser Staatsbahn in Wies- 
baden) 67497 ^ 

r r Staatsbahn 303 777 ^ 

r „ Gemeinde Bierstadt 16973 „ 

^ ^ „ Schierstein 22 „ 

^ aussergewöhnliche Zwecke 16887 „ 

- die Privatleute in Wiesbaden 2454265 „ 

zusammen . 3204838 cbm. 

Es möge gestattet sein, an dieser Stelle zu erwähnen, dass die 
Zuflüsse von den einzelnen Gewinnungsanlagen teils durch periodische 
Messungen mittels Messkammern mit senkrechten Wänden, teils durch 
Woltmannmesser und endlich auch durch geaichte Überfalle ermittelt 
werden, welche mit ScÜreibpegel ausgerüstet sind, dass ferner die 
Wasserförderung der Pumpwerke durch Hubzähler festgestellt wird. 
Mit der Zeit sollen überall Wassermesser mit Zählwerk oder Über- 
fälle mit Schreibpegel eingeführt werden. Die letztere Art der Messung 
hat sich hier sehr gut bewährt. Die neueste derartige Messvorrichtung 
besitzt der Kreuzstollen. Dieselbe ist insofern bemerkenswert, als sie 
einen von Herrn Oberingenieur Spieser konstruierten Überfall 
besitzt, bei welchem die Stauhöhen den Durchflussmengen pro- 
portional sind. 

VI. Finanzielles. 

Bis zum 31. März 1908 belief sich 
das gesamte Anlagekapital der Wasserwerke . . 12198644,41 M., 

die Tilgung und Abschreibung 2838335,87 „ 

und beträgt der jetzige Buchwert mithin . . . 9360308^54 M. 

Der Wasserpreis betrug bis zum 31. März 1904 gleichmäßig 
für Nutz- und Trinkwasser 25 Pfg., seither 30 Pfg. für 1 cbm. Zu 
einem ermäßigten Preise wird Trinkwasser aushilfsweise abgegeben 
an die Gemeinden Dotzheim und Schierstein und zwar als vertragliche 
Gegenleistung für die Erlaubnis zur Durchlegung von Rohrleitungen, 
Nutzwasser an das Augusta Viktoria - Schwimmbad und die Bahn. 
Bei letzterer nimmt der Preis stufenweise mit der Menge und der 
Härte des Nutzwassers ab. 



itr StaiWmAU^. 






dilk^Mi kBGOtr 




Tafel 17. 



Kt^dcfimMm: 



C^HnUr RS 




OtÄnvtt r^ 



^fT^Prf-n^ 




n.. 



irf-—fir 



Jl.* Hof»»- t*tt*A,/, TkA auf /¥. A/ 



^fUU^vkx^dei '^kUu 01« i. ^ 



4 



^^//i^^'^^ 



f' 



DieKelmzahl wurde ermlHBlt nach 1S-17 Tagen Brutzeit. 



BakferiDlagid 

dBsMlschwas5Eis 



vn«f*DHDteij 




10837 



che Unfersuchungen 

5 der Brunnen Bv-Bxvi. 



6b>szum-i».gJri> 18H 



Tafel 18. 

lAnzahldErKeimeini RohNirasGEr 

I • ■ ». c •'■ ozonlslerlBn^O(fesEr 



i5ür 



Februar 




I^Trlnkw J [^Als Trln Wasser bB.nuJzl J 



Ov 



f^S 



I ..- 



'oi 



Ol '^■ 
:nl m 

-£ ä 



' t r 



I'' .' 



y 



Ji- 



m 




i' i 



^'h: 



g 
u 



II 



^ 






m 
ra 

CTJ 

ra 
\~^ 

DJ 
LD 
LH 

ra 



QJ 
LJ 



tl 




""HlDZJaui/OMUlJ 











> 



J 

C 



I I 

• • 

I I 
i ! 






LD U 



re oj 
5 -^ 



m 

f3 



d 



h- 



t/1 »^ c 

CU CU Q] 

" p: > 
u 

Q] 



ä^ 



i 



Halbertsma und Spieser, Wasserversorgung. 41 

Obgleich die Selbstkosten für das Nutzwasser um ein geringes 
niedriger sind als für das Trinkwasser, wurde von einer Ermäßigung 
des Nutzwasserpreises aus Gründen der öffentlichen Gesundheitspflege 
abgesehen, um möglichst einer Verwendung des Nutzwassers zu 
Genusszwecken vorzubeugen. 

Die komplizierte Beschaffenheit der Wiesbadener Wassei-werke, 
welche durch die ungünstigen hydrologischen Verhältnisse der Um- 
gebung bedingt wird, hat selbstverständlich auf die Wirtschaftlichkeit 
der Werke einen ungünstigen Einfluss ausgeübt, und es ist z. Zt. 
der Wasserwerks- Verwaltung nicht möglich, an die städtische Haupt- 
verwaltung nennenswerte Überschüsse abzuführen und dabei das 
Wasser für öffentliche Zwecke unentgeltlich zu liefern. Indessen: 
wohl liefert manch andere Stadt ihren Einwohnern billigeres Wasser 
als Wiesbaden, aber kein besseres. 



0. Beseitigung der Abfallstoffe. 



I. Die Kanalisation. 

Von Oberingenieur Frensch. 



!• Anlage der Kanalisation. 

Zur Aufiiahme des Abwassers von Wiesbaden dienten von 
altersher fünf, am südlichen Abhang der benachbarten, sehr wald- 
reichen Taunusberge entspringende Gebirgsbäche, die die Stadt als 
offene Wasserläufe durchfliessen und nach ihrer Vereinigung ihr 
Wasser dem Rhein zuführen. 

Sämtliche Bäche (der Rambach, Dambach, Schwarzbach, Kessel- 
bach und Wellritzbach) flössen nach ihrer Vereinigung — etwa von dem 
jetzigen Bismarckplatz ab — unter dem Namen Salzbach durch das in 
südlicher Richtung verlaufende Salzbachtal. Dieses bildet für die 
Abflussmengen den einzigen Ausgang aus dem rings von Hügeln um- 
gebenen Talkessel, in dem Wiesbaden liegt. Der Salzbach hat also die 
gesamten, nicht unbedeutenden Mengen des aus dem sehr beträcht- 
lichen Einzugsgebiet zusammenströmenden Niederschlagswassers auf- 
zunehmen, um sie bei Biebrich dem Rhein zuzuführen. 

Das einer grossen Anzahl heisser Mineralquellen entspringende 
Wasser floss ehemals oberirdisch den Bächen zu. Schon frühzeitig 
mag sich das Bedürfnis herausgestellt haben, den offenen Abfluss 
-der heissen Quellen besser zu regeln, was zur Anlage von Kanälen 
geführt hat. So war bereits im Jahre 1809 — also vor nunmehr 
100 Jahren — als Wiesbaden etwa 4000 Einwohner zählte, ein 
Kanalnetz entstanden, wie es aus dem nebenstehend abgebildeten 
Kärtchen ersichtlich ist. 

Dieses Kanalnetz, das auch zur Aufnahme des Schmutzwassers 
dienen musste, entsprach jedoch weder in technischer noch in gesund- 
heitlicher Beziehung den Anforderungen, die an eine solche Anlage 
gestellt werden müssen. 



Frensch, Die Kanalisation. 



43 



DIE ENTWÄSSERUNG VON WIESBADEN 
IM JAHRE 1809. 




t Fn-nulpühii 

4 H(frniFiühli 
PUttmühfi 



m 10 



m m 



Marsstab 



44 Frensch, Die Kanalisation. 

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde es dann erforderlich, 
die immer mehr aufblühende Stadt in reichlicherer Weise, als bis 
dahin geschehen, mit Trinkwasser zu versorgen. Mit dem zunehmenden 
Verbrauch an -Reinwasser steigerte sich naturgemäß auch die Menge 
des abzuleitenden Schmutzwassers, was zur Folge hatte, dass mehr 
und mehr auf eine zweckmäßigere Wasseräbleitung Bedacht genommen 
werden musste. Man baute daher die vorhandenen Kanäle besser 
aus, legte auch in den neu entstandenen Strassen neue Kanäle an, 
die in Bezug auf Material und Ausführungsweise wohl bedeutend 
besser als die alten Anlagen, immerhin aber nur den damaligen 
augenblicklichen Erfordernissen Rechnung trugen. Den Kanälen wurde 
das gesamte Regen-, Brauch- und Gewerbewasser, sowie überschüssiges 
und benutztes Thermalwasser zugeleitet, ausserdem aber auch das 
Abwasser aus Überlaufleitungen von zahlreichen Abortgruben, an 
welche die Aborte mit Wasserspülung angeschlossen waren. Mit 
der zunehmenden Ausdehnung der Stadt, deren Einwohnerzahl um 
die Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bereits auf 
44000 angewachsen war, steigerte sich natürlich auch ständig die 
Menge des abzuleitenden Schmutzwassers. Das gesamte Abwasser 
wurde nach wie vor den Bächen zugeleitet, die innerhalb der Stadt 
überwölbt worden waren und nun gewissermaßen als Sammelkanäle 
dienten. Da sämtliche Bäche ihr Wasser dem Salzbach zuführten, 
so hatte dieser schliesslich auch alles Schmutzwasser aufzunehmen, 
wodurch eine sehr starke Verunreinigung des Bachwassers entstand. 
Der Salzbach musste ausserhalb der Stadt, auf seinem unteren Lauf, 
den er in einem offenen Bachbett zurücklegte, die Stauanlagen von 
sieben Mühlen durchfliessen und gebrauchte daher bis zum Rhein 
das 4 bis 5 fache derjenigen Zeit, die bei freiem und ungehindertem 
Durchfluss erforderlich gewesen wäre. Infolge der geringen Ge- 
schwindigkeit — und beeinflusst durch die höhere Temperatur des in 
dem Abwasser enthaltenen Thermalwassers — gingen die vom Wasser 
mitgeführten Stoffe unterwegs in Fäulnis über. Wenn auch in der 
Stadt derartige, mit den Entwässerungsanlagen zusammenhängende 
Übelstände nicht ohne weiteres wahrgenommen werden konnten, so 
wurden doch die Zustände im Salzbachtal mit der Zeit ganz unhalt- 
bare. Die Stadtverwaltung sah sich daher nach mehrjährigen Ver- 
handlungen mit der Staatsbehörde gezwungen, für Abhilfe Sorge zu 
tragen und zwecks Reinhaltung des Bachwassers die Herstellung 
besonderer Sammelkanäle zur Ableitung des Schmutzwassers, sowie 
den Bau einer Reinigungsanlage in die Wege zu leiten. 



Frensch, Die Kanalisation. 45 

Daraufhin wurde im Jahre 1886 der Entwurf für die Anlage 
einer einheitlichen Schwemmkanalisation nebst Abwasser-Reinigungs- 
anlage aufgestellt und alsbald nach dessen Genehmigung durch die 
Königl. Regierung mit der Ausführung begonnen. Damals zählte 
Wiesbaden etwa 56000 Einwohner. Dem Kanalisationsprojekt wurde 
als Entwässerungsgebiet für die Schmutzwasserkanäle eine zukünftige 
bebaute Fläche von rund 1100 Hektar mit einer zukünftigen Be- 
völkerungsziffer von 150000 Einwohnern zugrunde gelegt. 

Die Berechnung der Kanalisation erfolgte auf Grund folgender 
Annahme : 

1. Die grösste Niederschlagshöhe wurde mit 35 mm pro Stunde 
angenommen, entsprechend einer Niederschlagsmenge von 97 Liter 
pro Hektar und Sekunde. 

2. Infolge Versickerung und Verdunstung eines Teiles des Wassers 
bleiben von den gesamten Niederschlagsmengen durch die Kanäle 
abzuleiten : 

a) aus Waldgebieten . . . . . . 13 Prozent, 

b) aus Feldgebieten . 27 „ 

c) aus villenartig bebauten Gebieten .37 ., 

d) aus weitläufig bebauten Gebieten .55 „ 

e) aus dicht bebauten Gebieten ... 75 „ 

3. Die Verzögerung im Abfluss gelangte zum Ausdruck durch die 
Anwendung des Verzögerungs-Koeffizienten: 

I 



VF' 
wobei F die Fläche des zu entwässernden Gebietes in Hektar 
bedeutet. 

4. Die grösste abzuleitende Schmutzwassermenge war mit 0,0015617 
Liter pro Sekunde und Kopf der Bevölkerungsziffer berechnet, 
woraus sich die Schmutzwassermenge der zu entwässernden 
Flächen in Sekundenliter pro Hektar mit: 

0,15 für villenartig bebaute Gebiete, 
0,40 für weitläufig bebaute Gebiete, 
0,65 für dicht bebaute Gebiete 
ergab. 

5. Zur Ermittelung der Kanalquerschnitte fand die Formel 
Anwendung : 



«-"V.T^ 



R.J_ 

ß 
R 



46 Frensch, Die Kanalisation. 

Hierbei bedeutet: 

M die abzuleitende Wassermenge; 

F die vom Wasser eingenommene Querschnittsfläche; 

F 

R den hydraulischen Radius y?-, wobei 

U der vom Wasser benetzte Umfang ist; 
J das Gefälle im Verhältnis zur Länge der betreffenden 
Kanalstrecke ; 

} = 0,00000884 ) ß^uhigkeits-Koeffizienten. 

Diese Grundlagen waren im allgemeinen für die Weiter- 
entwickelung der Kanalisation maßgebend. 

Im Laufe der Jahre zeigten die Beobachtungen des Wasser- 
standes in den Kanälen, sowie die Aufzeichnungen der inzwischen 
an mehreren Stellen über das ganze Stadtgebiet verteilt angeordneten 
selbstaufzeichnenden Regenmesser, dass die dem Entwurf zugrunde i 
gelegte grösste Regenhöhe von 35 mm pro Stunde in Wirklichkeit \ 
oftmals überschritten wird. Deshalb wurde im Jahre 1895 diese ] 
Annahme auf 42 mm pro Stunde erhöht. Um aber auch weiter- s 
gehenden Anforderungen bei [den oft mit grosser Heftigkeit nieder- \ 
gehenden Gewitterregen gerecht werden zu können, wird seit dem | 
Jahre 1901 den Berechnungen der Kanäle eine Niederschlagshöhe \ 
von 50 mm pro Stunde zu Grunde gelegt, was einer Niederschlags- 
menge von rund 140 Liter pro Hektar und Sekunde entspricht. Zur 
Ermittelung der Abflussmengen sind der Einheitlichkeit halber die ] 
vorgenannten Prozentsätze für die verschiedenen Bebauungsarten 
beibehalten worden. 

Die ausserordentlich rasche bauliche Entwickelung Wiesbadens 
während des letzten Jahrzehntes Hess es notwendig erscheinen, das 
für die Schmutzwasserkanalisation im Entwurf vom Jahre 1886 vor- ^ 
gesehene Entwässerungsgebiet entsprechend der zu erwartenden | 
späteren Ausdehnung der Stadt zu erweitern. Die Erweiterung wurde 
so bemessen, dass nunmehr im allgemeinen die Wasserscheiden und 
Waldbestände die Grenzen des Entwässerungsgebietes bilden. Das 
neue Gebiet umfasst auch diejenigen Gemarkungsteile der benachbarten 
selbständigen Gemeinden, die ihrer Lage nach die Entwässerungs- 
vorflut nach dem Salzbach haben und zur städtischen Bebauung 
geeignet sind. Es ist deshalb Vorsorge getroffen worden, das auf ■ 
diese Flächen auffallende Niederschlagswasser sowohl, als auch das •; 
sich ergebende Schmutzwasser in die Wiesbadener Kanalisation auf- \ 



Fr ein seh, Die Kanalisation. 47" 

zunehmen. Das für die Schmutzwasserkanalisation in Betracht zu 
ziehende und für die spätere Behauung sich eignende Gebiet ver- 
grössert sich dadurch gegenüber den Annahmen des Entwurfs vom 
Jahre 1886, von rund 1100 ha auf nunmehr rund 2400 ha mit einer 
zukünftigen Bevölkerungszahl von rund 150000 Einwohnern auf 
rund 350000 Einwohner. Zu diesem Gebiet kommen noch die auch 
künftig unbebaut bleibenden Wald-, Feld-, Wiesen- usw. Flächen, 
die das Einzugsgebiet der Bäche bilden. Diese Teile mit eingerechnet 
umfasst das Gesamtentwässerungsgebiet von Wiesbaden, dessen Vorflut 
der Salzbach bildet — wobei das Einzugsgebiet des Wäschbaches 
nicht berücksichtigt ist — einen Flächenraum von rund 6600 ha 
und erstreckt sich bis zu dem Gebirgskamm des Taunus mit den 
bekannten Höhenpunkten „Kellerskopf", „Jagdschloss Platte**, „Hohe 
Wurzel" usw. (Tafel 21^ Wiesbaden und Umgebung, Einzugsgebiete.)- 

Die Festsetzung der Bebauungsgrenzen des Entwässerungs- 
gebietes ist von wesentlichem Einfluss auf die Grössenbemessung der 
Sammelkanäle, weil bei heftigen Regengüssen von bebauten Flächen 
bedeutend mehr Wasser zum Abfluss gelangt und dieses die Vorflut- 
kanäle viel schneller erreicht, als dies bei unbebauten Gebieten der 
Fall ist. Auf letzteren wird ein grosser Teil des Niederschlags- 
wassers durch Versickerung, Verdunstung, Tümpelbildung usw. 
zurückbehalten, und die vorhandenen Abflussrinnsale mit rauhen 
Sohlen und Wandungen bedingen, dass der abfliessende Rest des 
Wassers längere Zeit braucht, bis er den als Vorflut dienenden 
Wasserlauf erreicht. 

Die Erweiterung des Entwässerungsgebietes machte durch- 
greifende Veränderung der vorhandenen Vorflutanlagen für die Kanali- 
sation erforderlich, die infolge der zwischenzeitlich bereits erfolgten 
Ausdehnung des bebauten Stadtgebietes nicht mehr imstande waren,, 
bei heftigen Regengüssen die zum Abfluss kommenden Wassermassen 
in unschädlicher Weise abzuleiten. 

Die Ausführung des Um- bezw. Neubaues der Kanalanlagen 
wurde veranlasst und beschleunigt durch die Herstellung des neuen 
Hauptbahnhofes und der zugehörigen Gleisanlagen. Das ehemalige 
Bahngelände, zwischen Ringstrasse und Rheinstrasse, wurde für die 
Bebauung und für die Anlage neuer Strassen frei. Die dort vor- 
handenen Vorflutkanäle, deren Führungslinien den früheren Zufahrts- 
wegen entsprachen, mussten daher den neuen Strassenzügen angepasst 
und infolgedessen umgebaut werden. Mit der Herstellung der neuei> 



48 Frensch, Die Kanalisation. 

Gleisanlagen war eine völlige Umgestaltung des Salzbachtales ver- 
bunden, die Veränderungen des Salzbachlaufes erforderlich machten. 

Als Ersatz für die bisherigen mussten neue Vorflutanlagen 
geschaffen werden, deren Grössenverhältnisse der Erweiterung des 
Bebauungsgebietes anzupassen waren. 

Schon im Jahre 1897 war der untere Salzbachlauf in Biebricher 
Gemarkung zwischen dem Rhein und der Kläranlage auf dem Gelände 
•der ehemaligen Spelzmühle reguliert und mittelst Bruchstein-Ausrollung 
befestigt worden. Nachdem die kreuzenden Bahnanlagen im oberen 
Teile dieser Strecke fertiggestellt waren, konnte auch hier die Tiefer- 
legung der Bachsohle und die Vergrösserung des Grabenquerschnittes 
fortgesetzt werden. 

Zur Ableitung des in der Reinigungsanlage von den mitgefühlten 
.Schmutzstoffen befreiten Abwassers nach dem Rhein, welchem Zweck 
früher der offene, ehemalige Mühlgraben diente, wurde der Haupt- 
kanal nach dem Rhein, eine unterirdische Leitung aus gusseisernen 
Röhren von 1000 mm Durchmesser, hergestellt und im Jahre 1907 
in Betrieb genommen. ^ 

Unter den neuen Gleisanlagen, etwa 1600 m südlich des neuen 
Bahnhofs - Empfangsgebäudes beginnend, bis zum Kaiserplatz wurde 
anstelle des früher offenen Bachlaufes der Salzbachkanal in den 
Jahren 1900 bis 1903 von der Eisenbahnverwaltung im Einvernehmen 
mit dem städtischen Kanalbauamt und nach dessen Entwürfen — 
eingegliedert in das städtische Kanalsystem — zur Ausführung 
gebracht. Die Weiterführung des Bachkanals im Zuge der neuen 
Kaiserstrasse und durch die Wilhelmstrasse erfolgte in den Jahren 
1905 bis 1907. Im Frühjahr 1907 erfolgte der Anschluss des 
bestehenbleibenden alten Doppelkanals in den Anlagen „am warmen 
Damm" nächst der Museumstrasse mit dem neuen Salzbachkanal. 
Mit diesem Zeitpunkt konnte der bisherige, seitKch der neuen Strecke 
hinziehende alte Salzbachkanal ausser Betrieb _gesetzt werden. 

Fast gleichzeitig mit dem Bachkanal gelangten von der Abwasser- 
reinigungsanlage ab bis in die Wilhelmstrasse zu beiden Seiten des 
Bachkanals neue Sammelkanäle der Schmutzwasserkanalisation als 
Ersatz für den ebenfalls unzureichenden alten Hauptsammelkanal zur 
Herstellung. Davon ist der auf der Westseite befindliche Haupt- 
sammelkanal durch die Wilhelmstrasse, sowie später in der Richtung 
nach Sonnenberg fortgesetzt worden und so bemessen, dass sein 
Fassungsvermögen genügt, um auch aus dem ganzen Sonnenberger 
und Rambacher Entwässerungsgebiet, sowie einem grossen Teil des 



- -_J 



Frensch, Die Kanalisation. 49 

Bierstädter Entwässerungsgebiets das gesamte Niederschlagswasser 
bis zu dem neuen Bachkanal in der Wilhelmstrasse zu führen und 
auf diese Weise von dem die Kuranlagen durchziehenden offenen 
Raöibachlauf fernzuhalten. 

Auch die bisherige Abwasserreinigungsanlage genügte den an 
sie zu stellenden Anforderungen nicht mehr. Der Entwurf für eine 
neue Anlage ist bereits aufgestellt und soweit gefordert worden, dass 
nach erfolgter endgültiger Genehmigung durch die Königliche Staats- 
regierung die demnächstige Inangriffnahme der Ausführungsarbeiten 
bevorsteht. 



Die Kanalisation von Wiesbaden ist nach dem Schwemmsystem 
und zwar dem Misch verfahren angelegt ; trotzdem besteht das Kanal- 
netz aus Schmutzwasser- und Bachwasserkanälen, die zu gewöhnlichen 
Zeiten ihr Wasser vollständig getrennt von einander ableiten. 

Das gesamte, in den Haushaltungen, Gewerbebetrieben usw. 
erzeugte Schmutzwasser, einschliesslich der Abgänge aus den Spül 
aborten, sowie alles auf Dach-, Hof- und dergleichen Flächen ent- 
fallende Niederschlagswasser gelangt durch die Hausentwässerungs- 
leitungen, mit denen jedes bebaute Grundstück versehen ist, in 
die Schmutzwasserkanäle. Das auf die Strassenflächen treffende 
Regen- pp. Wasser wird durch die Strassensinkkasten und deren 
Anschlussleitungen ebenfalls den Schmutzwasserkanälen zugeführt. 
Die einzelnen, zur Aufnahme des Abwassers dienenden Strassenkanäle 
vereinigen sich an den Strassenkreuzungen und senden ihr Wasser 
weiter nach den Sammelkanälen. Die Sammelkanäle verlaufen jeweils 
in dem am tiefsten gelegenen Strassenzug eines jeden der 22 Ent- 
wässerungsgebiete, in die das gesamte künftige Bebauungsgebiet der 
Stadt zerlegt ist. (Tafel 22, Entwässerungsgebiete und Sammelkanäle 
der Stadt Wiesbaden von 1897.) 

Die verschiedenen Sammelkanäle münden in den Hauptsammel- 
kanal, der sich im Salzbachtal hinzieht und das Schmutzwasser nach 
der ebenfalls im Salzbachtale, nahe bei der Gemarkungsgrenze auf 
Biebricher Gebiet befindlichen Abwasser-Reinigungsanlage leitet. Hier 
wird das Abwasser durch Rechen- und Sandfang -Anlagen, die es 
mit geringerer Geschwindigkeit durchfliesst, von den mitgeführten 
Sink-, Schwimm- und Schwebestoffen befreit und dann unterirdisch 
durch den Hauptkanal dem etwa 3 km entfernten Rhein oberhalb 
Biebrich zugeführt. 



50 



Frensch, Die Kanalisation. 



imiLiiiiuui ^ 



1 



f 



f r 




Frensch, Die Kanalisation. 51 

Dort endet diese Rohrleitung aber nicht etwa unmittelbar am 
Rheinufer, sondern sie ist noch 100 m weit quer unter der Rhein- 
sohle bis in den stärksten Stromstrich weitergeführt, wodurch erreicht 
wird, dass bei der Ausmündung das aus der Rheinsohle aufsteigende, 
von allen grobsinnlich wahrnehmbaren Verunreinigungen befreite 
Schmutzwasser sich mit dem Rheinwasser sofort innig vermischt und 
infolge des ausserordentlich grossen Verdünnungsverhältnisses zu 
keinerlei ünzuträglichkeiten Veranlassung geben kann. (Abb. S. 50.) 

Die Bachwasserkanäle dienen zu Trockenwetterzeiten nur für 
die Ableitung des der Stadt von ausserhalb zufliessenden Bachwassers 
und dürfen keine seitlichen Anschlüsse von Hausentwässerungsanlagen 
oder von Strassensinkkasten erhalten. Solche Bachkanäle bestehen 
für den Rambach und den Schwarzbach innerhalb des bebauten Stadt- 
gebietes, während die verhältnismäßig geringe Wassermenge des 
Dambaches von der Schmutzwasserkanalisation mit aufgenommen wird. 
Das Niederwasser des Wellritz- und des Kesselbaches wird beim 
Eintritt dieser Bäche in die Stadt durch gusseiserne Rohrleitungen 
aufgenonmien und entweder nach einem, auf einem Höhepunkt be- 
legenen unterirdischen Sammelbehälter geleitet, um von dort aus zur 
Kanalspülung Verwendung zu finden, oder, sofern hierfür kein Bedarf 
vorliegt, dem Bachkanal in der Wilhelmstrasse unmittelbar zugeführt. 
Das Flutwasser dieser beiden Bäche ergiesst sich in die Sanmiel- 
kanäle der betreffendien Entwässerungsgebiete, die sich zum Faulbach- 
kanal vereinigen, und fliesst, mit deren Abwasser vermischt, weiter 
bis zum Regenauslass an der Ecke der Friedrich- und Wilhelmstrasse, 
wo es dem Salzbachkanal in der Wilhelmstrasse zugeleitet wird. 

Bei Eintritt heftiger Regengüsse werden die Bachkanäle zur 
Entlastung der Schmutzwasserkanäle benutzt. Zu diesem Zwecke 
sind an geeigneten Stellen in den Sammelkanälen der Schmutzwasser- 
Kanalisation Regenauslassbauwerke mit anschliessenden Verbindungs- 
kanälen nach den Bachkanälen angeordnet. Diese besitzen seitlich, 
entlang dem durchgehenden Gerinne des Schmutzwasserkanals, ein 
Überfallwehr, dessen Oberkante in seiner Höhenlage zur Kanalsohle 
der Durchflusshöhe des fünffachen Trocken wetterabflusses entspricht. 
Zur rechnungsmäßigen Ermittelung dieser Wassermenge wird das 
oberhalb liegende Entwässerungsgebiet als in dem vorgesehenen 
Umfange vollständig bebaut angenommen. Der obere Teil des weiter- 
gehenden Kanalprofils ist mittelst Dammbalken abgesperrt, so dass 
nach der Reinigungsanlage nur die Wassermenge gelangt, deren 
Durchflusshöhe die Wehrkrone nicht übersteigt. Sobald durch Hinzu- 



52 



Frensch, Die Kanalisation. 







2> 









r 



r3 — N — r 



Frensch, Die Kanalisation. 53 

tritt von Regenwasser dieses Maß überschritten wird, ist das Kanal- 
wasser genügend verdünnt, um ohne weiteres in die öffentlichen 
Wasserläufe eingeleitet werden zu dürfen. Das Wasser stürzt dann 
über die Wehrkrone in das anschliessende Gerinne des jeweiligen 
Regenauslasses, der in den nächstgelegenen Bachkanal mündet, 
vermischt sich hier mit dem Bachwasser und fliesst unmittelbar — 
unter Umgehung der Reinigungsanlage — durch den Salzbach bei 
Biebrich in den Rhein. 

Die nebenstehende Abbildung lässt erkennen, in welcher Weise 
das Abwasser durch die Hausleitungen in die Schmutzwasserkanäle 
und von da — sobald der erforderliche Verdünnungsgrad erreicht 
ist — in den nächsten Bachkanal gelangt. 

Die Oberflächengestaltung des Gesamt - Entwässerungsgebietes 
der Stadt gestattete, dass die Kanäle durchweg gute Gefälle erhalten 
konnten. Die Ausführung der Kanalisation erfolgt unter Verwendung 
der härtesten und zweckentsprechendsten Materialien nach den besten 
und anerkannten Regeln der heutigen Kanalisationstechnik. Kleinere 
Kanäle gelangen aus Betonröhren mit eiförmigem Querschnitt in den 
Abmessungen von 30/20 cm bis 60/40 cm, oder bei stärkeren Gefällen, 
wo die Schleifwirkung von Geschiebe in Frage kommt, aus glasierten 
Steinzeugröhren bester Beschaffenheit mit kreisrundem Querschnitt 
von 25 cm bis 40 cm Durchmesser zur Herstellung. Grössere Kanäle, 
ebenfalls in Eiform, werden in der Regel gemauert und bestehen je 
nach ihren Abmessungen aus einem oder mehreren 12 cm starken 
Mauerwerksringen, die mittelst durchgehenden Zementmörtel-Zwischen- 
lagen miteinander verbunden sind. Der innere Ring wird aus Normal-, 
Keil- und sonstigen Formsteinen des besten und härtesten Klinker- 
Materials mit glatter Ausfugung im Innern hergestellt, während für 
die äusseren Ringe hartgebrannte Ringofensteine Verwendung finden. 
Mehrringiges Mauerwerk wird mit einem 2 cm starken Zementverputz 
über den Gewölberücken versehen. Die Sohle der gemauerten Kanäle 
wird aus glasierten Steinzeug-Sohlstücken besten Materials hergestellt. 
Die Sonderbauten werden in gleicher Weise gemauert. Die Sohlen 
sämtlicher Einsteigeschächte erhalten die Querschnittsfomi der be- 
treffenden durchgehenden Kanäle. Rohrkanäle gelangen zwischen je 
zwei Einsteigeschächten gradlinig zur Ausführung, während die etwa 
erforderlichen Richtungsänderungen durch bogenförmige Krümmungen 
in den Schächten erreicht werden. Bei gemauerten Kanälen, deren 
Führungslinie Richtungsänderungen erfährt, kommen möglichst grosse 
Krümmungshalbmesser zur Anwendung. Profilwechsel werden durch 



Tafel 24. 




CO 

n 



biO 

n 
n 

:3 

E 

c 



'.VJ 

C 


-•-' 

JZ 


C3 


U 


^ 


(U 


x: 




u 


i- 


cd 


<u 


cn 


(0 




c« 




^ 




T3 




n 




3 




u. 




O 




-o 




n 




3 



C/) 



n 






Tafel 25. 




E 
E 

:3 



C3 
C 
CO 

c« 
OQ 



Tafel 25, 




E 
E 



GS 
GS 



Frensch, Die Kanalisation. 55 

Durch den Eingangsschacht an der Südseite des Kaiser Wilhelm- 
Ringes, östlich vom Empfangsgebäude des Hauptbahnhofes, gelangt 
man auf einer bequemen steinernen Wendeltreppe in das Verbindungs- 
und Regenauslassbauwerk für die Sammelkanäle der östlichen Stadtteile. 
Dieses Bauwerk zeigt die Vereinigung von drei Schmutzwasserkanälen, 
deren Weiterfiihrung in einem gemeinsamen Kanal, sowie die An- 
ordnung eines Regenauslasses. 

Eine zweite Wendeltreppe führt hinab in den um etwa 4 m 
tiefergelegenen Verbindungsgang nach dem Salzbachkanal (siehe 
Tafel 23, 24 und 25). 

Der Bachkanal, der dem Zuge der Kaiserstrasse und Wilhelm- 
strasse folgt, ist 4 m hoch und 5 m breit. Er besitzt ein Gefälle 
von 1:280 und ist imstande, 62000 Liter in der Sekunde abzuleiten. 
Die in der Mitte der Sohle befindliche Niederwasserrinne dient zur 
Aufnahme des Bachwassers zu Trocken wetterzeiten, während b^i 
heftigen Regengüssen das abzuleitende Wasser die ganze Profilbreite 
einnimmt und mit der Zeit infolge der sich stetig ausdehnenden 
Bebauung und deshalb entsprechend zunehmenden Abflussmenge die 
Höhe des Kanalscheitels erreichen wird. 

Die Offnungen der Luftschächte, die für ausreichende Luft- 
erneuerung sorgen, sind in Abständen von etwa 40 m im Kanal- 
scheitel sichtbar. Die Zugänglichkeit des Bachkanals wird durch 
Treppenschächte, die in etwa 300 m Entfernung voneinander angeordnet 
sind, sowie durch die zwischen je 2 Treppenschächten befindlichen 
Einsteigschächte für die Betriebsmannschaft vermittelt. Seitlich ein- 
mündende, entlang dem Kanal hergestellte Sickerleitungen dienen 
zur Absenkung des früher hier sehr hohen Grundwasserstandes und 
bezwecken, das angrenzende Baugelände in gesundheitlicher Hinsicht 
wertvoller zu machen, sowie das Kanalgewölbe trocken zu halten. 
Sie besitzen an den Einmündungen Rückstauklappen, die verhüten, 
dass bei steigenden Bachwasserständen infolge der bei heftigen Regen- 
güssen in Tätigkeit tretenden Regenauslässen, mit Kanalwasser ver- 
mischtes Bachwasser in den Untergrund gelangt und dort gesundheit- 
liche Missstände hervorruft. 

Ferner münden eine Anzahl Regenauslasskanäle in den Bach- 
kanal, die bei heftigen Regengüssen zur Entlastung der zu beiden 
Seiten befindlichen, etwa 2,25 m höher als die Bachkanalsohle liegenden 
Sammelkanäle der Schmutzwasser-Kanalisation dienen. Die Höhenlage 
letzterer Kanäle im Verhältnis zum Bachkanal ist so bemessen, dass 
auch bei dem höchsten, rechnungsmäßig ermittelten Wasserdurchfluss 



56 Frensch, Die Kanalisation. 

im Bachkanal kein ßückstau nach den Schmutzwasserkanälen, sondern 
umgekehrt deren Entlastung nach dem Bachkanal infolge des sich 
einstellenden Wasserspiegel-Überdruckes gewährleistet wird. 

An der Luisenstrasse befindet sich die Einmündung der Spül- 
^asserleitung, die das Niederwasser des Wellritz- und des Kessel- 
baches bringt, während das Flutwasser dieser Bäche, sobald es die 
Wehrhöhe des Regenauslasses am Faulbachkanal tiberschreitet, sich 
im Verbindungsbauwerk an der Kreuzung der Friedrichstrasse mit 
dem Wasser des Rambaches und des Schwarzbaches vereinigt (siehe 
Tafel 26). 

Von diesem Vereinigungspunkt abwärts gilt der Name Salz- 
bachkanal. 

Der von oberhalb kommende vereinigte Rambach- und Schwarz- 
bach-Kanal ist 3,20 m breit und 3,20 m hoch. Er hat ein Gefalle 
von 1 : 80 und eine Leistungsfähigkeit von 50000 Liter in der 
Sekunde. Das obere Ende dieser Strecke ist an den bestehen- 
gebliebenen und höherliegenden, alten Doppelkanal in den Anlagen 
„am warmen Damm", oberhalb der Museumstrasse, angeschlossen 
(siehe Tafel 27). 

An der Museumstrasse fuhrt ein seitlicher Treppenaufgang aus 
dem Bachkanal nach einem Verbindungs-r und Regenauslassbauwerk, 
das dort in den Hauptsammelkanal eingebaut und in ähnlicher Weise 
wie das oben abgebildete Bauwerk am Kaiser Wilhelm -Ring aus- 
geführt ist. Nachdem man im Hauptsammelkanal, der hier 2,10 m 
hoch nnd 1,30 m breit ist, eine Strecke von etwa 100 m zurückgelegt 
hat, gelangt man zu einem seitlichen Gang, der die Wilhelmstrasse 
unterirdisch durchquert und in einer Wendeltreppe endet, die im 
Gehweg der Anlagen „am warmen Damm", gegenüber dem „Park- 
hotel", wieder ins Freie führt. 

Die zur öfi'entlichen Besichtigung freigegebene Kanalstrecke ist 
etwa 1300 m lang, elektrisch beleuchtet, gut entlüftet und trockenen 
Fusses bequem zu begehen. 

Die Herstellungskosten der Kanalanlagen in der Kaiserstrasse 
und Wilhelmstrasse, also des Bachkanals und der seitlich parallel 
verlaufenden Schmutzwasser-Sammelkanäle, haben etwa 1500000 M 
betragen. 

Insgesamt hat die Wiesbadener Kanalisation bis Juni 1908 
einen Kostenaufwand von rund 10 Millionen M erfordert. Von dieser 
Summe entfallen allein auf die Vorflutanlagen 4 Millionen M. 



Tafel 26, 




2 ^ 

x: OQ 

03 O 



P ^ N 
t- (/} k. 



t; ^ ^ 
3 i:i y 
^"5 1 

-O C 

<u 

C '^ 

:3 

|S 

TD c« 
C ^ 

■■£•5 

o» 
TD 






Tafel 27. 




C 
cd 

u 

Co 

c 



c 
c 

cd 

c« 
C 
c« 

u 

c« 
OQ 

C 



C/3 
TD 
c/) 

u 

C/) 

c 

< 



Frensch, Die Kanalisation. 57 

!]• Kanalbetrieb und Abwasserreinigung. 

Das einfachste der zur Reinhaltung des Kanalnetzes in 
Betracht kommenden Mittel ist eine wirksame Wasserspülung. Zur 
Erreichung dieses Zweckes werden bei der Herstellung der Kanäle 
an geeigneten Stellen Spülschieber angeordnet, die sich, leicht 
zugänglich, in den Einsteigeschächten befinden. Die Kanäle der 
Seitenstrassen sind zu diesem Zwecke stets bis zu dem Kanal der 
oberhalb kreuzenden Strasse weitergeführt, wo sie in entsprechender 
Höhe über dessen Sohle abzweigen und durch einen Schieber abge- 
sperrt sind. Damit diese Absperrschieber, sofern sie nicht zu Spül- 
zwecken geöffiiet werden müssen, stets geschlossen bleiben, ist die 
am Schieber befestigte eiserne Bedienungsstange so lang bemessen, 
dass sie bei geöflhetem Schieber über den Rand der Schachtabdeckung 
hinausragt, so dass der Absperrschieber erst geschlossen werden muss» 
bevor der Schachtdeckel eingesetzt werden kann (Tafel 29, Abb. 4.) Hier- 
durch wird erreicht, dass bei eintretenden Regengüssen die abzuleitenden 
Wassermassen den richtigen Weg einhalten und nicht etwa durch offen- 
gebliebene Schieber der Seitenkanäle in andere Entwässerungsgebiete 
gelangen, deren Sammelkanäle alsdann durch Aufnahme dieser nicht 
hineingehörenden Wassermengen Überfüllungen ausgesetzt würden, 
wodurch in diesen fremden Entwässerungsgebieten Keller -Über- 
schwemmungen und sonstige Unzuträglichkeiten entstehen könnten. 
Durch den geschilderten Zusammenhang des Kanalnetzes wird erreicht, 
dass der Spülstrom durch beliebige, unterhalb liegende Kanalstrecken 
geleitet werden kann. Ausserdem wird man aber auch hierdurch 
noch in die Lage versetzt, die für die einzelnen Strassenkanäle zur 
Spülung zur Verfügung stehenden Schmutzwassennengen zu verstärken, 
infolgedessen man bei Ausübung des Spülbetriebs an Leitungswasser 
der öffentlichen Wasserversorgung ganz erheblich zu sparen vermag. 

In Schächten, in denen Seitenkanäle abzweigen, sowie an 
anderen von Fall zu Fall festgesetzten Stellen — hauptsächlich in 
Strecken mit geringen Gefällen — sind auch noch im Zuge der 
durchgehenden Kanäle entsprechend konstruierte Schieber eingebaut, 
was aus praktischen Gründen an der stromabwärts gelegenen Schacht- 
wand erfolgt. Die Spülschieber in den durchgehenden Kanalstrecken 
sind immer geöflftiet und werden nur zu Spülzwecken geschlossen. 
In letzterem Falle staut sich dann hinter dem geschlossenen Schieber 
im Schacht und in der oberhalb anschliessenden Kanalstrecke das 
Abwasser etwa einen Meter hoch an. Wird nunmehr je nach Er- 
fordernis entweder der eine oder der andere im Schacht befindliche 



58 Frensch, Die Kanalisation. 

Schieber plötzlich geöffnet, so stürzt die aufgespeicherte Wassermenge 
mit grosser Geschwindigkeit durch die freie Öffnung und durchspült 
kräftig die betreffende Kanalstrecke. Zur Spülung wird in erster 
Linie das in den Kanälen abfliessende Schmutzwasser verwendet. Um 
die Ansammlung der erforderlichen Spülmenge zu beschleunigen, 
•erfolgt in mehreren Entwässerungsgebieten bei Kanälen mit geringer 
Wasserführung eine Verstärkung des Spülstromes durch Bachwasser 
aus der Spül Wasserleitung oder aus dem Spülbehälter (s. Seite 51). 
Nur in den von der Spülwasserleitung nicht beherrschten Gebieten wird 
in vorgenannten Ausnahmefällen das fehlende Wasser mittelst Schläuchen 
den Hydranten der öffentlichen Wasserversorgung entnommen. 

Die Spülung allein ist jedoch zur gründlichen Reinhaltung des 
Kanalnetzes nicht ausreichend. Deshalb werden die Wandungen und 
Sohlen begehbarer Kanäle in bestimmten Zeitabschnitten unter Ver- 
wendung von Handbürsten und Besen abgewaschen. Bei nicht 
begehbaren Kanälen wird diese Reinigungsart durch die Bürsten- 
ziehung ersetzt. Die hierbei zur Verwendung kommendeh Kanal- 
bürsten — Siamfaser — sind in ihrer Form genau den einzelnen 
Profilen, der Rohrkanäle angepasst. (Tafel 28, Abb. 1 — 3.) 

Die Zeitabschnitte, in denen diese Kanalreinigungen regelmäßig 
wiederholt werden, sind für die einzelnen Kanalstrecken, die hierbei 
in drei Gruppen eingeteilt werden, verschieden und richten sich nach 
den jeweils in Betracht kommenden örtlichen Verhältnissen. Beispiels- 
weise werden die Kanäle im Thermalgebiet — in dem die sich an 
einzelnen Stellen leicht ablagernden Sinkstoffe sowie die an den 
Kanalwandungen anhaftenden Schmutzstoffe infolge der in die Kanäle 
gelangenden heissen Badeabwässer und Quellenabflüsse leicht in Zer- 
setzung übergehen — alle 2 Wochen, andere Strecken alle 6 Wochen 
und die Sanmfielkanäle, die sich infolge ihrer grösseren Abflussmengen 
von selbst besser reinhalten, nur alle 12 Wochen gereinigt. Die 
Reinigung der Bachwasserkanäle braucht in der Regel nur nach 
heftigen Regengüssen vorgenommen zu werden; doch müssen die 
hierzu gehörigen Geschiebesammler, deren Sohlen vertieft sind und 
die in den offenen Bachläufen, besonders aber an deren Einmündungen 
in die Bachkanäle sich befinden, auch zwischenzeitlich öfter von den 
.angesammelten Sand- und Geschiebe-Massen geleert werden. 

Das gesamte Kanalnetz besitzt zur Zeit abgewickelt eine Länge 
von etwa 122000 m. Die jährliche Reinigungslänge dieses Kanal- 
netzes ergibt sich durch Aneinanderreihen der einzelnen, mehrfach 
-gereinigten Strecken zur Zeit zu rund 800 000 m. 



TaM 28. 




c 

3 



3 
TD 

cd 3 

^ 1- 

J- c 

3 

biO 

3 



C/) 



t/3 



bC 

n 

3 



3 
T3 



Tafel 29. 







C/) 



5 CO 



o» 



TD 



c 
I 

U ^ 

CO 



.2 E 



-i= -g W) 

CCD. 



C/) 



^ 00 

o -g W) 

(!>»- = 



oo S 



m 



Tafel 29. 







cd 

x: 

C/3 






3 

N 

C 
<u 

u. 
73 



TD 

SS 

CO 



n .-ti 
o E . 

> = § 

Cd l«.2i 
n c Q. 

cd <U t/) 

o 

C/5 



x: <ü 

-g -g bi) 

c/) •- c 
J- •" 3 

IE ^ 



C/5 



Frensch, Die Kanalisation. 59 

Auch bei der Beseitigung des Schnees im Winter ist die Mann- 
schaft des Kanalbetriebs durch Hilfeleistung in den Kanälen beteiligt. 
Über das ganze Stadtgebiet verteilt, sind auf Kanälen mit reichlicher 
Wasserführung 16 besonders konstruierte Schnee -Einwurfsschächte 
eingebaut. Der aus den benachbarten Strassen durch Fuhrwerke 
herbeigeschaffte Schnee wird über der Einwurfsöffhung dieser Schächte 
abgekippt, er fällt auf den als Rutsche ausgebildeten Teil der Schacht- 
sohle und gleitet in das anschliessende Gerinne des vorbeifliessenden 
Kanalwassers. An der andern Seite des Kanalgerinnes steht im 
Zugangschacht ein Betriebsarbeiter, der durch Abkratzen der schrägen 
Fläche und durch Abstossen etwa hängenbleibender Schneeklötze 
nachhilft, um Stockungen beim Einschütten der Schneemassen in den 
Schacht oder ein Anstauen des Kanalwassers im Kanalgerinne zu 
verhüten. Der Schnee wird von dem Kanalwasser mit fortgerissen 
und schmilzt in dem verhältnismäßig warmen Wasser sehr schnell. 
Diese Einrichtung hat sich sehr gut bewährt. (Tafel 29, Abb. 6.) 

Zur Vornahme von Untersuchungen älterer Rohrkanäle auf ihre 
bauliche Beschaffenheit sowie bei Abnahmeprüfungen neuhergestellter 
Rohrkanalstrecken werden diese Strecken mittelst Sonnenlicht durch- 
leuchtet. Hierbei wird im Schacht an der Einflussöffhung des Kanals 
^in Spiegel so gehalten, dass durch die Schachtöffhung von obenher 
das mit einem anderen Spiegel aufgefangene Sonnenlicht einfällt und 
in die betreffende Kanalstrecke hineingeworfen wird, wodurch das 
hellbeleuchtete Kanalinnere im Spiegel sichtbar und dessen Beschaffen- 
heit auf die ganze in Betracht kommende Länge völlig deutlich 
erkennbar ist (Tafel 29, Abb. 5). An trüben Tagen treten an die 
Stelle des Sonnenlichtes stark leuchtende Reflektorlampen. 

Das Personal zur Vornahme der Betriebsarbeiten hat ausser der 
Reinigung und Instandhaltung des Kanalnetzes auch die Reinigung 
der Bäche und Flutgräben, den sehr umfangreichen Spülbetrieb der 
privaten Hausentwässerungsanlagen, sowie der städtischen und privaten 
Thermalleitungen auszuführen und besteht zur Zeit aus 1 Aufseher, 
2 Vorarbeitern, 4 Obleuten und 26 Taglöhnern. 



Das aus dem ganzen Kanalnetz zusammenströmende Schmutz- 
wasser wird in der Abwasserreinigungsanlage von den mitgeführten 
gröberen und feineren Schmutzstoffen befreit. Es durchfliesst 
zunächst eine Abteilung, in der ein drehbarer Rechen mit 40 mm 



60 Frensch, Die KanaliBation. 

und ein solcher mit 15 mm Stabweite eingebaut ist, wobei die 
Schwimmstoffe, wie Gedärme, Gemüse- und Obstreste, Fäkalien, 
Papierstücke und dergleichen zurückgehalten werden, lagert dann in 
einem langgestreckten Sandfang die mineralischen Bestandteile und 
sonstigen Sinkstoffe ab und erfährt durch Feinsiebe von etwa 2 mm 
Durchgangsweite eine weitere Reinigung von den mitgeführten 
Schwebestoffen. 

Früher waren im Anschluss an die Feinsiebe noch grössere 
Klärbecken im Betrieb, die jetzt aber als überflüssig in Wegfall 
gekommen sind, nachdem der Mühlgraben, der früher das so gereinigte 
Kanalwasser — unterwegs Mühlen treibend — dem Rhein zuführte, 
beseitigt und durch den im Jahre 1907 in Betrieb genommenen 
Hauptkanal nach dem Rhein ersetzt worden ist. 

Die dem Schmutzwasser durch das Reinigungsverfahren ent- 
zogenen Bestandteile betragen zur Zeit für den Tag im Durchschnitt i 
an Sinkstoffen (Sand und dergleichen) etwa 4 cbni, 
an Schwimm- und Schwebestoffen . „ 9 „ 
zusammen also etwa 13 cbm. 

Die als Dünger verwertbaren Rückstände werden zur Vermeidung 
von Geruchsbelästigungen in einer Lagerhalle sofort mit TorfinuU 
überdeckt und dann den Landwirten der Umgegend unentgeltlich 
überwiesen. 

Die geplante neue Abwasserreinigungsanlage wird hinsichtlich 
des Reinigungsverfahrens zwar auf den Grundsätzen der jetzigen, 
versuchsweise eingerichteten Anlage beruhen, in ihren Einzelheiten 
aber bedeutend von dieser abweichen. Insbesondere soll den bisher 
gemachten Erfahrungen durch zweckentsprechende Änderungen und 
Verbesserungen Rechnung getragen werden. 

III. Anlage und Reinigung der Orundstficks-Entwässerungen. 

In Wiesbaden muss auf Grund einer diesbezüglichen Polizei- 
verordnung jedes an einer kanalisierten Strasse belegene bebaute 
Grundstück eine vorschriftsmäßige Hausentwässerungsanlage mit 
Anschluss an den Strassenkanal besitzen, sowie an die städtische 
Wasserversorgung angeschlossen sein. 

Die Bezugserlaubnis für Neubauten wird erst nach statt- 
gefundener amtlicher Abnahmeprüfung der Entwässerungsanlagen 
erteilt und nachdem hierbei festgestellt worden ist, dass die gesund-^ 
heitstechnischen Anlagen den bestehenden Bestimmungen entsprechend 
zur Herstellung gelangt sind. 



Frensch, Die Kanalisation 61 

Die Ableitungen werden mit durchgehenden, gleichmäßig auf 
die ganze Länge verteilten Gefallen, unter Vermeidung von scharfen 
Krümmungen in der Linienführung hergestellt und bei freistehenden 
Häusern möglichst ausserhalb der Gebäude, parallel zu deren Mauern 
und in genügendem Abstände von letzteren angeordnet. Die Fall- 
rohrleitungen sollen frei und sichtbar vor den Wandflächen durch 
alle Geschosse in gleicher Weite hochgeführt und mittelst erweitertem 
Entlüftungsrohr über Dach geführt werden. Für Spülaborte müssen 
gesonderte Fallröhren zur Herstellung gelangen, an die andere Ent- 
wässerungsgegenstände nicht angeschlossen werden dürfen. Sämtliche 
Entwässerungsgegenstände sind unmittelbar an ihrer Abflussöffiaung 
mit einem sicher wirkenden Wasserverschluss zu versehen, dagegen 
dürfen in den durchgehenden Leitungen keine Wasserverschlüsse 
eingeschaltet werden. Fetthaltiges Abwasser aus Wirtschaftsküchen, 
Metzgereien usw. muss durch Fettfänge geleitet werden, die gut 
zugänglich, möglichst in Höfen anzuordnen sind. 

Als Material für die Leitungen sollen glasierte Steinzeugröhren 
und innerhalb der Gebäude nach Möglichkeit gusseiseme Röhren zur 
Verwendung kommen. Für erstere ist Dichtung mit Asphaltkitt oder 
Zementmörtel, für letztere Bleiverdichtung Vorschrift. Fallröhren für 
Schmutzwasser dürfen nur aus Gusseisen hergestellt werden und 
müssen innerhalb der Gebäude liegen. Regenrohre müssen ausserhalb 
der Gebäudemauem angeordnet werden und dürfen aus Zinkblech 
mit einem am Fussende befindlichen Standrohr aus Gusseisen bestehen. 

Die bauliche Unterhaltung der innerhalb der Grundstücke 
liegenden Leitungen und Entwässerungsgegenstände, sowie die 
betriebsmäßige Unterhaltung der gesamten Entwässerungsanlage bis 
zum Strassenkanal, ist Sache des betreffenden Grundstückseigentümers. 
Auf dessen Antrag und Kosten wird aber auch die Spülung der 
Hausentwässerungsanlage vom städtischen Kanalbauamt übernommen 
und zwar sowohl in Einzelfallen, als auch in bestimmten, voraus 
vereinbarten Zeitabschnitten, deren Bemessung sich nach den jeweils 
in Betracht kommenden besonderen Verhältnissen der Anlagen richtet. 

In den Sand- und Fettfangen der Entwässerungsanlagen werden 
eine Menge Sinkstoffe zurückgehalten, deren regelmäßige Beseitigung 
in gesundheitlichem Interesse äusserst wichtig ist, weil diese leicht 
faulenden Stoffe andernfalls übele Ausdünstungen verursachen. Die 
Reinigung der Sinkstoffbehälter, besonders aber die Unterbringung 
des Inhalts ist für die meisten Grundstücksbesitzer mit erheblichen 
Schwierigkeiten verknüpft, wodurch die regelmäßige Entleerung der 



62 Frensch, Die Kanalisation. 

Behälter sehr in Frage gestellt wird. Um in dieser Hinsicht Abhilfe 
zu schaffen, wurde ein dem städtischen Kanalbauamt angegliedertes- 
Unternehmen der Sand- und Fettfangreinigung eingerichtet. Gegen 
Zahlung der durch Tarif festgesetzten Beträge erfolgt die Reinigung 
regelmäßig in etwa zweiwöchentlichen Zwischenpausen durch städtische 
Arbeiter. 

Den Grundstückseigentümern bleibt es überlassen, von dieser 
Einrichtung Gebrauch zu machen, soweit Anlagen innerhalb der 
Grundstücke in Betracht kommen, die Reinigung der in öffentUchen 
Strassen liegenden Regenrohrsandfänge dagegen muss dem städtischen 
Unternehmen übertragen werden. Dieses umfasste im Jahre 1906/07 
von den im gesamten Stadtgebiet vorhandenen 4374 bebauten 
Grundstücken 3536, also über 80 Prozent, trotzdem es sich um frei- 
willige Beteiligung handelt. Da die noch fehlenden Grundstücke 
sich grösstenteils ausserhalb des Stadtberinges befinden, wo benach- 
barte Felder und Gärtnereien die Unterbringung des Inhaltes der 
Sinkstoffbehälter erleichtern, so erstreckt sich die städtische Sand- 
und Fettfangreinigung auf fast sämtliche Anwesen innerhalb der Stadt» 

Das Personal des städtischen Unternehmens besteht aus : 1 Be- 
triebsführer, 1 Vorarbeiter, 8 Obmännern und 15 Taglöhnern, die in 
Arbeitsabteilungen von je 4 Mann eingeteilt sind und die Arbeit im 
Akkord ausführen. Hierbei werden die Schlammeimer aus den Sink- 
stoffbehältem genommen und der Inhalt in die mitgebrachten Gefasse 
entleert, die Behälter erforderlichenfalls ausgebaggert, die Umgebung 
abgespült und die Eimer beim Wiedereinsetzen mit reinem Wasser 
gefüllt, das einen Zusatz von geruchmildemden Chemikalien erhält- 
Der Schlamm wird in die mitgeführten, luftdicht abgeschlossenen 
eisernen Schlammwagen verbracht. Sobald sie gefüllt sind, wird der 
Inhalt nach Feldern und Gärtnereien ausserhalb der Stadt gefahren, 
dort entleert und sofort untergegraben. Die Bewirtschafter der in 
Betracht kommenden Grundstücke sind mit diesem Verfahren ein- 
verstanden, weil sie auf diese Weise den wertvollen Dünger völlig 
unentgeltlich erhalten. Bei Frostwetter, wenn das sofortige Unter- 
graben nicht möglich ist, wird der Schlamm, mit Kehricht vermischt, 
in der Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt. Da sich jedoch dieses 
Verfahren teuerer stellt, findet es nur im äussersten Falle Anwendung» 

Die Kosten der regelmäßigen Reinigung der Sinkstoffbehälter im 
Innern der Anwesen betrugen 1906/07 für ein Grundstück durchschnitt- 
lich 13,50 M pro Jahr. Demnach entfallen auf die einmalige Reinigung 



Frenscli, Die Kanalisation. 



ea 



sämtlicher Sinkstoff behälter eines Grundstückes 



13,50 
26 



= 52Pfg. Für 



den einzelnen Grundstückseigentümer würde es unmöglich sein, die 
Arbeit zu diesem geringen Betrage selber auszuführen, während das- 
städtische Unternehmen hierbei infolge zweckmäßiger Einrichtung 
des Betriebs alljährlich noch einen erheblichen Überschuss erzielt.. 
Der Abschluss des Jahres 1906/07 ergab: 

Reinigung der Sand- und Fettfänge 





in Grundstücken 
(freiwillig) 


auf Strassengebiet 
(bestimmungsgemäß) 


zusammen 


Einnahmen . . . 
Ausgaben .... 


47 734,04 M 
37 601,01 , 


7 537,73 M 
4106,74 , 


55 271,77 M 
41707,75 , 


Mithin Überschuss . 


10 133,03 M 


3430,99 M 


13 564,02 M 



lY. ÖflFentliche Bedürftils -Anstalten. 

Die über das ganze Stadtgebiet verteilten öffentlichen Bedürfnis- 
anstalten, zur Zeit 32, sind sämtlich oberirdisch ; einige davon befinden 
sich in städtischen Grundstücken, der weitaus grösste Teil aber ist 
in besonderen, freistehenden Häuschen untergebracht. Die nächste 
Umgebung der Häuschen wurde, wenn irgend möglich, mit Bäumen 
und Strauchwerk bepflanzt, damit die Anstalten nicht unangenehm 
auffallig in die Erscheinung treten. 

Alle Anstalten sind mit Pissoirs versehen, 12 davon enthalten 
ausserdem noch Aborte. Die Gesamtzahl der öffentlichen Aborte aller 
Anstalten beläuft sich auf 61, die der Pissoirstände auf 152. Sämtliche 
Anstalten besitzen ordnungsmäßige Entwässerungsanlagen mit An- 
schluss an die Strassenkanäle. 

Während die Benutzung der Pissoire gebührenfrei ist, werden 
in den Aborten I. Klasse 10 Pfennige, in denen der H. Klasse 
5 Pfennige erhoben. Ausserdem befinden sich in einigen Anstalten 
unentgeltlich zu benutzende Aborte; eine am Markt zur Benutzung 
für die Marktfrauen stehende Anstalt mit 4 Aborten ist völlig 
gebührenfrei. 

Jedes Pissoir enthält 2 bis 6 Stände, die teils in gerader 
Richtung nebeneinander, teils sternförmig zueinander angeordnet sind.. 
Für die Anzahl und Anordnung der Stände waren die in den Einzel- 
fallen zu berücksichtigenden örtlichen und Verkehrsverhältnisse maß- 
gebend. Alle Pissoire sind seit etwa 10 Jahren für die Olbehandlung- 



-64 Frensch, Die Kanalisation. 

«ingerichtet, und zwar war Wiesbaden eine der ersten Städte, die dies 
Verfahren in einheitHcher Weise durchführte. Damals wurden hier 
sämtliche öffentlichen Pissoire entsprechend umgeändert. Durch das 
Aufgeben der Wasserspülung wurde nicht allein eine beträchtliche 
Wassererspamis erzielt, sondern vor allen Dingen auch das Auftreten 
Ton Geruchsbelästigungen fast gänzlich beseitigt. 

Die Behandlung geschieht in der Weise, dass täglich durch- 
schnittlich zweimal eine gründliche Reinigung und Abspülung der 
Wände und Fussböden der Pissoire vorgenommen wird, worauf die 
mit Urin in Berührung kommenden Flächen mit einem die Geruchs- 
belästigungen verhindernden Pissoiröl bestrichen werden und jeder 
Geruchverschluss der Entwässerungsanlage auf seinem Wasserspiegel 
eine abschliessende Schicht desselben Öls erhält. Der Ölverbrauch 
stellt sich dabei für einen Pissoirstand durchschnittlich auf 5 kg, oder 
bei einem Preis von 0,40 M für 1 kg Öl auf 2 M jährlich. 

Mit der Ausführung dieser Arbeit sind ständig, auch an Sonn- 
und Feiertagen, drei Mann beschäftigt, von denen jeder, ausser den 
öffentlichen Pissoirs, auch die in seinem Bezirk belegenen Ölpissoirs 
in Privatgrundstücken bedienen muss. 

In Privatgrundstücken wird die Herstellung von Ölpissoirs nur 
widerruflich und unter der Bedingung gestattet, dass die Bedienung 
gegen Entrichtung einer festgesetzten Gebühr dem städtischen Kanal- 
bauamt übertragen wird. Von dieser Einrichtung haben eine grosse 
Anzahl Hotel- und Wirtschafts-Inhaber Gebrauch gemacht, so dass im 
Jahre 1906/07 in Privatgrundstücken 75 Ölpissoire mit 381 Ständen 
vorhanden waren. Mangels einer örtlichen Einteilung ist hierbei als 
Stand eine Breite der Urinierwand von 75 cm angenommen. 

Die öffentlichen Bedürfnisanstalten haben an Herstellungskosten 
etwa 120000 M erfordert. Die laufenden Ausgaben für Instand- 
haltung, Wartung, Reinigung, Heizung usw. betrugen im Jahre 1907/08: 

für die Pissoire .' rund 4000 M 

für die Abortanstalten rund 4200 „ 

zusammen 8200 M 

Hiervon ab: 

Einnahmen an Abort-Benutzungsgebühr • 2600 M 
Mithin Zuschuss zu den Betriebskosten rund 5600 M. 

In letzteren Angaben sind die Beträge für 4 in den Kuranlagen 
belegenen öffentlichen Abortanstalten, die der Kurverwaltung unter- 
stehen, nicht mit einbegriffen. 



Scheuermann, Die Müllabfuhr. 65 



2. Die Müllbeseitigung. 



I. Die Müllabfuhr. 

Von Stadtbauinspektor Scheuermann. 

Die Müllbeseitigung wurde in den neunziger Jahren teils von 
Privaten und teils von der Stadtverwaltung besorgt. Dabei ergaben 
sich derartige Misstände in bezug auf regelrechte Abholung und 
auch in hygienischer Hinsicht, dass die Stadtverwaltung sich ent- 
schloss, die Müllbeseitigung lediglich als eine städtische Sache zu 
betrachten und sie hiernach allgemein zu regeln. Fast alle Haus- 
besitzer sind nunmehr bei der städtischen Kehrichtabfuhranstalt 
abonniert; bis jetzt ist die Abholung nämlich nur fakultativ, da 
besondere Schwierigkeiten sich noch nicht überwinden Hessen, um 
die Müllbeseitigung obligatorisch durch Erlass einer Polizeiverordnung 
und eines darauf gegründeten Ortsstatuts durchzuführen. Sowohl 
die Abfuhr als auch die Unschädlichmachung des Mülls geschieht in 
wirtschaftlicher und in gesundheitstechnisch möglichst einwandfreier 
Weise. 

In den letzten Jahren musste die Müllbeseitigung lediglich von 
der hygienischen Seite aus behandelt werden, nachdem die Beschaffung 
von geeigneten Abladeplätzen und die freiwillige Abfuhr des Mülls 
von Landwirten der Vororte immer schwieriger wurde bezw. ganz 
unterblieb. Grosse Flächen zur Stapelung des Mülls in der Nähe 
der Stadt so, dass die Oberflächen des Mülls bepflanzt werden konnten, 
waren nie vorhanden; die demnach immer zu kleinen Müllflächen 
waren infolgedessen fortwährend der Bearbeitung zu unterwerfen; 
Pflanzungen der Oberflächen konnten also nicht vorgenommen 
werden. Sämtlicher anfahrende Müll wird daher jetzt in einer Ver- 
brennungsanstalt ohne vorherige Sortierung, also in der hygienisch 
ein Wandfreiesten Weise, vernichtet; die Anstalt liegt vom Herzen 
der Stadt, dem Schlossplatz, 2,5 km entfernt. Das ganze Stadtgebiet 
ist in Abfuhrbezirke eingeteilt, in welchen Wagen von 6,7 cbm 
Inhalt verkehren, so dass die Abfuhr rasch, tunlichst staub- und 
geruchfrei und auch geräuschlos erfolgt. (Vollständig staub- und 
geruchfreie Abfuhr gibt es nicht!) Allerdings wird der Müll aus 
jedem Haus mit grossen Behältern in die auf der Strasse stehenden 
Müllwagen umgeladen, welche Einrichtung nicht hygienisch einwand- 

5 



66 Scheuermann, Die Müllabfuhr. 

frei, aber wirtschaftlich ist. Bei dem sogenannten Wechselkasten- 
system fallt diese Umladung im Luftramn der Strasse weg, aber es 
ist damit der Nachteil verbunden, dass grosse tote Lasten, als welche 
die Wechselkasten aufzufassen sind, tagtäglich herumgefahren werden 
und das Abfuhrgeschäft ganz unnötig verteuern. 

Nachdem der Müll so in die Wagen eingeladen ist, erfährt er 
keine weitere Umladung mehr; auch auf der Verbrennungsanstalt 
nicht, wo die Wagenkasten mit Inhalt direkt auf die offene Platt- 
form in die Höhe gezogen werden und dort der Müll nach kurzer 
Lagerung in die Öfen gelangt. Abbildung 1 auf Tafel 30 zeigt die 
Ankunft des Wagens auf der Verbrennungsanstalt und Abbildung 2 
(Tafel 30) den mit Inhalt in die Höhe gehenden Wagenkasten zwecks 
Entleerung auf der gemeinsamen Plattform der Ofengruppe. 

Der Wagentyp hat sich aus der Beschaffenheit des Terrains im 
Weichbilde der Stadt ergeben; in keinem Wagenbezirk fehlen steigende 
Strassen. Überall laufen grosse Wagen, welche den in grossen 
Behältern in den Grundstücken gesammelten Müll aufnehmen. Zwecks 
leichten Gangs laufen alle Achsen zur Schonung der Zugtiere ständig 
in Öl. Jeder Wagenkasten hat je 6,5 cbm Füllraum und ist durch 
einen Aufsatz geschlossen, in welchem 4 Einschüttöffnungen sich 
befinden, deren Deckel sich bei Aufstellung der Müllbehälter auf die 
Ladekanten von selbst öffnen und sofort von selbst zufallen, wenn 
das Gewicht der Behälter von den Ladekanten weggenommen wird. 

In neuerer Zeit wird auch in Wiesbaden die Einfuhrung des 
Trennsystems erwogen, durch welches eine bessere Rentabilität in 
der Abfuhr und Unschädlichmachung des Mülls herbeigeführt werden 
soll; die Müllverbrennung soll darnach entweder mit der zwei- oder 
dreiteiligen Müllsortierung kombiniert werden. Da in diesem Vor- 
gehen aber zweifellos in hygienischer Hinsicht Verschlechterungen 
liegen, hat seine Durchführung in der Kurstadt wenig Aussicht auf 
Erfolg. 

II. Kehricht Verbrennungsanstalt. 

Von Stadtbauinspektor Berlit. 
Bis zum Jahre 1900 wurde der Hauskehricht der Stadt Wies- 
baden auf die Weise entfernt, dass man ihn auf zwei etwa 2V2 ki^ 
von der Mitte der Stadt entfernten Lagerplätzen oberflächlich von 
Scherben, Gläsern und Blechdosen reinigte und den Rest zur Abgabe 
an die Landwirtschaft aufstapelte. Solche der Verwitterung aus- 



Tafel 30. 





C 



C 



:0 
E 

'S 



cd . 

i< 

w 

C 
3 

C 

c 



> 
x: 






bO 

CS 



n 
< 



< 



Berlit, Kehrichtverbrennungsanstalt. 67 

gesetzten Kehrichthaufen wurden von Landwirten der Umgebung bis 
dahin gern abgenommen und zeitweise sogar noch bezahlt. Mit der 
zunehmenden Bebauung des Stadtgebietes und der weiteren Verbreitung 
des Kunstdüngers machte jedoch die Abfuhr von dem obengenannten 
Zeitpunkt an immer mehr Schwierigkeiten, so dass die Lagerplätze 
sich mehr und mehr anfüllten. Dazu kam noch, dass die Bebauung 
immer näher, namentlich an den einen d^r Lagerplätze, heranrückte 
und die Polizei mehrfach den dort geübten Sortierbetrieb beanstandete. 
Um den Kehricht weiterhin zu beseitigen, wurden verschiedene Mittel 
vorgeschlagen und zwar wurde zunächst erwogen, die Lagerplätze 
weiter nach der Gemarkungsgrenze zu verlegen, in der Hoffuung, 
dass man dort noch auf längere Jahre Platz habe und dass von dort 
aus eher eine Abfuhr möglich sei. Der Fuhrunternehmer erklärte 
jedoch, dass bei einer erheblichen Verlängerung des Abfuhrweges es 
nicht mehr möglich sei, zwei Fuhren täglich mit den Wagen zu 
machen und dass somit bei dem weiten Hinausschieben der Lager- 
plätze erhebliche Mehrkosten für die Abfuhr entstehen würden. 
Auch wurde der Versuch gemacht, mit einer an einer Eisenbahnstrecke 
liegenden Gemeinde ein Abkommen über die Abnahme des Kehrichts 
zu treffen. Auch dieser Versuch scheiterte nicht nur an den erheb- 
lichen Kosten des Bahntransportes, sondern auch daran, dass die 
fragliche Gemeinde sich nicht zur dauernden Abnahme der Kehricht- 
mengen verpflichten konnte. 

Auf Grund dieser Vorprüfungen entschloss sich der Magistrat, 
der Verbrennung des Kehrichts näher zu treten, um so mehr, als sich 
die in Hamburg seit 1896 betriebene Anstalt gut entwickelt hatte. 
Das Ergebnis eines 1900 in Hamburg vorgenommenen Brennversuches 
war ausgezeichnet, es wurde dort eine bei weitem höhere Verbrennungs- 
leistung erzielt als mit dem Kehricht anderer Städte. Zweifellos ist 
das günstige Ergebnis zum Teil darauf zurückzuführen, dass in 
Wiesbaden viel mit Gas gekocht wird und vieles in den Kehricht- 
behälter wandert, was in anderen Städten noch im Küchenherd ver- 
brannt wird. 

Nach mehrfachen Verhandlungen mit verschiedenen damals 
Verbrennungsöfen liefernden Firmen und nach einer Besichtigung 
von englischen Anstalten wurde im Jahre 1902 beschlossen, eine 
Versuchsanstalt zu bauen mit zwei Ofen nach der Bauart von Dr. Dörr, 
um selbst in den verschiedenen Monaten des Jahres die Brennwerte 
des Kehrichts zu prüfen und auf Grund dieser Versuche eventl. später 
eine Anstalt zu bauen. 

5* 



68 



B e r 1 i t , Kehi-ichtverbrennungsanstalt. 



Aus nachstehender Skizze ist der Aufbau und die Wirkungs- 
weise dieses Ofens ersichtUch. 

Er ist eine Art Kupolofen von etwa 5 m Höhe, ohne irgend 
welche vom Feuer berührte Eisenteile, und besteht aus folgenden 
wesentlichen Teilen : Einschtittöflfnung a ; Verbrennungsraum b ; Gas- 
abzug c; Schlackenhals d, in welchen die Luft eingeblasen wird. 
Hierzu kommen als Ergebnis des Versuchsbetriebes : Flugaschenfang e 
mit Abschlussöflfhung f; Sammelfuchs g (hinter allen Ofen durch- 
geführt) Entleerungsgang unter Flugaschenfang und Fuchs h und 
Gebläsegang i. 



-©= 




Der Betrieb gestaltet sich so, dass in etwa halbstündigen 
Abständen der Schlackenhals ausgeräumt wird und die im OfenstoQk 
befindliche Schlacke vorgezogen wird, um bis zur nächsten Schlackung 
unter dem Einfluss. des Gebläseluftstromes abzukühlen. Alsdann wird 
von oben die Masse durcheinander geworfen, neu beschickt und nach 
Verschluss aller Türen das Gebläse angestellt. 

Abgesehen von einem dreimonatlichen Gewährleistungsbetrieb, 
bei dem durchschnittlich 16 Tonnen Tagesleistung erzielt wurden, 
sind die Ofen nach verschiedenen Umbauten auch im Winter im 



Tafel 31. 




Die Kehrichtverbrennungsanstalt. 



Berlit, Kehrichtverbrennungsanstalt. 69 

Betrieb gewesen, so dass eine Entscheidung über die endgültige Wahl 
des Ofens nach 7 bis 8 monatlicher Gesamtbetriebszeit erfolgte. Auf 
Grund dieser Vorversuche wurde im Jahre 1905/06 die Anstalt aus- 
gebaut, die nach den damaligen statistischen Ermittelungen bei einer 
Höchstbelastung im Winter von etwa 60 Tonnen für längere Zeit 
ausreichend sein sollte. Es sei jedoch hier gleich erwähnt, dass leider 
die statistischen Unterlagen recht unzureichend waren und dass jetzt 
die Anstalt im Winter 600 bis 630 Tonnen wöchentlich verbrennen 
muss, während im Sommer die Kehrichtmenge auf 300 bis 850 Tonnen 
zurückgeht, so dass wir bereits jetzt schon im Winter ohne jegliche 
Reserve arbeiten. Da sich zudem durch die ausserordentlich umfang- 
reiche Einführung von Sammelheizung auch in Mietswohnungen die 
Qualität des Winterkehrichts in den letzten Jahren infolge der 
unangenehmen Koksschlacken erheblich verschlechtert hat, so hat 
man die getrennte Abfuhr von Asche und sonstigem Hauskehricht 
in Erwägung gezogen. 

Da ein vorhandenes Gebäude (Tafel 31) nebst Schornstein benutzt 
werden musste, so zeigt der Gesamtplan einige Anordnungen, die man 
bei einem einheitlichen Bau sicher vermieden hätte. Die Beschreibung 
möge an Hand des umstehenden Grundrisses und der Ansicht etwa 
so erfolgen, wie der Arbeitsgang im Betrieb ist. 

Vor dem Ofenhaus ist eine Wage, auf der alle ankommenden 
Kehrichtwagen gewogen werden. Da die Lagerung auf der stets 
warmen Ofenoberfläche wie in englischen Anstalten Geruchs- 
belästigungen hervorruft, wird in Wiesbaden der mit Laufkran hoch- 
gehobene Wagenkasten auf einer nur über dem Ofenbedienungsgang (b) 
liegenden Plattform ausgekippt und der dort unvermeidliche Staub 
durch eine Wand von der Ofenoberfläche ferngehalten. Anfangs 
bestand die Absicht, die Stapelplattform höher als die Ofen zu legen 
und als Sammelbehälter auszubilden, aus dem der Kehricht gewisser- 
maßen abgezapft wird, wie man dies bei Kohlen vielfach macht. Ein 
Versuch im Grossen zeigte jedoch, dass unser Kehricht sich nicht so 
behandeln lässt; er hing so fest zusammen, dass er, als in dem 
Versuchsbehälter unten ein Vj^ qm grosses Loch geöffnet wurde, über 
diesem eine Brücke bildete. Ein Gichtverschluss zum Beschicken der 
Ofen ist deshalb nicht ausführbar, weil der Ofen auch von oben bedient 
werden muss. Da es nun aus betriebstechnischen Gründen erwünscht 
ist, die Ofen stets gleichmäßig mit bestimmten Mengen zu beschicken, 
so ist nach einjährigen Versuchen eine mechanische Beschickung ein- 
gebaut worden. Sie besteht darin, dass ein in die Stapelplattform 



70 



B e r 1 i t , Kehrichtverbrennungsanstalt. 






W 
o 




Berlit, Kehrichtverbrennungsanstalt 71 

versenktes Gefäss von 0^8 cbm Inhalt durch einen Aufzug auf 
schräger Ebene hochgehoben, oben selbsttätig gekippt und durch 
Vermittlung eines Trichters in ein drehbares Rohr von 0,65 m 1. W. 
entleert wird, das über den zu beschickenden Ofen eingestellt ist. 
Bei einer Neuanlage könnte man, sofern Grundfläche genügend 
verfügbar ist, eine solche mechanische Beschickung unter Fortfall 
des Laufkranes bis zum Fussboden führen. Die Ofenplattform ist^ 
ebenso wie nach dem auf gleicher Höhe liegenden Stapelraum, nach 
dem Kesselhaus zu durch eine Wand abgeschlossen, und sind die 
Kessel unmittelbar an den Sammelfuchs hinter den Öfen angebaut. 
Unter der Stapelplattform ist der 4,75 m hohe, 5 m tiefe Bedienungs- 
gang vor den Öfen, wo die Schlacken aus den Öfen unmittelbar in 
Kippwagen entleert werden. Unter den Öfen sind die zwei schon 
erwähnten Gänge für die durch Elektromotoren angetriebenen Gebläse 
und für Entleerung der Flugaschenfänge; zum Heben der mit Flug- 
asche gefüllten Wagen dient ein Wasserdruckaufzug. 

Im Kesselhaus sind zwei Satz von je 2 Wasserrohrkesseln auf- 
gestellt ; hier ist auch ausser den Speisepumpen, dem Wassermesser usw. 
ein Brunnen, der von früher her hier seinen Platz hatte. 

Mit dem Kesselhaus verbunden ist das Maschinenhaus, in dem 
ein 200 Kwt. Drehstrom-Turbogenerator aufgestellt ist. Die Auf- 
stellung der Turbine konnte nicht normal d. h. zu ebener Erde mit 
unterirdischer Kondensation erfolgen, da dann in dem alten Gebäude 
unangenehme Unterfangungsarbeiten der Mauern und des Schornsteins 
erforderlich gewesen wären. Sie ist deshalb auf ein Eisengerüst 
erhöht aufgestellt, eine Anordnung, die den Vorteil hat, dass die 
Kondensation frei liegt und gut bedient werden kann. 

Die als Drehstrom von 2500 Volt erzeugte Elektrizität wird 
teilweise im eigenen Betrieb verbraucht, grösstenteils aber an das 
Elektrizitätswerk abgegeben, nach dessen Hauptschaltbrett ein Kabel 
gelegt ist. 

In den Maschinenraum eingebaut ist die Maschinistenstube, 
daneben Lager und Schmiede. 

Die aus den Öfen in Kippwagen gezogenen Schlacken werden etwas 
abgelöscht auf den Hof gefahren und kühlen sich bis zur Bearbeitung 
im Schlackenbrecher ab. Da nämlich der Schlackenbrecher wegen 
der erforderlichen grossen Maulweite so leistungsfähig gewählt ist, 
dass er die jetzt entfallende Menge in 6 bis 8 Stunden verarbeiten 
kann, so ist eine Aufstapelung während der übrigen Zeit notwendig. 



72 Berlit, Kehrichtverbrennungsanstalt. 

Als billigste und bequemste Aufstapelräume erweisen sich die Kipp- 
wagen, die dann, sobald die Brecheinrichtung in Betrieb ist, in einem 
Aufzug 8 m hoch auf die höchste Plattform gehoben und in einen 
2 — 3 cbm fassenden Trichter entleert werden. Aus diesem fallen sie 
auf eine Förderschwinge, die sie dem Brecher gleichmäßig zufuhrt. 
Von hier fallt das Gut auf ein Schüttelsieb, das grosse und besonders 
flache Stücke (zusammengepresstes Blech) absiebt und den Rest in 
eine Siebtrommel fallen lässt. Von dieser werden drei Sortierungen 
gewonnen: Asche bis 10 mm, Mittelkom bis 40 mm, Grobkom bis 
80 nmi Grrösse. Das sortierte Gut wird auf dem schon genannten 
Aufzuge auf 3,5 m gehoben und auf einer 40 m langen Hochbahn 
über den Hof verteilt, sofern es nicht sofort Abnehmer findet. 

Für das Personal ist durch Einrichtung eines über Lager und 
Schmiede liegenden grossen Waschraumes mit vier Brausezellen sowie 
eines Speiseraumes gesorgt. Jeder Mann erhält einen zweiteiligen 
eisernen Schrank, in dem er reine und schmutzige Wäsche (Dienst- 
kleider) getrennt halten kann; femer steht ein Wärmeschrank und 
Kaflfeekocher zur Verfügung; für letzteren wird der Kaffee von der 
Verwaltung geliefert. 

Über endgültige Betriebsergebnisse in unserer Anstalt lässt sich 
zur Zeit noch nichts bestimmtes sagen, da durch die seinerzeit erst 
allmählich erfolgende Inbetriebnahme, verschiedene nachträgliche Um- 
bauten, sowie durch den erst im Winter bewirkten Einbau von Reserve- 
kesseln sich noch kein genaues Urteil über den Dauerbetrieb bilden 
lässt. Die Verdampfungszahlen schwanken aus bis jetzt zum Teil 
noch nicht aufgeklärten Gründen ganz ausserordentlich und sind, 
abgesehen von der Jahreszeit, in sehr erheblichem Umfang vom Zu- 
stand der Kesseloberfläche abhängig, die sehr leicht von Flugasche 
bedeckt wird. Während im günstigsten Monat für 1 kg Kehricht 
bis zu 0,9 kg überhitzten Dampf erzeugt worden ist, beträgt die 
niedrigste Zahl für 1 kg Kehricht 0,4 kg Dampf. Bei diesen Angaben 
handelt es sich — wie ausdrücklich hervorzuheben ist — um Brutto- 
zahlen und um Dampf von 300 bis 350^ Überhitzung, so dass man 
vorstehende Zahlen beim Vergleich mit anderen derartigen Anlagen, 
die Nassdampf liefern, um etwa 20 ^/q in die Höhe setzen muss ; auch 
sind hierbei die Verluste mit eingeschlossen, die durch Abstellen der 
Anstalt und einzelner Öfen naturgemäß immer eintreten. Die 
Elektrizitätserzeugung war im vorigen Jahre, in dem mehrfach die 
Anstalt bis zu 14 Tagen ausser Betrieb war, rund 600000 K. W. St., von 
denen über 165000 im eigenen Betrieb verbraucht wurden. Auch 



Berlit, Kehrichtverbrennungsanstalt. 7ä- 

diese Zahlen wären höher gewesen, wenn sich nicht verschiedene den 
Dampfverbrauch beeinflussende Ausbesserungen an der Turbine als 
nötig erwiesen hätten, so dass wir für das laufende Jahr ein günstigeres. 
Ergebnis erwarten. 

Die Abfuhr und Abnahme der Schlacken und Asche hat sich 
viel ungünstiger gestaltet, als nach dem Bedarf während des Versuchs- 
betriebes zu erwarten war. Insbesondere ist von der Asche, auch bei 
unentgeltlicher Abgabe, kaum etwas abgefahren worden, während die 
Schlacke im Durchschnitt mit nur 1 M. für 1 Tonne an Fremde, mit 
80 Pfg. für 1 Tonne an die eigene Verwaltung abgegeben wird. 
Unter diesen Verhältnissen ist der Schlackenbrechbetrieb sehr un- 
rentabel und erfordert einen erheblichen Zuschuss, zumal durch die 
grosse bereits aufgesammelte Aschenhalde die Beförderungskosten der 
neu hinzukommenden Mengen verhältnismäßig hoch sind ; es ist jedoch 
zu hoffen, dass bei Wiedereinsetzen der Bautätigkeit die Abfuhr sich 
günstiger gestaltet und so wenigstens die Betriebskosten der Schlacken- 
brecherei gedeckt werden. 

Unter den Betriebskosten spielen die Personalkosten die grösste 
Rolle, zumal hier hohe Löhne gezahlt werden. Dieselben betragen 
schätzungsweise für 1 Tonne verbrannten Kehrichts zwischen 2 und 
2,50 M., während die sonstigen Ausgaben sich auf etwa IM. für 
Unterhaltung der Anlage, Betriebsstoffe usw. stellen. Die Ein- 
nahmen sind für Elektrizität, Schlacken, altes Eisen für dieses 
Etatsjahr auf etwa 2 M. geschätzt, so dass ein Zuschuss von 1 bis 
1,50 M. für eine Tonne Kehricht zu leisten ist. Hierbei ist jedoch 
zu beachten, dass die Elektrizität an das Schaltbrett des städtischen 
Werkes für weniger als 5 Pfennig geliefert werden muss. 



D. Anlage und Pflege der Strassen. 

Von Stadtbauinspektor Scheuermann« 



Einleitung. 

In einer Stadt von der Bedeutung Wiesbadens müssen die 
Strassen so angelegt und gepflegt werden, dass sie in jeder Beziehung 
den Forderungen in ästhetischer, wirtschaftlicher, technischer und 
hygienischer Hinsicht vollkommen genügen; es wird auch dadurch 
ein Beitrag zur Erhaltung und Förderung des Ansehens geleistet, 
den die Stadt überall in "der Welt geniesst. Licht und Luft, von 
der die Feldgemark strotzt, müssen auch in das Weichbild der Stadt 
hineingetragen werden und hier erhalten bleiben, einerlei, ob es sich 
um Sanierung der Altstadt oder um weitere Ausnutzung des Stadt- 
-erweiterungsgebiets zu Wohnzwecken für Mensch und Tier handelt. 

Auch für die Anlage der Strassen in Wiesbaden gilt der Grundsatz, 
dass sie billig erstellt werden und auch billig in der Unterhaltung 
und Erneuerung bleiben ; nach modernen wirtschaftlichen Grundsätzen 
werden demgemäß die bestehenden Strassen umgebaut und gepflegt 
und die neuen geschaffen. Hier, wo die Kurinteressen von so aus- 
schlaggebendem und bedeutendem Einfluss auf die Gestaltung des 
ganzen städtischen ^Verwaltungswesens sind, müssen auch muster- 
gültige Strassenanlagen geschaffen und als solche erhalten werden! 
Staub, Schmutz und Lärm müssen von vornherein aus Neustrassen 
verbannt und aus bestehenden Strassen durch zweckmäßige Umbauten 
nach und nach beseitigt werden. 

I. Anlage von Neustrassen. 

1. Allgemeines. 

Der Baugrund für die Strassenanlagen ist sehr ungünstig. Er 
besteht hier ausschliesslich aus Lettenboden, welcher kein Wasser 
durchlässt und unter dem Einfluss desselben zu einem unsicheren 



Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 75 

Pundament für den einzubauenden Strassenkörper wird. Derselbe 
wird — vor allem in den Fahrbahnflächen — aus kräftigem Unterbau 
und solider Decke zusammengesetzt; der Unterbau fällt nur in den 
Oehwegen weg, wenn die Baukörper der Decke an und für sich so 
druckfest sind, dass sie zur Aufnahme des Verkehrs keiner besonderen 
starren Unterlage bedürfen. Für die Fahrbahnen, einerlei, ob sie 
zu Wohn- oder Verkehrs- oder Prachtstrassen gehören, ist kräftiger 
Unterbau als erster Einbau Bedingung. Solidität der Aus- 
führung hat stets neben wirtschaftlichem auch hygie- 
nischen Wert! Im Interesse der Allgemeinheit muss ja dieser 
Konstruktionsteil auch angewendet werden; so will es ja auch das 
Fluchtliniengesetz, welches die Gemeinden nicht allein davor schützen 
«oll, dass Strassen entstehen, die ihnen nicht passen, sondern ihnen 
auch ermöglichen soll, dass Strassen so angelegt werden, wie es das 
öffentliche Interesse fordert. Durch die Anlage von Neustrassen 
ohne Unterbau wird der Fundamentalregel der Baukunst geradezu 
ins Gesicht geschlagen; ein solcher Strassenkörper mit scheinbar 
guter solider Decke ist mit einem Menschen zu vergleichen, dessen 
gesunder Oberkörper auf lahmen Füssen ruhen soll. 

Jede Neustrasse wird nur von Strassenkreuzung zu Strassen- 
kreuzung im Anschluss an eine bereits fertig gestellte Strasse erbaut, 
nachdem alle unterirdischen Längsleitungen in ihr verlegt worden 
sind und die zur ersten Einrichtung notwendigen Ausrüstungen für 
Beleuchtung, Bewässerung und Entwässerung in der neuen Strasse 
hiernach angeschlossen werden können. Nachdem das kräftige Unter- 
gestück, wozu die Vororte Sonnenberg und Dotzheim einen vorzüg- 
lichen Baustein, den Taunusserizit, liefern, eingebaut, abgekeilt, mit 
Basaltschotter, Maschinenschlag aus dem Westerwald, überdeckt und 
mit der Dampfwalze unter Verwendung von Grubenkies — ebenfalls 
aus obigen Vororten — festgewalzt ist, wird ein Notpflaster aus Basalt- 
steinen zweiter Sorte (weil geringere Bearbeitung und mehr Anzug 
der Seitenflächen) auf dasselbe aufgesetzt; dieses bleibt so lange 
liegen, bis alle Anbauten zwischen zwei Strassenkreuzungen errichtet 
sind. Bis dahin werden auch auf den zukünftigen Gehwegflächen 
Schlackenstreifen angelegt, um dem Fussgängerverkehr von und zu 
den Baustellen bei jeder Witterung zu genügen. Durch diese Bau- 
weise als erste Einrichtung einer Neustrasse wird überall verhütet, 
dass die benachbarten bereits ausgebauten Strassen durch den Verkehr 
der Baufuhrwerke von Staub und Schmutz belästigt werden. Scharfe 
Bestimmungen der Strassenpolizeiverordnungen unterstützen hierin 



76 Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 

in wirksamer Weise die Bauverwaltung; sie sorgen weiter daflir^ 
dass die Fuhrwerke mit sauberen Rädern und nur bis zur Oberkante 
der Wagenwände beladen nach und von den Baustellen verkehren 
dürfen; hiernach . sind ferner auch die Bauherren gehalten, die Neu- 
strassen stets in demselben sauberen Zustande zu erhalten, wie er 
in ausgebauten und ganz fertig gestellten Strassen von den Haus- 
eigentümern zu erhalten ist» 

2. Bau der Gehwege. 

Sobald ein Anbau fertiggestellt ist, wird auf die Frontlänge 
desselben der Gehweg endgültig hergestellt, die das Notpflaster der 
Fahrbahn säumende zweischneidige Rinne wird entfernt und mit dem 
Höherlegen des Gehwegs durch Versetzen der Bordsteine begonnen; 
neuerdings wird hierzu nur noch bester Odenwaldgranit verwendet^ 
weil derselbe infolge seiner grossen Dichtigkeit und Druckfestigkeit- 
ausserordentlich geringem Verschleiss ausgesetzt ist, was hauptsächlich 
an den Strasseneinmündungen von Bedeutung ist. Die übrigen Flächen 
der Gehwege werden, wenn sie unter 4,0 m Breite sind, entweder 
mit Gussasphalt auf Beton oder Mosaik auf Sand befestigt, je nach- 
dem die Strassen flach sind oder in Steigungen, bezw. in Stadt- 
vierteln mit geschlossener Bauweise oder in Landhausvierteln liegen. 

Diese beiden Bauarten genügen am ersten den hygienischen 
Anforderungen, denn sie sind zu jeder Jahreszeit gefahrlos und 
schmerzlos zu begehen; sie halten nicht lange die Feuchtigkeit und 
lassen sich leicht und gründlich reinigen und auch sauber halten. 
Die Oberfläche der Mosaikdecken wird im Laufe der Jahre bei der 
Verwendung des sehr quarzreichen Grubensandes nahezu so eben 
wie diejenige der Asphaltdecken. Alle Befestigungsarten, welche 
fugenreiche und unebene Oberflächen haben, wie Pflasterplatten und 
Natursteinen oder Platten aus Ton oder Beton oder Steinzeug werden 
aus wirtschaftlichen und auch hygienischen Gründen nicht mehr 
verwendet. 

Sind die Gehwege mehr als 4 m breit, so erhalten sie in der 
Regel auch Baumpflanzungen. Um die Gesundheit und das Wachstum 
der Bäume in dem an und für sich dichten Strassenboden — weshalb 
jedesmal eine Baumgrube besonders gemacht und mit guter Pflanzerde 
ausgefüllt werden muss — durch Zuführung der nötigen Wasser- 
mengen aus den Niederschlägen direkt und ohne besondere Maß- 
nahmen oder Einrichtungen zu erhalten, bezw. zu fördern, den 
Strassenboden sicher zu entlüften und die Baumwurzeln wirksam 



Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 77 

gegen Gasvergiftung zu schützen, werden die Gehwegflächen entweder 
auf ^/g Breite nach der Anbauseite zu in Gussasphalt auf Beton und 
nach der Fahrbahn zu ^/g in Mosaik auf Sand oder ganz in Mosaik 
ausgeführt, letztere stets in Strassen der Landhausviertel. Zwischen 
den Asphalt- und den Mosaikflächen werden sog. Bandsteine aus 
Weichbasalt auf Beton gestellt, deren Köpfe eben geschliffen sind 
und mit der anstossenden Asphaltfläche daher vollkommen bündig 
anschliessen können. Der Querschnitt dieser kombinierten Befestigung, 
welche hauptsächlich in den Neustrassen des Westends in den letzten 
Jahren zur Ausführung gekommen ist, ist in nachstehender Skizze dar- 
gestellt. 

Gehweg ans Asphält u. Mosaik 



XrBordsfein 



Nach ihm erhalten zwecks raschen Wasserabflusses die Gehwege 
eine Querneigung von 2,5 ^/q im Mittel ; der Wasserablauf wird dadurch 
auf den Asphaltflächen zwecks raschester Abtrocknung beschleunigt, 
auf den Mosaikflächen aber durch das Fugennetz so verzögert, dass 
das Wasser in die Fugen auch reichlicher eindringen kann. 

In den letzten Jahren sind versuchsweise Basaltinplatten an Stelle 
von Gussasphaltgehflächen zur Anwendung gekommen; sie haben 
eine Grösse von 40x40 oder 50x50 oder 40x60 cm bei einer 
Stärke von 6 cm und werden entweder diagonal oder rechtwinkelig 
mit materialdichten Fugen verlegt. Abgesehen davon, dass durch 
den Fugenschnitt die Strassenfläche mehr belebt wird als mit der 
eintönigen und düsteren Asphaltdecke, bürgen die Platten bei einer 
ausserordentlich hohen Druckfestigkeit dafür, dass sie sich nur gering 
verschleissen und keinen besonderen Unterbau brauchen; sie können 
einfach auf ein Kalkbett verlegt werden. Ausserdem aber haben 
sie den Vorteil der Mosaikdecken insofern, als sie bei nassem Wetter 
nicht so feuchte Oberfläche erhalten und nach den Niederschlägen 
rascher als die Decken aus Gussasphalt abtrocknen. Sie haben aber 
auch den Vorzug der Asphaltdecke, weil ihre Oberflächen gleichfalls 



78 Sch-euermann, Anlage und Pflege der Strassen. 

ganz eben sind. Die Gehwege lassen sich mit diesen Platten ungemein 
rasch und dabei billig herstellen, ohne dass hiermit hygienische 
Nachteile verbunden wären. Noch einen weiteren Vorteil haben diese 
Basaltinplatten gegenüber den empfindlichen und weniger widerstands- 
fähigen Decken mit einem natürlich kräftigen Unterbau insofern,, 
als die unvermeidlichen Quer- und Längsaufbrüche sich sehr rasch 
bewerkstelligen lassen, ohne dass dadurch die Baukörper von Decke 
und Unterbau ganz oder teilweise zerstört werden müssen; ebenso- 
rasch wie die Aufbrüche können aber auch die Wiederherstellungs- 
arbeiten vor sich gehen. 

3. Bau der Fahrbahnen. 
a) Geräuschlose Decken^ 

Der endgültige Ausbau der Fahrbahnen in Neustrassen findet 
statt, sobald die Anbauten auf beiden Seiten errichtet sind; je nach- 
dem es sich um Hauptverkehrsstrassen, Geschäftsstrassen oder Wohn- 
strassen handelt, werden die Baukörper für die Herstellung der 
Decken gewählt. Die Neustrassen liegen alle in derartigen Steigungen,, 
dass die Anwendung einer geräuschlosen und fugenarmen Decke sehr 
selten in Frage kommen kann. Eine in hygienischer Hinsicht rühm- 
liche Ausnahme hiervon bilden die im ehemaligen Bahnhofsgebiet 
zur Ausführung bestimmten Neustrassen ; sie haben meist ein solches 
Gefalle erhalten, dass die spätere Anwendung des Stampfasphalte» 
überall stattfinden .kann. Vorläufig sind ein 20 cm starker Unterbau 
und über ihm ein 10 cm starkes Pflasterbett aus Flusssand und 
darüber Reihengrosspflaster aus Steinen von 16 cm Höhe eingebaute 
Wenn die Anbauten an diese Strassen, vornehmlich an die Kaiser- 
strasse, errichtet sein werden, kann anstelle des Grosspflasters auf 
Sand mit 26 cm Höhe auf das Untergestück alsdann Stampfasphalt 
auf Beton mit 6 + 20, also ebenfalls 26 cm, gegründet werden. 
Dadurch konnten die Ausrüstungen der Strassen für Bewässerung,. 
Entwässerung und Beleuchtung, sowie die Gehwege selbst auf end- 
gültige Höhe von vornherein gebracht werden, sodass der spätere 
definitive Ausbau sich nur auf einen Teil der Strassenfläche, auf die 
reine Fahrbahn, erstrecken wird, was in wirtschaftlicher und verkehrs- 
technischer Hinsicht immer wünschenswert ist. 

Der Unterbau bleibt in den Strassenkörpern, welche alle durch 
Auffüllung von ca. 2 m Höhe hergestellt werden mussten, erhalten 
und gibt dann später dem Beton ein gutes Fundament ; es werden 
dadurch die Quer- und Längsrisse in demselben möglichst vermieden^ 



Scheuer mann, Anlage und Pflege der Strassen. 79* 

welche lediglich darauf zurückzuführen sind, dass weder der Beton 
noch der Strassenboden in frostsicheren Tiefen sich befinden. Die 
Gefahr "der Rissebildung ist aber bei dem wasserundurchlässigen 
Strassenboden Wiesbadens viel grösser, sodass die Einbringung des 
Betons in erdfeuchtem und nicht in plastischem Zustand unter Ver- 
mischung langsam bindenden Portlandzements mit rheinischem Trass 
für die Zukunft ausschliesslich Anwendung finden soll. Derartige 
Risse im Unterbau äussern sich aber auch in Decken namentlich 
aus Stampfasphalt. Die Deckenrisse werden aber, wie auch in 
anderen Städten, bis jetzt nur als Schönheitsfehler betrachtet und 
nicht weiter verfolgt, so lange sie dem Verkehr oder der Ent- 
wässerung nicht hinderlich werden. Es ist eine längst anerkannte 
Tatsache : einen Deckenriss reparieren, heisst, aus ihm zwei Decken- 
risse machen. Daher gibt man sich mit einem zufrieden; ein 
Deckenriss ist gerade genug für Ansammlung von Staub und Schmutz,, 
sodass die Absicht, Deckenrisse zu beseitigen, gleichbedeutend mit 
einer hygienischen Verschlechterung des Deckenzustande s ist. 

h) Geräuschvolle Decken. 

Im übrigen werden zur Herstellung von endgültigen Fahrbahn- 
decken nur Baukörper aus natürlichen Gesteinen genommen ; entweder 
deutscher oder schwedischer Granit für verkehrsreiche oder Melaphyr 
für verkehrsarme Fahrbahnen. 

Neuerdings werden auch aus dem Lahntale Grosspflastersteine 
bezogen, welche das dichte Gefüge einer durchaus gleichmäßigen 
Basaltlava und dabei eine noch höhere Druckfestigkeit wie Granit 
haben. Die Steine bleiben aber wie der Melaphyr an der Oberfläche 
rauh und sind nicht teurer wie Melaphyr. Die Vorzüge dieser neuen 
Pflastersteine sind demnach auch in hygienischer Hinsicht so bedeutend^ 
dass beabsichtigt ist, nur noch diesen Stein für Grosspflaster zu ver- 
wenden; eine mit 5 ^/^ steigende Strassenstrecke, die Coulinstrasse^ 
ist mit diesen Pflastersteinen bereits in 1907 ausgeführt worden. 

Der Melaphyr wird aus der Rheinpfalz bezogen, wo die besten 
Brüche auf der Höhe liegen und nur aus diesem Steine von durchaus 
gleichmäßigem Gefüge von hohem spezifischem Gewicht und gleich- 
bleibender Druckfestigkeit gewonnen werden. 

Basalt wird fast nicht angewendet für die endgültigen Pflaste- 
rungen, weil er infolge der hohen Sprödigkeit und grossen Gleich- 
mäßigkeit des dichten Geftlges sich sehr schwer mit ebenen Ober- 
flächen bearbeiten lässt, ganz abgesehen davon, dass seine Oberfläche 



'SO Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 

sehr schnell unter der Einwirkung des Verkehrs glatt wird und 
daher für die meist steigenden Strassen Wiesbadens überhaupt nicht 
in Frage kommen könnte. 

Unebene Oberflächen von Fahrbahnen sind aber sehr geräusch- 
voll und grosse Schmutz- und Staubsammler, hygienisch also durch- 
aus verwerflich; auch aus diesen Gründen scheidet der Basalt daher 
ganz aus. Er hat nicht die Rauhigkeit des teueren Granits und des 
billigeren Melaphyrs und durch den Verkehr schleifen sich die Uneben- 
heiten seiner Oberfläche nicht so sehr und in dem Maße ab, dass 
nachher gleich ebene Flächen entstehen, wie sie der Pflasterstein 
aus Melaphyr in ausgiebigem und aus Granit in geringerem Maße 
von vornherein durch Bearbeitung erhalten kann und im Verkehr 
auch weiter beibehält. 

Zur Erhaltung der Ebenheit der Decke dieser Fahrbahnen aus 
Natursteinen erhalten die Pflastersteine möglichst geringen Seiten- 
anzug, höchstens je 1 cm an den 4 Seiten; denn breite Fussfläche 
gewährleistet bestes Aufsitzen der Steine und verhütet somit am 
ersten eine Drehung des Steines und mithin seiner Oberfläche bei 
•den stetig auf ihn einwirkenden äusseren Kräften. Der Drehung der 
Steine wird aber nicht allein durch breiten Fuss und geringen 
Anschlag der Seitenflächen entgegengewirkt, sondern auch durch 
Verwendung scharfen Pflastersandes; der durchweg hierzu angewendete 
Rhein- und Mainsand hat infolge seines hohen Quarzgehaltes die 
vorzügliche Eigenschaft, neben den Raumwirkungen zur Erzeugung 
grosser Reibungskräfte beizutragen. Die Steinwandungen sitzen dann 
gegeneinander bezw. die Steinfussflächen auf dem Sandbett gegen- 
einander dauernd so fest, dass eine Drehung der einzelnen Steine 
nicht so leicht herbeigeführt wird. 

Die Fahrbahnen erhalten durchweg eine Querwölbung in Parabel- 
form; die Rinnen erhalten dadurch einen sehr kräftigen Anzug, die 
dem Verkehr ausgesetzten Spurflächen aber einen geringeren Anzug, 
so dass einesteils das Wasser sehr schnell nach den Rinnen geleitet 
und in diesen auch schnell abgeführt wird, anderesteils aber auf den 
weniger geneigten Spurflächen die Zugtiere weniger einseitig zur 
Fortbewegung des Fahrzeuges beansprucht werden. Je grösser die 
Querneigung der Spurflächen und je grösser das Eigengewicht und 
die Ladung des Fahrzeugs, um so mehr haben die Räder das Bestreben, 
sich schraubenförmig von der Spurfläche nach der Rinnenfläche zu 
^u bewegen; flache Spurflächen sind demnach hygienisch einwand- 
freier für die Zugtiere. Das Rinnenwasser wird in Strassensinkkästen 



Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 81 

abgeführt, welche zeitweise in das Bordsteinprofil bündig eingebaut 
sind; die Fahrbahnfläche ist ajso von allen Ausrüstungen frei, welche 
den Verkehr erschweren, oder Anlass zu Staub- und Schrautz- 
ansammlungen geben können. 

Die beim Reihenpflaster entstehenden Quer- und Längsfugen 
werden so dicht als technisch zulässig ausgestaltet, da sie durchweg 
Schmutzsammler sind und bei grosser Breite der Querfugen die Ober- 
flächen der Steine leicht gekrümmt werden, zu sogen. Katzenköpfen 
sich gestalten, welche als Erzeuger von Lärm und Vermehrer von 
windsicheren Flächen zur Staubablagerung anzusehen sind. 

Mit der Zeit gehen durch die Einwirkungen äusserer Einflüsse, 
namentlich durch den Verkehr, durch Fegung und durch Nieder- 
schläge die obersten Schichten des Fugensandes verloren und die 
Fugen werden alsdann durch Strassenschmutz gefüllt. Um dieses zu 
verhüten, werden die Fugenfahrbahnen mit Reihengrosspflaster ca» 3 
bis 4 Jahre nach ihrer Herstellung, d. h. wenn die Deckenbewegungen 
aufgehört haben, mittelst Druckwasser zur heissen Jahreszeit auf 
eine Tiefe von 7 bis 8 cm ausgespült. Nach natürlicher Trocknung 
der Steine werden die Hohlräume zwischen ihnen mit bestem Pflaster- 
pech ausgegossen, welches lange elastisch bleibt, von der Luft nicht 
so schnell verzehrt wird und demnach einen guten wasserdichten 
Abfluss auf Jahre gewährleistet.. Es wird hierdurch nicht allein einer 
Verseuchung des Untergrundes wirksam vorgebeugt, sondern den 
Fugen die Eigenschaft als Staubsammler genommen; die Nährböden 
für Miasmen aller Art können damit auf längere Zeit nicht auf- 
kommen. 

4* Bau der Reitwege. 

Für die Reitwege konnte bis jetzt keine Bauart gefunden werden, 
welche den Forderungen in rein gesundheitstechnischer Hinsicht zur 
Verhütung oder auch nur zur Verminderung von Staub und Schmutz 
bis jetzt durchaus genügte. Aber die Reitwege gehören zur Aus- 
stattung einer modern angelegten Hauptstrasse in grossen Städten! 

Die Anlag« der Reitwege ist recht schwierig, wenn der Strassen- 
boden wiö in Wiesbaden wasserundurchlässig ist und aus Letten 
besteht; eine schnelle Versumpfung bei unserem wetterwendischen 
Klima ist die Folge. Alsdann geraten sie aber in einen Zustand, 
dass sie dem Zwecke des Reitsportes nicht mehr dienen können; es 
wäre dann ja am besten, sie würden einfach beseitigt oder überhaupt 
keine weiteren Reitwege mehr angelegt werden. Diese Forderung 



82 Scheaermann, Anlage und Pflege der Strassen. 

bleibt aber für Wiesbaden ein frommer Wunsch, wo viele und 
einflussreiche Bürger dem Reitsport in Stadt und Wald huldigen. 
Gar viele Fremde halten sich zu diesem Zwecke vorübergehend in 
jedem Jahre hier auf, um auch in Wiesbaden und seiner Umgebung 
mit ihren eigens zu diesem Zwecke mitgebrachten Pferden dem 
Reitsporte zu huldigen. In einer vornehmen Baderstadt ist eben 
Sport aller Art zu Hause und damit muss die Stadtverwaltung 
rechnen, wenn sie das glanzende Ansehen als Weltkurstadt bei 
hervorragenden Vertretern aller Nationen weiter erhalten wilL 

Um nun der Versumpfung wirksam vorzubeugen, werden alle 
Reitw^e mit Drainage angelegt, welche an die Kanalisation ange- 
schlossen wird. Damit wird aber ein neuer Übelstand gezeitigt, 
indem nunmehr die Reitwege zu schnell austrocknen und die aus 
Flusssand und Sägemehl bestehenden Mischungen durch den Wind 
auf den Strassenflachen und in benachbarten Wohnungen zerstreut 
werden; aus diesem Grunde wurde auch die frühere Beimischung von 
Lohe als ein sehr leichter Baustoff weggelassen. Um nun die Reit- 
wege weiter zu erhalten, dem seitherigen Übelstand aber wirksam 
zu begegnen, ist in Aussicht genommen, die Reitwegmischung aus 
Perlkies von gleichem Korn zu bilden; jedenfalls eine hygienisch 
einwandfreiere Mischung. So soll im Jahre 1909 der vielbenutzte 
Reitweg in der Wilhelmstrasse bei deren Umbau neu angelegt werden. 

5. Bau der Fahrbahnkörper innerhalb der 
St rassenbahn flächen. 
Auf den Bau und die Unterhaltung der Fahrbahn innerhalb 
der Breite des Strassenbahnkörpers soll hier nur kurz eingegangen 
werden. Bei Schaffung dieser modernen Verkehrseinrichtungen soll 
für die Folge nicht mehr diejenige Bauweise wieder angewendet 
werden, welche jetzt wie in allen anderen Grossstädten auch in 
Wiesbaden zu andauernden Missständen in der Erhaltung der Fahr- 
bahnfläche geführt haben. Diese Bauweise, die Bettung und Ein- 
hüllung der starken und fortwährend Bewegungen ausgesetzten, 
federnden Strassenbahnschienen auf einem bezw. in einen schwachen 
und starren Baukörper, wie es der Beton ist, ist technisch nicht 
richtig; ehe die Schienen als betriebsuntauglich zur Auswechslung 
zu kommen brauchen, wird der so hergestellte, wasserundurchlässige 
Unterbau und Seitenbau durch die nicht zu bannenden Bewegungen 
der Schienenstränge und durch den Einfluss des Wassers, das in 
die Fahrbahn vermittelst der Schienen als deren unwillkommene 



Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 83 

Bewässerungsvorrichtungen eindringt, kurze Zeit nach der Ausführung 
in Mitleidenschaft gezogen und mit der Zeit so zerstört, dass eine 
Wiederherstellung überhaupt nicht mehr möglich ist. Mit der Zer- 
störung des Unterbaues verliert aber auch die Decke aus Asphalt, 
Steinplatten oder Holzstöckel ihi'en Halt und wird dann ebenfalls 
zerstört. Daher wird aus wirtschaftlichen und hygienischen Gründen 
zur althergebrachten und technisch richtigen Bauweise für fort- 
während in Bewegung befindliche Konstruktionen zurückgekehrt 
werden, indem der Unterbau und die Decke aus Natursteinen mit 
eben geschliffenen Oberflächen und mit nachgiebigem Füllmaterial 
und beide Baukörper vereint dabei wasserdurchlässig von vornherein 
hergestellt werden, damit nicht die Konstruktion selbst diese Eigen- 
schaften sich später zu schaffen braucht. Von den Schienensystemen 
ist die einteilige, mindestens 15 m lange Schiene aus bestem Stahl 
mit hohem Steg und breitem Fuss und einer guten Stossdurchbildung, 
wie sie jetzt in der Schienenkopflasche oder der einfachen oder 
verstärkten Fusslasche geschaffen ist, in hygienischer Beziehung und 
in wirtschaftlicher Hinsicht am besten, so dass nur noch dieses 
Schienenprofil für später in Aussicht genommen ist. Alle anderen 
Anordnungen taugen strassenbautechnisch weniger und können auch 
nichts taugen, weil auch hier der Grundsatz gilt: „Der Schwache 
muss dem Starken weichen!" Dafür darf aber fernerhin kein Geld 
mehr aufgewendet werden, damit der schwache und starre Baukörper 
(Beton) sogar auch in denjenigen Teilen von dem starken elastischen 
Baukörper (Schiene) zerstört wird, welche gar nicht an der Ober- 
fläche liegen und infolgedessen dem Verschleiss durch Verkehr nicht 
direkt ausgesetzt sind! 

II. Pflege der Strassen. 

1. Verbesserung hygienisch verwerflicher 
Strassendecken. 

Nur in den Landhausvierteln sind die durchweg chaussierten 
Fahrbahnen einer Verbesserung bis jetzt noch nicht unterzogen 
worden. Sie unterliegen ja in diesen ruhigen und vornehmen Wohn- 
strassen sehr wenig dem Lokalverkehr und noch weniger dem Durch- 
gangsverkehr und gegebenenfalls verkehren hauptsächlich nur leichtere 
Fuhrwerke in ihnen; ein geringer Verschleiss der Flächen ist die 
Folge davon, so dass die Haltbarkeit der Decken oft über 10 Jahre 
hinaus sich erstreckt und die höchstens alle paar Jahre notwendig 
werdende Unterhaltung sich nur auf Beseitigung einzelner Schlag- 



84 ScHeuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 

löcher erstreckt. Die atmosphärischen Einflüsse wirken mehr auf sie 
ein ; die Sonnenstrahlen trocknen die Decke aus ; Staub wird erzeugt, 
welchen der Wind in die Nachbarschaft weiter trägt und welcher 
die an Ruhe, Reinheit, Kühle und Feuchtigkeit der Luft gewöhnten 
Anwohner belästigt; der Regen weicht die Flächen auf und versetzt 
sie in einen schmutzigen Zustand, welcher auch für den Fussgänger- 
verkehr insofern lästig ist, als durch diesen der Schmutz der Fahr- 
bahnen an den Strassenübergängen auf die Gehwege und damit in 
die Wohnungen verschleppt wird. 

Westrumitierung. Um diesen Missständen in gesundheits- 
technischer Hinsicht auch für die Fahrbahnen in den ruhigen und 
verkehrsarmen Landhausstrassen zu begegnen und die atmosphärischen 
Einflüsse auf den Bestand der Fahrbahndecken zu verringern, die 
Geräuschlosigkeit derselben aber unter allen Umständen gleich- 
zeitig ohne bauliche Umwälzungen zu erhalten, wurden bereits 
verschiedene Versuche auch in Wiesbaden gemacht. Leider sind die 
hierzu verwendeten Mittel über das Stadium des Versuchs nicht 
herausgekommen : die Westrumitierung der Flächen hat sich als nicht 
nachhaltig erwiesen. Wenn auch eine Staub Verminderung vorüber- 
gehend erzielt worden ist, so machte sich später ein unangenehmer 
Geruch bemerkbar, der den Anwohnern, sowie den Spaziergängern 
Anlass zu Beschwerden gab, so dass die weitere Anwendung dieses 
viel zu teuren und viel zu wenig wirklich verbessernden Mittels 
aufgegeben wurde. Auffallend war auch, dass diese im Nerotal ver- 
suchsweise westrumitierte Fahrbahnfläche eine Menge Fliegen anzog. 

Teerung. Auch die Versuche, eine „Verhärterung" der Ober- 
fläche unter Erhaltung ihrer Geräuschlosigkeit durch Teerung zu 
erzielen, sind zum grössten Teil fehl geschlagen; sie hat sich auf 
chaussierten Fahrbahnen überhaupt nicht, auf Kiesflächen nur in 
geringem Umfang bewährt, obwohl die Versuchsflächen nur in ganz 
geringen Steigungen liegen. Für steigende Flächen wurde selbst der 
Versuch von vornherein als aussichtslos erachtet; es wurde auch 
befürchtet, dass derartig steigende Oberflächen glatt und schlüpfrig, 
mithin verkehrsgefährlich werden könnten. Es entstand nebenbei 
für die Anwohnerschaft eine Geruchsbelästigung bald nach der 
Teerung, welche mitunter noch Wochen lang anhielt. 

Die grosse Abhängigkeit von trockenem Wetter zur Erzielung 
sonnendurchwärmter und tiefausgetrockneter Decken ist ein Haupt- 
übelstand für die Anwendung des Teerverfahrens zur „Verhärterung" 



Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 85 

von Oberflächen chaussierter Fahrbahnen von Stadtstrassen, welche 
nicht so wie die weit verkehrsärmeren Landstrassen frei dem Winde 
und der Sonne ausgesetzt sind und auch fortwährend durch Sprengen 
kühl und feucht gehalten werden müssen; dazu kommt noch für 
Wiesbaden als weitere ungünstige Tatsache in Betracht, dass der 
Strassenboden wasserundurchlässig ist und infolgedessen die Feuchtig- 
keit in Unterbau und Decke naturgemäß länger vorhält, zumal die Stück- 
steine des Unterbaues aus wassersaugendem Taunusschiefer bestehen. 
Teermakadam. Trotz dieser Misserfolge beim Teeren soll 
eine Verbesserung der chaussierten Fahrbahnen in den Landhaus- 
vierteln unter Erhaltung der Geräuschlosigkeit auf andere Art an- 
gestrebt werden ; Staub und Schmutz muss auch aus ihnen unbedingt 
heraus ! In neuerer Zeit hat sich lebhaftes Interesse für die Anwendung 
des Teermakadams auch in den deutschen Städten bekundet, nachdem auf 
die Erfolge in England die Aufmerksamkeit allgemein gelenkt worden 
ist. Englischen Einrichtungen folgend, will nun eine mit der Stadt 
Wiesbaden in mehrfachen Verträgen stehende Gesellschaft, einer 
Anregung des Verfassers folgend, ein eigenes Teerschotterwerk ein- 
richten und von 1909 ab Teerschotter und Teerstücksteine liefern. 
Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, dass die Behandlung der 
chaussierten Strassen auch hier von Erfolg begleitet sein wird, wenn 
geeignete Witterungsverhältnisse die Ausführung begünstigen; aller- 
dings können alsdann nur solche Fahrbahnen verbessert werden, 
welche in nicht zu steilen Landhausstrassen liegen. Als Grenze 
hierfür ist vorläufig 4^/q angenommen. 

^ 2. Strassenunterhaltung. 

Der Buchwert der in die Stadtstrassen eingebauten Strassenkörper, 
Unterbau und Decke, beträgt mit Abschluss des Rechnungsjahres 1907 
ungefähr 8,35 Millionen Mark, welche sich wie folgt verteilen: 

Gehwege mit ca. 493000 qm = 39 o/o Fläche i. Werte von ca. 2,5 Mill. -- 30,0 o/o 

Fahrbahnen , , 753000 „ = 590/o „ , , , , 5,82 , =. 69,5 o/o 

Reitwege , , 25000 „ = 20/o „ , „ „ , 0,03 , = 0,50/o 

Sa. 1 271 000 qm=lOOO/o Fläche i. Werte von ca. 8,35 MiU. = 100,00/0 

Das Weichbild der Stadt, also die besiedelte Fläche der Gemarkung, 
durch welches diese Strassen führen, beträgt zur Zeit ca. 550 ha; 

hiervon entfallen auf: 

obige Strassenflächen 127 ha 

dazu Parkflächen, öffentliche Gartenanlagen . 38 „ 

Öffentliche, unbebaubare Flächen . . 165 „ 



Demnach reine Baublockflächen . . 385 ha. 



86 Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 

Das Weichbild der einzelnen Landhausviertel nehmen von obigen 
550 ha 310 ha, also 57®/q des gesamten Weichbildes ein, während die 
Strassen- und Parkflächen zusammen 30 ^/q des Weichbildes ausmachen. 

Aus diesen beiden Prozentsätzen dürfte schon allein zu folgern 
sein, wie licht- und luftreich das Häusermeer beschaffen ist. Dazu 
kommt noch, dass ausser den grossen Pflanzflächen innerhalb der, 
Baublöcke in den einzelnen Landhausvierteln auch noch zahlreiche 
Strassen in der Altstadt und dem Aussenring der geschlossenen 
Bauweise vorhanden sind, an welche Pflanzflächen entweder in Form 
öffentlicher Gärten oder von Vorgärten angrenzen. 

Dieses, gegenwärtig vorhandene, Strassenareal wird mit der 
grössten Sorgfalt ständig so gepflegt, wie es wirtschaftlich vertreten 
werden kann und hygienisch vertreten werden muss. Es wird haupt- 
sächlich auf Ausrottung aller derjenigen Strassendecken hingearbeitet, 
welche rasch verschleissbare und leicht zerstreubare Baustoffe enthalten 
und demnach die besten Erzeuger für Staub und Schmutz sind. 
Daneben gilt es auch, bei Erneuerung von Decken die Verminderung 
des Geräusches tunlichst zu berücksichtigen. Allerdings sind bei 
diesen Umbauten auch Gründe der Wirtschaftlichkeit nicht ausser 
acht zu lassen und nebenbei, wie schon mehrfach erwähnt, auch die 
welligen und hügeligen Terrainverhältnisse neben dem schlechten 
Strassenboden ausschlaggebend. 

Nachstehende Tabelle (Seite 87) gibt eine Übersicht, auf welche 
hygienische Basis durch Neuanlagen und Umbauten von Strassen das 
Strassenareal zur Zeit gebracht ist. 

Aus den Prozentsätzen dürfte ohne weiteres zu folgern sein, 
dass die Beschaffenheit der Fahrbahnen in hygienischer Hinsicht ein 
recht befriedigendes Ergebnis zur Zeit hat. Die noch vorhandenen 
Chaussierungen liegen jetzt nur noch in Wohnhausstrassen oder sonst 
verkehrsarmen Strassen und können meist wegen zu grosser Steigung 
nicht durch eine andere geräuschlose Decke vorläufig ersetzt werden. 

Auch für das Areal der Gehwege dürfte der Abschluss in 
hygienischer Hinsicht befriedigen; denn die fugenlosen und ebenen 
Deckenflächen machen den grössten Prozentsatz aus und werden 
durch allmähliche Beseitigung der Natursteinplatten noch vermehrt 
werden. Die Kiesflächen sind allerdings in einer erheblichen Anzahl 
vertreten, liegen aber meist in verkehrsarmen Gehwegen der Aussen- 
bezirke, während im Innern der Stadt fortwährend durch Umbauten, 
hauptsächlich von Strassenpromenaden daran gearbeitet wird, dass 
ein grosser Teil der Kiesflächen mit der Zeit durch Mosaik ersetzt wird. 



Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 



87 



1 


2 


3 


4 






In hygienischer Hinsicht 






gute 


mittelmäßige verwerfliche | 


Summa 


S 


IT*] är h ATI xirArf. 










1 
Jz; 


bezw. 


Deckenflächen in qm i 


md zwar 




'S 














i 


Deckenbefestigüng 


eben, 


uneben 


rasch ver- 






U 

^ 




fugenlos 

oder 
fugenarm 


und 
fugenreich 


schleissbar 
und leicht 
verstreubar 


qm 


% 




A. Gehwege 












1 


Kies 


— 





145 200 


145 200 


30 


2 


Natursteinplatten 


— 


108 300 


— 






3 


Mosaik .... 





45 600 









4 


Gekuppte Zement- 








163 400 


33 




und Tonplatten 


— 


9 500 


— 






5 


Granitbordsteine . 


36 600 


— 


— 






6 


Gussasphalt . . 


132 500 


— 


— 






7 


BasUltin. . . . 


8 800 


— 


— 


184200 


37 


8 


Gusszement . . 


5 900 


— 


— 






9 


Zementrinnen . . 


400 


— 


— 






1-9 


Sa. A. Gehwege 


184200 


. 163 400 


145 200 


492 800 


100 




B. Fahrbahnen 












10 


Chaussierung . . 


— 


-— 


255 000 


255 000 


34 


u 


Grosspflaster . . 


— 


356 500 


— 


1435 500 


58 


12 


Kleinpflaster . . 


— 


79000 


— 


13 


Gussasphalt . . 


4900 


— 


— 






14 


Stampfasphalt 


40 000 


— 


— 


1 62 200 


8 


15 


Holzpflaster . . 


17 700 


— 


— 






10-15 


Sa. B.Fahrbahnen 


62 600 


435 500 


255 000 


753 100 


100 



Hygienisch verwerfliche Decken weisen sich als solche in jedem 
Rechnungsjahre selbst aus: Sie beanspruchen die meisten anteiligen 
Kosten bei der Strassenunterhaltung durch die fortgesetzte, erhebliche 
Aufwendung an Baumaterialien, Arbeitslöhnen und Fuhrlöhnen. 
Derartige, demnach zugleich auch unwirtschaftliche Flächen werden 
nach und nach durch Umbauten beseitigt und dadurch gleichzeitig 
hygienisch einwandfreiere Verhältnisse neben stetiger Verringerung 
der Unterhaltungskosten geschaffen. 



88 



Sc heuermann, Anlage nnd Pflege der Strassen. 



In nachfolgender Tabelle ist nachgewiesen, dass hygienisch 
einwandfreie Fahrbahnen, das sind solche mit gerauschlosen Decken, 
recht gut von vornherein zur Ausführung konunen können und 
den Vorzug vor denjenigen mit geräuschvollen Decken wirklich 
verdienen, wenn auch die Kosten der Ausführung sich höher stellen. 
In einem Zeiträume von 40 Jahren bleiben sie in den Gesamtausgaben 
sogar billiger, so dass die Anwendung dieser geräuschlosen Fahr- 
bahnen, wenn nicht schon beim Neubau, so doch beim Umbau einer 
Fahrbahn auch aus wirtschaftlichen Gründen unter allen Umständen 
?u rechtfertigen ist. Diese Tatsache ist vom gesundheitstechnischen 
Standpunkte doch sehr zu begrüssen, nachdem bei dem ständig zu- 
nehmenden Strassenverkehr das Bedürfnis nach geräuschlosen Fahr- 
bahndecken stetig grösser wird. 



1 


2 


3 


4 


b 






Kapitalaufwand 






o 

B 

B 

1 
J 


Befestigungsarter 


i 


pro qm mit Zinseszins für 






a) 

Herstellung 

mit Unterbau 


b) 
' Herstellung i nach 
iünterhaltung 40 
1 Erneuerung ) Jahren 


Wirtschaftliche 

Verwendung 

in 


M.;Pf.jo/o |W 


■ M. 1 Pf. 1 o/o 


W 




1 


Chaossierung . . 


o 
o 


3 60= 16 1 


72 i 20 38 

1 


; 1 


Verkehrsarmen 

LandhansstTMaen 

oder Waldfalir- 

Strassen 


2 


Hartgussasphalt . 


p 


15 30 70 5 


118 10 62 


4 


Verkehrsstrassen 


3 


Stampfasphalt . 


13 50 61 4 


, 121 80 64 


1 5 


♦) 


4 


Chaussierung . . 


'i 


3 60 16 2 


125 40 66 


; 7 


Nicht mehr in 
Verkehrsstrassen. 


5 


Hartholz . . . 


1 


22- 100 11 


147 50 78 


10 


*) 


6 


Weichholz . . . 


c 


16 — ; 73 7 


189 80 ! 100 


' 11 


*) 


7 


Kleinpflaster . . 


c 


9 90 45 3 


75 10 1 40 


' 2 


Überpflastemng 
von chanssierten 






4 












8 


Basalt .... 




15 80 i 72, 6 

i 1 


104 60 


55 


3 


Flachen Wohn- 
strassen der 
AussenyierteL 


9 
10 


Schwed. Granit . 
Deutscher Granit 


? 

^ 
1 


18 50, 84 9 

1 

19 20' 87 10 


\ 122 1 20 i 64 

1 

126 70 '; 67 


6 

8 


\ Vorortstrassen 
1 oder Hanpt- 
1 verkehrsstrassen 
J in den Anssen- 
vierteln. 


11 


Melaphyr . . . 




16 30, 74 8 


; 135 1 10 : 71 


9 


Steigenden Wohn- 
strassen der 










1 






Anssenviertel. 



*) Hauptverkehrsstrassen oder Prachtstrassen der Innenstadt. 



Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 89 

Es wird ständig dafür gesorgt, dass die ebenen Oberflächen 
auch so erhalten bleiben, so dass keine Mulden entstehen können^ 
welche alsdann als Sanunler für Wasser, Staub, Schmutz oder Tier- 
auswürfe dienen und sich durch den Verkehr Krankheitskeime alsdann 
auf Mensch und Tier von hier aus leicht übertragen können. 

Auf die Erhaltung der Ebenheit der Oberfläche der Gehwege 
wird noch mehr Wert wie auf die der Fahrbahnen gelegt, da hier — 
besonders in den lebhaften Stadtstrassen — bei dem grossen und 
stetigen Fremdenverkehr am meisten Verkehrsstaub erzeugt wird. 

Auch für gute Entwässerung der Fahrbahn- und Gehwegflächen 
wird ständig gesorgt; da die Strassen meist in Steigungen liegen, ist 
ja an und für sich ein rascher Abzug des Wassers gewährleistet. 
Wo sich aber bei flachen Strassen durch spärliche Zahl der Strassen- 
Sinkkästen Wasseransammlungen bilden, werden diese entsprechend 
vermehrt; dies geschieht in erster Linie bei Decken aus Stampf- 
asphaltfahrbahnen, wo bei Stehenbleiben des Wassers in den verkehrs- 
armen Rinnen ein Faulen des Asphaltes allmählich herbeigeführt wird. 

3. Strassenreinigung. 

Die Strassenreinigung liegt nach einer Gassenreinigungsordnung 
vom Jahr 1778 den Anliegern bis zur Mitte der Fahrbahnen ob ; 
anfangs der neunziger Jahre, als in Wiesbaden durch stetiges Empor- 
streben zur Grossstadt der Verkehr mit jedem Jahre wuchs, übernahm 
die Stadtverwaltung freiwillig die Reinigung der Fahrbahnen bis auf 
weiteres. Die Verpflichtung der Anlieger bleibt aber vor wie nach 
bis zur Fahrbahnmitte bestehen, und die Reinigung der Fahrbahnen 
wird aus allgemeinen Mitteln durch die Steuerumlage gedeckt. 

Nach Beseitigung der vielen chaussierten Fahrbahnen mit starkem 
und mittlerem Verkehr durch Überpflasterung mit Grosspflaster oder 
Kleinpflaster oder durch Einführung geräuschloser Decken in den 
letzten 10 Jahren konnte das ganze Reinigungswesen endgültig ge- 
ordnet werden. Die Hauptreinigung sämtlicher Fahrbahnen findet 
bei Nacht statt, also in der verkehrslosen Zeit, wo mit Maschinen 
und Pferden und dadurch mit technisch möglichster Beschränkung 
der unwirtschaftlichen Handarbeit der grösste Reinigungseffekt auf 
billigste und hygienisch vollkommenste Weise erzielt werden kann. 
Diese Hauptreinigung zur Nacht beginnt mit Monat März und endet 
mit Monat Oktober, findet also zu einer Zeit statt, wo der Verkehr 
und die Anzahl der trockenen und Staub erzeugenden Tage am 
grössten ist. Jede Nacht werden die Fahrbahnen mit ebenen Decken 



90 Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 

mittelst Spülmaschinen gereinigt, während die Fahrbahnen aus Reihen- 
lileinpflaster oder Grosspflaster zwei-, drei- oder viermal in der Woche 
mittelst gewöhnlicher Kehrmaschinen bei voraufgehenden Giesswagen 
^gesäubert werden, je nachdem die Strassen dem Hauptverkehr oder 
mittleren Verkehr dienen oder nur reine Wohnstrassen sind. Aus- 
genommen von der Nachtreinigung sind die chaussierten Fahrbahnen, 
welche jetzt nur noch zu reinen Wohnstrassen, d. h. verkehrsarmen 
Strassen gehören, so dass die Reinigung am Tage durch Arbeiter 
mit Besen vollauf genügt. 

Ferner hat neuerdings die Stadtverwaltung die Reinigung auch 
von Gehwegen freiwillig ohne Heranziehung der Anlieger übernommen, 
so weit das Kurinteresse der Stadt in Betracht kommt. So werden 
seit einem Jahr die Gehwege, auf welchen der Fremdenverkehr sich 
hauptsächlich abwickelt, in der Wilhelmstrasse, Taunusstrasse, 
Elisabethenstrasse, Rheinstrasse, je nach Bedürfiiis und immer in der 
Nacht vor Sonn- und Feiertagen durch eine Arbeiterkolonne mit 
Handschlauch direkt abgespritzt. 

Ebenso wie die Ergänzungsreinigung bei Tag wird auch die 
Reinigung der Strassensinkkästen in der frostfreien Jahreszeit 
vorgenommen. 2 Arbeiterkolonnen mit je 3 Mann mit einpferdigen 
Schlammwagen haben dafür zu sorgen, dass die Strassensinkkästen 
dem Bedürfnis entsprechend fortwährend von festen Stoffen befreit 
werden und dass die Entleerung derselben ohne jede Geruchsbelästigung 
und ohne Lärm vor sich geht. 

Der Schnee wird unter Verstärkung der Arbeiterschaft der 
Strassenreinigung durch ständige Arbeiter anderer Betriebsgruppen 
rasch und billig von den Fahrbahnen beseitigt, nachdem die Anlieger 
^emäß Strassenpolizeiverordnung den Schnee von den Bürgersteigen 
nach den Fahrbahnen zeitig geschaufelt haben; der Schnee wird in 
-die nächstliegenden Kanalschächte eingeworfen, welche besonders 
hierzu freigegeben werden bezw. ausgerüstet sind. 

Zeitig im Herbst werden im ganzen Weichbild der Stadt an 
verkehrsarmen Strassenstellen Sandkästen aufgestellt und diese mit 
Flusssand gefüllt, um die Verkehrssicherheit für Mensch und Tier 
auf den Strassenübergängen und den ebenen Fahrbahnflächen in der 
Frost- und Eiszeit zu erhalten. 

Im Winter, als der verkehrsärmeren und durchweg feuchten 
Zeit ruht die Nachtreinigung ganz; je nach Bedarf werden alsdann 
•die Strassenfahrbahnen am Tage über mit Sprengwagen oder durch 



Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 91 

Schlauch gewaschen oder abgespült. Die lösende Wirkung der Nieder- 
schläge wird hierbei ausgenutzt bezw. verstärkt. 

Jahraus jahrein unterliegen die Fahrbahnen am Tage über einer 
Ergänzungsreinigung, um sie von zufälliger Beschmutzung ständig zu 
befreien. In Hauptverkehrsstrassen sind 60 Streckenwärter als Einzel- 
arbeiter aufgestellt; je nachdem es das Bedürfiiis erheischt, arbeitet 
in diesen Strassen auch am Tage alsdann die Kehrmaschine. Weiter 
ist das ganze Strassennetz in 10 einzelne Bezirke eingeteilt, welche 
Kehrkolonnen von je 7 Mann durchstreifen und dabei die Einzel- 
kehrer unterstützen bezw. sie ständig überholen. 

Der in den Handkarren gesammelte Unrat wird von den Einzel- 
kehrern in Kehrichtgruben, welche an die Kanalisation angeschlossen 
und im ganzen Weichbilde der Stadt an verkehrslosen Stellen der 
Oehwege eingebaut sind, geschüttet. Die Pferdekarren, welche die 
Kolonnen begleiten, leeren die Gruben nach Bedarf aus. So ist auch 
hierbei dafür gesorgt, dass der Unrat rasch und ohne Geruch be- 
seitigt wird. 

Sowohl für die Hauptreinigung bei Nacht als die Ergänzungs- 
reinigung bei Tag ist Feuchtkehren durchweg vorgeschrieben; das 
Abkehren vorher nicht benetzter Flächen, einerlei, ob nachher eine 
Maschine oder ein oder mehrere Arbeiter mit Besen darüber gehen, 
ist bei Strafe verboten. 

Die Hauptreinigung bei Nacht ist durch die Anwendung von 
Maschinen und Pferden rasch, billig und hygienisch einwandfrei mit 
nur wenigen Arbeitern durchzuführen; bei der Ergänzungsreinigung 
am Tag ist dies leider nicht der Fall. Es fehlen bis jetzt derartige 
Maschinen, welche die hygienisch verwerfliche und dabei unwirt- 
schaftliche Handarbeit mit primitiven Werkzeugen auch am Tage 
beseitigen könnte. Stadtverwaltungen, wie Wiesbaden, wo die Stei- 
gungen der Strassen die Anwendung von ebenen und geräuschlosen 
Fahrbahnflächen so wenig aufkommen lassen, empfinden besonders 
hart, dass die Reinigungsverhältnisse am Tage weder hygienisch ver- 
bessert noch technisch verbilligt werden können. 

Wenn auch ein grosser Teil der Staub und Schmutz bildenden 
Flächen, hauptsächlich der chaussierten Fahrbahnen innerhalb der 
letztern 4 bis 5 Jahre verschwunden ist, so ist doch die weitere zu- 
fällige Beschmutzung, hauptsächlich durch Pferde, bestehen geblieben, 
ja sogar nachweislich stetig gewachsen. Neben der Vermehrung der 
Equipagen infolge des stetigen Zuzugs von Herrschaften mit eigenem 



92 Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 

Marstall haben auch die Lastfuhrwerke sich ständig vermehrt, da die 
Bautätigkeit in den Strassenerweiterungsgebieten in den letzten Jahren 
sehr rege gewesen ist. Wenn auch scharfe Bestimmungen der Strassen- 
polizeiverordnung erlassen sind, um zu verhüten, dass beim Transport; 
loses Ladegut verloren geht und die Strassen beschmutzt, so lässt 
sich die Beschmutzung bei der lehmigen Beschaffenheit des Strassen- 
bodens und des Baugrundes doch nicht ganz vermeiden. 

Alle Werkzeuge, Geräte, Maschinen, welche für die Haupt- 
reinigung angewendet werden, sind so eingerichtet und werden in 
dieser Hinsicht ständig so verbessert, dass die Reinigung rasch, 
intensiv und dabei geräuschlos durchgeführt werden kann. Deshalb 
werden auch für die Ergänzungsreinigung am Tag nur noch voll- 
wertige -Arbeiter angenommen und die von der Armenverwaltung^ 
überwiesenen Arbeiter nach und nach abgestossen. Zur Verminderung^ 
der Staubaufwirbelung, hauptsächlich im Frühjahrund Herbst, werden 
durchweg Rosshaarbesen von 70 cm Breite für das Reinigen von 
fugenlosen, ebenen Flächen verwendet; Reiserbesen und Piassava- 
besen werden hauptsächlich zur Beseitigung des Pferdemistes auf 
fugenreichen und weniger ebenen Fahrbahndecken verwendet, weil 
der Mist aus den Fugen besser durch rauhere Borsten herausgeschafft 
werden kann. Die Besenhölzer sind dementsprechend noch besonders- 
mit Fugenkratzern armiert. Die in der Nacht arbeitenden Spül- und 
Kehrmaschinen sind so eingerichtet, dass möglichst wenig Leerfahrten 
entstehen, in der Arbeitsstunde also recht viele Quadratmeter zur 
Reinigung kommen können. 

Je öfter ein und dieselbe Verkehrsfläche bestrichen werden 
kann, um so grösser ist die Intensität der Reinigung und um so 
mehr wird demnach den Forderungen der Hygiene in bezug auf den 
Grad der Reinheit der Verkehrsfläche entsprochen. 

4. Strassenbesprengung. 

In Wiesbaden setzt die Wärme früh ein und früher wie sonstwa 
erwachen Bäume, Sträucher und Pflanzen aus ihrem Winterschlaf. 
Der Märzstaub belebt die Strassen schon in den ersten Tagen des 
Monats. Es muss daher mit der Besprengung der Strassen schon 
im frühesten Frühjahr begonnen und es kann erst mit Ablauf des- 
Herbstes aufgehört werden. Die Sprengwagen verkehren in dieser 
Zeit von morgens früh bis abends spät ununterbrochen auch an 
Sonn- und Feiertagen. Auch hier ist die Bauart der Wagen so- 



Tafel 32, 




c 

bß 

bß 

C 

D- 



(L> 
C 

C 
3 



QJ 
C/3 
C/3 

o 
O 



Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 93 

durchgeführt, dass in der kürzesten Zeit recht viel Flächen zur 
Besprengung kommen und. hierbei tunlichst wenig Fahrgeräusch 
entsteht. 

An Stelle von früheren rasselnden Turbinenwagen mit grosser 
Sprengbreite und weniger geräuschvollen Brauserohr wagen mit geringer 
Sprengbreite, wobei die Räder auf Stossachsen liefen, sind jetzt 
durchweg hohe Düsen wagen eingeführt, deren Räder in sog. Patent- 
achsen geräuschlos in Ol, also sehr leicht laufen. Es verkehren 
deshalb bei dem bergigen Gelände Wagen mit 2500 1 Wasserfüllung, 
ohne däss die Pferde hierbei überanstrengt werden. Tafel 32 ver- 
anschaulicht den Unterschied zwischen der alten unwirtschaftlichen 
und der neuen wirtschaftlichen Bauart. Sie sind in der Sprengweite 
dreifach verstellbar, so dass je nach der Breite der Fahrbahn schon 
beim erstmaligen Durchfahren die ganze Breite derselben und zwar 
bis zu 10 m benetzt werden kann. In jedem Sprengbezirk — welcher 
tunlichst mit einem Zweigdepot zur Verminderung der Leerfahrten 
ausgerüstet ist — kann demnach innerhalb der vorgeschriebenen 
Arbeitsstunden rasch und oft gesprengt werden. Es ist überall 
dadurch möglich, dass unter Aufwendung der geringsten Kosten die 
Fahrbahnflächen sich stets in einem fugenfeuchten Zustande befinden. 
Staubbildung kann sonach nur schwer aufkommen, was bei dem 
starken Verkehr der Automobile auch nicht sein darf, wenn der 
übrige Verkehr auf der Strasse nicht in Mitleidenschaft gezogen 
werden soll. 

Es werden nicht allein di« Fahrbahnen besprengt, sondern auch 
die Reitwege und die Mittelpromenaden der Hauptstrassen, sowie die 
Schulhöfe. Ihre Bauart verträgt es, dass die Sprengwagen über die 
Kiesflächen und auf den Reitwegen ohne nachteilige Folgen für 
deren Bestand verkehren könneji. Die reichliche Besprengung dieser 
gierig wasseraufnehmenden Nutzflächen trägt ebenso zur Kühlhaltung 
am Tage und rascheren Abkühlung am Abend für den Strassenluft- 
körper bei, wie die baumlosen und ebenfalls der Besprengung ständig 
unterworfenen Pflanz- und Zierflächen. 

Schluss. 

Dem früher sehr häufig verbreiteten Gerücht, in Wiesbaden 
sei es zu heiss und zu staubig, ist infolge Beseitigung rasch 
verschleissbarer und leicht verstreubarer Baustoffe aus den Decken der 
Verkehrsflächen, nach Ersatz fugenreicher und unebener Fahrbahnen 
durch ebene und fugenlose oder fugenarme, sowie nach Einführung 



94 Scheuermann, Anlage und Pflege der Strassen. 

ständiger Reinigung und fortwährenden Feuchthaltens der Verkehrs* 
flächen gründlich und anscheinend auch mit Erfolg der Boden ent- 
zogen worden. Soweit nicht die waldreiche Umgebung Wiesbaden» 
von Natur aus daflir sorgt, dass das Weichbild der Stadt ständig 
abgekühlt wird und so bleibt, ist die Stadtverwaltung auch stets 
bemüht, in Nachahmung dieser natürlichen Vorzüge bestehende Ein- 
richtungen zu verbessern und neue zu schaffen. Hierzu gehört 
neben oben erwähnten Maßnahmen auch die Vermehrung der bereits 
vorhandenen zahlreichen über das ganze Weichbild verteilten Pflanz- 
flächen auf den öffentlichen Verkehrsflächen und innerhalb der Bau- 
grundstücke ! 



E. Bebauungsplan und Bauordnung. 

Von Stadtvermessungs-Inspektor Bornhofen. 



L Bebauungsplan. 

Der Bebauungsplan enthält die amtliche und urkundliche Be- 
stimmung der zu bebauenden und der als Strassen, Plätze und 
gärtnerische Anlagen freizuhaltenden Flächen eines Gemeindegebietes, 
d. h. er veranschaulicht die zukünftige Ausdehnung einer Stadt und 
gibt Auskunft über die Entwickelung des Verkehrs, den Schutz der 
öflFentlichen Gesundheit und auch die Regelung eines Teils der 
Wohnungsfrage. 

Bis Ende 1880 bestand ein General-Bebauungsplan nicht. Man 
hatte dem augenblicklichen Bedtirfiiis Rechnung tragend, Flucht- 
linienpläne für kleinere und getrennt liegende Gebietsteile festgesetzt, 
ein nicht nachahmenswertes Verfahren, bei welchem die notwendigen 
Forderungen eines Bebauungsplanes selten zu ihrem Rechte kommen. 
Anfangs der neunziger Jahre schritt man auf der Grundlage eines 
von Professor Baumeister-Karlsruhe erstatteten Gutachtens zur 
Bearbeitung eines Bebauungsplanes, der sich auf das ganze Stadtgebiet 
bis in die Vororte erstreckte. Das Gutachten mit seinen allgemeinen 
Leitsätzen, die hier gemachten Erfahrungen und die auf der Wissen- 
schaft des Städtebaus beruhenden Regeln gaben die Richtschnur für 
die jetzt nahezu zu Ende geführte Bearbeitung der Spezialflucht- 
linienpläne. 

Der innere ältere Stadtkern, zugleich das Thermalgebiet in sich 
schliessend, bildet, begrenzt durch die Rhein-, Wilhelm-, Taunus-, Röder- 
und Schwalbacher Strasse, das sog. historische Fünfeck, an das sich 
nach Norden, Osten und Südosten die älteren Landhausgebiete 
anschliessen. Die Erweiterungen aus der Mitte der siebziger und 
achtziger Jahre sind südlich und westlich des Fünfecks zu finden, 
woselbst jenseits der Ringstrasse auch heute noch die Bautätigkeit 
ihr grösstes Arbeitsgebiet hat. 



96 Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung. 

Auch in dem älteren Stadtteil sind, was Verkehr und öffent- 
liche Gesundheit betrifft, Verbesserungen getroffen worden, welche 
der Stadtgemeinde grosse finanzielle Opfer aufbürdeten, beispielsweise 
■die Anlage der Mauritiusstrasse, die Durchführung der Langgasse 
bis zur Taunusstrasse, die Erbreiterung der Langgasse an vielen 
Stellen, die Erbreiterung der Metzgergasse und Hochstätte, die Er- 
breiterung und Fortsetzung der Schützenhof- (jetzt Coulin-) Strasse 
bis zur Webergasse. 

Als Hauptverkehrsstrassen durften bisher die Vorortstrassen 
Emser, Dotzheimer, Schiersteiner, Biebricher, Mainzer, Frankfurter 
und Bierstadter Strasse mit ihren Weiterführungen in das Stadt- 
innere angesehen werden. 

Die wichtigste Aufgabe des neuen Bebauungsplanes war die 
Schaffung zweckmäßiger Stadtverkehrsstrassen, die Tracierung der 
Zugänge nach den Höhen durch bequeme Auffahrtstrassen von nicht 
über 5^/2 bis 6 ^/q Steigung und die Projektierung schöner, mit 
breiten Vorgärten versehener Wohnstrassen bei Femhalten alles 
Schematischen. 

Wir nennen als Beispiele: 

a) Stadtverkehrsstrassen: 

Kaiserstrasse, Odenwaldstrasse, zweite Ringstrasse von Adolfs- 
höhe über Schiersteiner und Dotzheimer Strasse bis in das Wellritztal, 
Frauenlobstrasse, Klopstockstrasse, Wielandstrasse, Niederwaldstrasse 
und ihre Fortsetzung, Rheingauer Strasse, Klarenthaler Strasse, Zieten- 
ring etc. 

b) Auffahrten nach den Höhen: 

Riederbergstrasse nach der Höhe der Platter Strasse, Wilhelminen- 
strasse nach der oberen Platter Strasse, Weinbergstrasse nach der 
Höhe des Nerobergs, Rosseistrasse nach der Geisberghöhe, Schleifen- 
strasse durch das Paulinenschlösschen, zwei Strassen von der Sonnen- 
berger Strasse nach der Idsteiner Strasse und der Höhe des Rettungs- 
hauses und Geisberges, Strasse von der Sonnenberger zur Bierstadter 
und Frankfurter Strasse u. a. m. 

Auch die Festsetzung von freienPlätzen für Verkehr, 
Erholung und Aussicht ist dabei nicht vergessen worden. Die 
neueren Stadtteile sind reichlicher damit bedacht wie die älteren. 



Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung. 97 

Verkehrsplätze : 
Kaiser -(Bahnhof-) Platz, Cecilienplatz, Germaniaplatz, Elsässer 
Platz, Lothringer Platz, Waterlooplatz, Platz vor dem Schlachthaus. 

Erholungsplätze : 

Gutenbergplatz, Luxemburgplatz, Platz im Distrikt Schiersteiner 
Lach, Platz bei den neuen Kasernen, Platz im Distrikt Atzelberg, 
Hohenloheplatz und Langenbeckplatz. 

Aussichtsplätze : 

Platz an der verlängerten ^ Wilhelminenstrasse, zwei Plätze auf 
der Geisberghöhe, Platz auf dem Bierstadter Berg. 

Die Strassenbreiten stufen sich ab, von 45 bis 10 m je nach 
Art der Strasse, ob Luxus-, ob Verkehrs- oder Wohnstrasse; immer 
galt es Rücksichtnahme auf eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr. 
Auffallend ist die häufige Anwendung von breiten Vorgärten, die nicht 
nur dem Strassenbild zu einem abwechslungsreicheren und freund- 
licheren Aussehen verhelfen, sondern bezüglich Zuführung von Luft 
und Licht in die einzelnen Wohnungen einem Idealzustand nahe 
kommen. Die Mindestbreite eines Vorgartens ist 5,00 m. 

Die Strassenlängsgefälle sind trotz des mitunter stark geneigten 
Geländes durchweg in mäßigen Grenzen gehalten. 

Zuführung frischer, kühler Waldluft bis in die . 

Stadtmitte. 
Wiesbaden, an den Ausläufern des reichbewaldeten Taunus 
gelegen, ist durch die vorgelagerte Gebirgskette gegen rauhe Winde 
und Stürme aus Nordosten gut geschützt. Die von Nordwesten, 
dem Walde, herkommenden Täler, welche fast bis ins Innere der 
Stadt ziehen, bahnen den kühleren und daher schwereren Luft- 
schichten namentlich von abends bis morgens den Weg in die Stadt 
hinein und sorgen so für beständige Zufuhr neuer Luft und Rein- 
haltung der Atmosphäre. In richtiger Erkenntnis der Bedeutung 
dieser natürlichen Luftzufuhrwege entzog man diese Täler (Tennelbach-, 
Dambach-, Nero-, Walkmühl- und Wellritztal) durch Fluchtlinien- 
pläne der Bebaubarkeit und bestimmte sie zu gärtnerischen Anlagen. 
Damit ist auch der Gartenkunst bei der Stadterweiterung ein sehr 
grosses Arbeitsfeld eingeräumt. Das Nero- und Dambachtal bilden 
im Schmuck ihrer gärtnerischen Anlagen schon jetzt eine Zierde 
der Stadt. Die andern Täler harren noch der Ausführung. Das 
Walkmühltal ist bereits enteignet, das Enteignungsverfahren für das 
Tennelbachtal ist eingeleitet. 

7 



98 



Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung. 



IL Bauordnung. 

Den Bebauungsplan gewissermaßen ergänzend besteht eine 
Baupolizei-Verordnung, die in der jetzigen Fassung seit dem 
7. Februar 1905 für den ganzen Stadtkreis Geltung hat. Bauordnungen 
sollen ausser den Bestimmungen über die Standfestigkeit und die 
Feuersicherheit auch im Interesse der öffentlichen Gesundheit die 
Grenze der zulässigen wirtschaftlichen und baulichen Ausnützung des 
Bodens angeben. Sie bedeuten daher grundsätzlich immer eine 
Eigentumsbeschränkung, welche aber in den verschiedenen Städten 
sehr verschieden ist. 

Die Wiesbadener Bauordnung bringt manches Bemerkenswerte. 
Sie regelt durch 7 Bauklassen die Bebauungsdichtigkeit nach dem 
Gesichtspunkt, dass diese sich vom Stadtinnem nach Aussen abstuft. 

Von den 7 Bauklassen sind 3 für geschlossene und 4 für 
offene (Landhaus) Bauweise bestimmt. 



Bauklasse I = enge geschlossene Bauweise 
„ II = mittlere „ „ 
„ III = weitere „ „ 
„ IV = halboffene oder Gruppenbe- 
bauung 

„ V = enge offene Bauweise . . 
„ VI = mittlere „ „ . . 

r, VII = weite 



^ CD 

.^ '^ 

Sl I 

J^ von 19 m. 



von 19 m. 



von 15 m, 



Ausserdem besteht noch eine Bauklasse VIII — Spezialbauweise 
— mit besonderen Vorschriften für zwei Baublöcke an der Kaiserstrasse. 

Die Einschiebung einer neunten Bauklasse ist in Vorbereitung. 
Sie soll im Landhausgebiet an verschiedenen Stellen die JErrichtung 
von sogenannten Reihen- oder Einfamilienhäusern mit einem Erd- 
und einem Obergeschoss zulassen. Es dürfen nur Vorderhäuser 
gebaut werden, die Innengärten sollen ein unbebaubares, nur durch 
niedrige Mauern getrenntes Ganzes bilden. 

Die Bebauungsdichtigkeit ist eine unterschiedliche. 



Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung. 



99 



Zulässige Gebäudefläche. 
Es darf bebaut werden 

A. Im geschlossenen Baugehiet. 
Baufluchtlinie 



erste Zone 6 m breit, Bauklasse I, 


II und 111 = 100 o/o 


( Bauklasse I = 
zweite Zone 26 m breit „ II = 

111 = 


600/0 

550/0 

: 40 0/0 


1 Bauklasse I 

dritte Zone „ II 

III 


= 50 o/o 
= 40 o/o 
= 30 0/0 





^ .2 

OD ^ 

^ Sä 

QQ 



ß. im offenen oder Landhatisgebiet. 



In Bauklasse IV = 40 ^/o 

v = 33,30/, 

, VI = 25 0/0 
„ VII = 20 0/^ 



1 ^ 

W o 

> 

c ^ 

n3 «l^ 



'S! 



pq ö 



als 



als 



als 



6,0 cbm 
Raumes 

3,5 cbm 
Raumes 

3,0 cbm 
Raumes 

2,5 cbm 
Raumes 



bebauten 
bebauten 
bebauten 
bebauten 



5 


J 


cö 


-f^ 


pq 








S 

CT" 


bD 


1-H 


^ 


C4H 




S 


!C3 


ä 


^ 



Erforderliche Mindesthoffläche. 
In den geschlossenen Baugebieten kann die unbebaubare Fläche 
auf mehrere Höfe verteilt werden mit der Maßgabe, dass alle nicht an 
der Strassenfront liegenden, zum dauernden Aufenthalt von Menschen 
bestimmten Räume Luft und Licht unmittelbar von einem Haupthof 
erhalten müssen, dessen Grundfläche mindestens 80 bezw. 60 qm bei 
6 m geringster Abmessung, bezw. 40 qm bei 5 m geringster Ab- 
messung beträgt. 



100 



Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung. 



Gebäudehöhe. 
Die Höhe der an der Strasse liegenden Gebäude ist abhängig 

a) in dem geschlossenen Baugebiet von der Breite zwischen 
den Strassen- bezw. Baufluchtlinien und 

b) in dem offenen Baugebiet von der Entfernung der 
nächsten gegenüberliegenden Nachbargrenze, welche 

bei Bauklasse IV nicht unter 3,00 m 

y . r, 4,00 „ 

VI „ „ 5,00, 
VII „ „ 6,00 „ 
betragen darf. 

Die Höhe zu b kann eine nochmalige Beschränkung durch den 
zulässigen Kubikinhalt des bebauten Raumes erhalten (vergl. oben 
zu B). 

Schema zun Bestimmung derHöhederl/onden^Bbäude/noeschtossenemBau^ebfei. 







« /. / , 


\r 1' """" 


»^ ^/^■^'' ■ 


2 


rfptf? - 


j 


iiXätlL 


J .. ... lu. 


AWtt ^4 




f^Z^^^^^*^ 




^-/^^''^ 


"■ 






» \_ 7 




' -T 




' 2 




t 




6 1 




s 




¥ 




.? 




2 




f , ,, . 










iger-sBi^rsmmni -^«J?« Maxims/hohg 



-:m* Maxinytfäöhe 



« f 2 3 r SS 7 8S»irf213l¥tS«*7^fpa02f22232¥2^2iZ;r282^:i 

ßaupbietj. Bau^ebietJT BaupbiatM. 



Die Höhe für Seitenflügel darf die zulässige Höhe des 
Vorderhauses erreichen, jedoch nur bis zu einer Tiefe von 9,00 m 
von der Hinterfront an gemessen, sonst gilt die Bestimmung, dass 
die Höhe der hinteren Seiten-, Mittel- und Querbauten gleich ist der 



Bornhof en, Bebauungsplan und Bauordnung. 



101 



mittleren, vor ihnen gelegenen Hoftiefe und allgemein das Maß von 
15 m nicht überschreitet. 



GebäucfBhöhen im offenen Bauoebiet zunächst nun abhän^/ö i/onder 
M ernsten Entfernung(Bauw/ch)bis zur Nachbar^nenzB. 













































,^^ 


ft 


















^ 


























* 
























^ 




^ 




<^' 








(b -a 




..^ 


y^ 




f^ 










^ « 




^^S^ ,ijid 


p^-<^fls 




üy- 










-i^ r 




40^ ^^^ 


"^^»^ 












^ 


>f^ l 




J^ ij>i*^ J 


\^^yf^ 












^ * 

S 


y^ 


^ 


^ 


















j^ 


y^ 


















^ 




















^ V 






















S 


















y. 
























ll 



7 ZS S SS/ 9 



f5 flf SA/ms/ höh» 



-Li Grenzabstand. 



Anzahl der Geschosse. 
In den Bauklassen I und II dürfen die Vorderwohngebäude 
niemals mehr als vier, die Seiten- und Hintergebäude nicht mehr als drei 
zum dauernden Aufenthalt von Menschen nutzbare Geschosse haben. 
Im Baugebiet III dürfen Vorder-, Hinter- und Seitengebäude nicht 
mehr als drei zum dauernden Aufenthalt von Menschen nutzbare 
Geschosse erhalten. Doch ist es in allen drei Bauklassen zulässig, 
ausserdem entweder das Dachgeschoss oder das Keller- (Sockel-) 
Geschoss zu Räumen für den dauernden Aufenthalt für Menschen 
einzurichten. Wird auch nur einer der Räume im Dach- oder 
Kellergeschoss als selbständige Wohnung vermietet und benutzt, so 
gilt Dach- oder Kellergeschoss als ein selbständiges, zum dauernden 
Aufenthalt benutztes Geschoss. 

In den Bauklassen IV bis VII dürfen nicht mehr als 3 zum 
dauernden Aufenthalt von Menschen nutzbare Geschosse vorhanden 
sein, ausserdem darf in IV bis VI das Dach oder das Kellergeschoss, 
in VII das Dach und das Kellergeschoss zu Räumen für den 
dauernden Aufenthalt von Menschen eingerichtet werden. 



102 Bornhofen, Bebauungsplan und Bauordnung. 

Die Mindestgeschosshöhe ist 3,00 m im Lichten, die Mindest- 
fläche eines Wohn- oder Schlafraumes ist 7,00 qm mit 1,80 m 
Mindestbreite. 

Die Vorschrift über die Herstellung zweier in gesonderten 
Räumen befindlichen Treppen bei Gebäuden, in welchen der Fuss- 
boden des obersten Geschosses höher als 8,00 m über der Strasse 
liegt, soll gemildert werden. 

Die Anlage gewerblicher Grossbetriebe ist nur in zwei sehr 
kleinen an die Eisenbahn angrenzenden Bezirken im Süden und 
Westen des Stadtgebietes, die Anlage von Kleinbetrieben in zwei 
weiteren angrenzenden etwas grösseren Bezirken gestattet, während 
im weitaus grössten Teil des Stadtgebietes die Anlage gewerblicher 
Betriebsstätten ganz untersagt ist. 

Trotz einiger Vorschriften, welche vom Standpunkt des Bau- 
unternehmers und Hausbesitzers als Härten bezeichnet werden, und 
deren Milderung von ihrer Seite angestrebt wird, kann die Wiesbadener 
Baupolizei -Verordnung als ideal angesehen werden; denn sie regelt 
die in hygienischer Hinsicht nach den heutigen Anschauungen zu 
stellenden Anforderungen in mustergiltiger Weise. 



F. Badewesen. 



I . Volksbadeanstalten 0. 

Von Stadtbauinspektor Berlit. 



Sein erstes Volksbrausebad erhielt Wiesbaden im Jahre 1889. 
Dieses, mit dem bekannten Lassa raschen achteckigen Grundriss, 
blieb mehr als ein Jahrzehnt hindurch das einzige. Im Jahre 1901/02 
wurden zwei weitere etwas grössere Anstalten gebaut, von denen 
die eine im Kellergeschoss der Töchterschule und die andere in einem 
besonders dazu hergestellten Gebäude in der Roonstrasse eingerichtet 
ist. Dadurch, dass man in diesen Bädern ausser den Brausebädern 
noch Wannenbäder und Sitzbrausebäder eingerichtet hat, trat ein 
erheblicher Aufschwung in dem Volksbadewesen ein, wie aus der 
nachfolgenden Zusammenstellung hervorgeht. 

Zahl der von 1900 ab in den Yolksbadeanstalten verabfolgten Bäder: 



Benennung 


1900/01 


1901/02 


1902/03 


1903/04 


1904/05 


1905/06 


1906/07 


1907/08 


Brausebäder . 
Sitzbrause- 
bäder . . 
Wannenbäder 


44967 


63333 

14048 
5630 


58516 

19859 
11676 


68685 

20858 
19170 


72477 

19830 
20363 


71660 

21894 
21481 


68875 

20256 

28080 


67424 

20127 
31840 


Ges. Summe . 


44967 


83011 


90051 


108713 


112670 


115035 


117211 


119391 



Aus derselben ist zugleich ersichtlich, dass seit einigen Jahren 
die Anzahl der abgegebenen Bäder nur wenig gestiegen ist, eine 
Erscheinung, die offenbar darauf zurückzuführen ist, dass die be- 
treffenden Stadtteile gewissermaßen gemäß der Zahl der die Bäder 
hauptsächhch benutzenden Einwohner befriedigt sind. Es ist daher 



1) Näheres über Benutzung, Betriebskosten usw. ist in einer jetzt er- 
schienenen Denkschrift enthalten, die Interessenten durch das städtische Maschinen- 
bauamt erhalten können. 



104 Berlit, Volksbadeanstalten. 

in diesem Jahre in dem stark bevölkerten Stidviertel ein weiteres 
Bad eröffnet worden und im nächsten Jahre soll noch ein Bad für 
ein sehr dicht bewohntes Arbeiterviertel im Keller der Gewerbeschule 
eingerichtet werden. 

Dass Wiesbaden noch kein städtisches Schwimmbad hat, liegt 
abgesehen von den ungünstigen Wasserverhältnissen daran, dass eine 
durchaus erstklassige Anstalt in dem grossen Augusta- Viktoria-Bad 
seit 12 Jahren besteht und im Sommer viele Rheinbäder bei Biebrich 
genommen werden; dieser Umstand kann jedoch nicht hindern dem- 
nächst auch im bevölkerten Stadtteil ein städtisches Schwimmbad 
mit billigen Preisen einzurichten. 

Entgegen der in anderen Städten gemachten Beobachtung, dass 
ganz überwiegend Brausebäder genommen werden, hat sich hier die 
Nachfrage nach Wannenbädern in den letzten Jahren ausserordentlich 
verstärkt, sodass nachträglich in den beiden ältesten Bädern einige 
Brausezellen in Wannenzellen verwandelt wurden. 

Die Anzahl von 118000 Bädern im ganzen Jahr ist allerdings 
für eine Stadt mit über 106000 Einwohnern nicht gross, jedoch ist 
zu beachten, dass einesteils die Arbeiterbevölkerung nicht gross ist, 
anderenteils viele billige Thermalbäder als Reinigungsbäder genommen 
werden und drittens, dass auch in verhältnismäßig billigen Wohnungen 
sehr oft Badegelegenheit vorhanden ist. 

Baubeschreibung. 

Die Grösse unserer Anstalten ist durchweg nur so gross 
gewählt, dass ein Bademeister mit seiner Frau unter normalen Ver- 
hältnissen die Arbeit bewältigen kann und nur an Sonnabenden auf 
Hilfeleistung zu rechnen braucht. Da die Bademeister gelernte 
Installateure oder Schlosser sein müssen, so führen sie im Sommer 
und besonders im Winter bei schwachem Betrieb alle Ausbesserungen 
selbst aus. Hierdurch werden die Personalkosten niedrig gehalten. 
Nur das Bad in der Roonstrasse ist etwas weitläufiger und ungünstiger 
angelegt, so dass sich in diesem auch bei gleicher Bäderzahl die 
Personalkosten durch Mehrbereitstellung von Hilfskräften höher stellen. 

Die Einrichtung der Bäder entspricht im allgemeinen den auch 
sonst üblichen Grundsätzen. Die Wände werden aus glasierten Steinen 
hergestellt, der Fussboden aus Terrazzo oder Asphalt. Die Brause- 
zellen haben die allgemein üblichen Maße von 1,10 bis 1,30 m 
X 2,00 bis 2,25 m mit einer halb vortretenden Zwischenwand zwischen 
Ankleide- und Brauseraum ; im Brauseraum ist unter der regulierbaren 



B e r 1 i t , Volksbadeanstalten. 



105 



Brause ein Fussbecken von etwa 25 1 Inhalt. In den Wannenzellen 
sind durchweg glasierte Tonbadewannen, da dieselben schneller und 
besser zu reinigen sind. Über den Wannen ist eine kalte Brause 



OOUVSBBP 




angebracht. In der Frauenabteilung ist stets ein besonderer Wannen- 
baderaum von zwei Ankleidezellen aus zugänglich gemacht, um bei 
einer Wannenbenutzungszeit von 20 Minuten den Frauen im ganzen 
40 Minuten für ein Bad zur Verfügung stellen zu können. Die Ein- 
richtung hat sich durchaus bewährt und nie zu Beschwerden Ver- 



106 Berlit, Volksbadeanstalten. 

.anlassung gegeben. Aus dem Grundriss Seite 105 ist die Anordnung 
-des neuesten Bades ersichtlich. 

Die Erwärmung des Wassers geschieht in grossen Warmwasser- 
bereitem und Gegenstromapparaten mittelbar durch Niederdruckdampf, 
der für die Wascheinrichtung und im Winter zur Heizung benutzt 
wird. In den drei neuesten Bädern sind durch Elektromotor an- 
getriebene Wascheinrichtungen eingebaut, bestehend aus Doppel- 
trommelwaschmaschine, Zentrifuge, Mangel, sowie Laugenkochfass 
und Einweichbottig. Hierdurch wird den Bademeistern so sehr die 
Arbeit erleichtert, dass sie noch im Stande sind in ihrer Wäscherei 
Handtücher für die Schulen und städtischen Verwaltungsgebäude zu 
waschen, wofür natürlich besondere Vergütung erfolgt. 

Die Beleuchtung ist in den alten Bädern Gasglühlicht, in dem 
neuesten ist sie elektrisch mit grossen Metallfadenlampen. 

Betriebsergebnisse. 

Die finanziellen Ergebnisse der Bäder sind natürlich wie überall 
sehr mäßig, da ein Brausebad einschliesslich Handtuch und Seife mit 
12 Pfg., ein Sitzbrausebad mit 15 Pfg. und ein Wannenbad mit 
30 Pfg. bezahlt wird. Besonders ungünstig wirkt auf das Ergebnis, 
dass 1 cbm Wasser mit 30 Pfg. bezahlt wird, so dass kaum die 
Betriebs- und Unterhaltungskosten gedeckt werden und von einer 
Verzinsung des Anlagekapitals keine Rede sein kann. Die Benutzung 
der sämtlichen Bäder seit dem Jahre 1900 ist bereits oben angegeben 
und verteilt sich auf die einzelnen Monate sehr ungleichmäßig, wie 
aus der zeichnerischen, die letzten fünf Betriebsjahre umfassenden 
nebenstehenden Darstellung hervorgeht. Auch die Benutzung an den 
einzelnen Tagen schwankt recht erheblich; eine für das Jahr 1906 
ausgezogene Statistik über die durchschnittliche Benutzung an den 
einzelnen Wochentagen ist auf Seite 108 zeichnerisch aufgetragen. 
Daraus geht hervor, dass die Benutzung von Montag bis Donnerstag 
ausserordentlich schwach ist. Es werden daher an diesen Tagen 
Wannenbäder für nur 20 Pfg. an die Ortskrankenkasse bei ärztlicher 
Anordnung abgegeben, eine Vergünstigung, von der leider nur wenig 
Gebrauch gemacht wird. Abgesehen von den Sonnabenden zeigen 
auch übermäßig warme Tage außerordentlich hohe Badeziffem , 
während bei kaltem Wetter die Benutzung oft recht erheblich herunter 
geht, ein Zeichen dafür, dass der Prozentsatz der Erfiischungsbäder 
ein verhältnismäßig hoher ist. 



Berlit, Volksbadeanstalten. 



107 




108 



Frensch, Heilbäder. 



Aus einer sehr eingehenden Ermittlung der Betriebskosten 
während der letzten fünf Jahre geht hervor, dass ein Brausebad 
durchschnittlich 13 bis 15 Pfg. kostet, ein Preis, der die Selbstkosten 









































Ä 




















i i 


\\ 




















1 1 


w 




















/.„ \ 






i 












/ y 

Ix 


-. ^*s 






1 








^'' 

^ 


— - 


' 


\ 








t:^^^^ 




_:r-- 


' ~^ 


:>• 










«■MMiaa 


^ 






1 




rr«. 


X>'%t* 


»•^ 


„,. 


MMft 0»1» 


m«r«« -pfu 


r^- *« 


f^ ^^ 



nicht deckt. Die Herstellung eines Wannenbades kostet durch- 
schnittlich 24 bis 26 Pfg., so dass hierbei noch ein geringer Nutzen 
übrig bleibt; Verzinsung und Amortisation der Anlagekosten ist bei 
dieser Berechnung nicht einbegriffen. 



2. Heilbäder. 

Von Oberingenieur Frensch. 



I. Das Schützenhof- und Oemeindebad. 

Die Stadtgemeinde besitzt zwei Badhäuser, worin Thermalbäder 
zu Heilzwecken verabfolgt werden: das Badhaus „Schützenhof** in 
der Schützenhofstrasse und das sich hieran anschliessende „Gemeinde- 
bad" in der Gemeindebadgasse, das von Minderbemittelten benutzt wird. 



Frensch, Heilbäder. 109 

Mit dem Badhaus „Schützenhof" ist ein Logierhaus, das „Hotel 
^um Schützenhof", verbunden, in dem Badegäste Wohnung und 
Yerpflegung finden können. Den Hotelbetrieb hat die Stadtgemeinde 
verpachtet, während der Betrieb in den beiden Badhäusern von ihr 
selbst geführt wird. 

Das Badhaus und Hotel „Zum Schützenhof" ist in den Jaliren 
1867 bis 1869 erbaut worden und ging durch Kauf im Jahre 1882 
in den Besitz der Stadtgemeinde über. Das „Gemeindebad" ist von 
der Stadtgemeinde im Jahre 1884 an Stelle des ehemaligen städtischen 
Armenbades errichtet worden. 

Schon vor letzterem und vor Erbauung des „ Schützenhof bades" 
haben auf derselben Stelle bis zu den frühesten Zeiten zurück 
Thermalbäder bestanden; bei Ausgrabungen in Mitte des vorigen 
Jahrhunderts ist festgestellt worden, dass hier schon zu Römerzeiten 
grössere Bäderanlagen vorhanden waren, die durch die der Erde heiss 
entspringende heilkräftige Thermalquelle gespeist wurden. Gegen- 
wärtig versorgt diese Quelle das „Schützenhofbad" und das „Gemeinde- 
Tjad" m ausreichendem Maße. Sie führt den Namen „Schützenhof- 
quelle" und tritt in einem kuppelartig überwölbten Raum unter dem 
Garten des „Schützenhof hoteis" mit einer Temperatur von 50^ Celsius 
zu Tag und zwar in einem gemauerten Brunnen, dessen Sohle 1,10 m 
unter dem Quellenspiegel liegt. 

Der Boden, aus dem das Wasser emporsprudelt, besteht aus 
Kies, in dem weisse Quarzblöcke bis zu 3 cbm Grösse eingebettet 
sind, wie bei der letzten Neufassung der Quelle im Jahre 1866 fest- 
gestellt wurde. Auf den Brunnen ist eine Schale von Sandstein so 
aufgelegt, dass das gesamte Wasser durch eine in der Mitte befind- 
liche Öffnung von 8 cm Durchmesser von unten in die Schale ein- 
treten muss. Durch dieselbe Oflftiung steigen auch die im Wasser 
gespannten Gase empor und verursachen eine lebhaft sprudelnde 
Bewegung in der Sandsteinschale. 

Von der Quellenfassung aus wird das Wasser mittelst einer 
Leitung nach der nur etwa 2 m entfernten Teilungskammer geführt, 
aus der das Wasser beliebig entweder unmittelbar den Badewannen 
oder den Sammelbehältern des „Schützenhof bades" und des „Gemeinde- 
bades" zugeleitet werden kann. 

Bevor das von der Quelle kommende Wasser zu den Badewannen 
gelangt, kommt es in einer grossen von oben belichteten Halle, die 
unmittelbar an das Badhaus anstösst, in einer granitnen Trinkschale 
frei zum Auslauf, wo die Badegäste ihre Trinkkuren ausüben. Von 



110 Frensch, Heilbäder. 

hier aus verteilt sich das Thermalwasser in die verschiedenen Bäder, 
Weil das von der Quelle abfliessende Thermalwasser so heiss ist, dass 
es nicht ohne weiteres zum Baden verwendet werden kann, sondern 
mit abgekühltem Wasser vermischt werden muss, so wird es ausser- 
halb der Badestunden und zur Nachtzeit von der oben erwähnten 
Teilkammer durch besondere Leitungen den Sammelbehältern im 
Schützenhof- und Gemeindebad zugeführt, dort aufgespeichert und 
abgekühlt. 

Die Abkühlung des Wassers in den Behältern besorgt die Luft^ 
indem durch eine Anzahl von besonders eingerichteten an den 
Behältern angebrachten Luftzu- und -abführungsschächten in ersteren 
ein ständiger Luftwechsel hervorgerufen wird, der durch Verdunstung 
dem heissen Thermalwasser Wärme entzieht und es so entsprechend 
abkühlt. Zur Verstärkung dieser Kühlwirkung ist über dem einen 
der beiden Kühlbehälter noch ein Behälter angebracht, in dem das 
von der Quelle kommende heisse Thermalwasser aufgepumpt wird, 
das nunmehr den oberen Behälter in einer dünnen Schicht durch- 
strömt, welch letzterer mittelst Ventilatoren ein kräftiger Luftstrom 
entgegengeblasen wird. Dem Thermalwasser wird so in raschester 
Weise die überschüssige Wärme entzogen, was zur Beschleunigung 
des Betriebes, insbesondere zur wärmeren Jahreszeit von grossem 
Vorteil ist, weil gerade um diese Zeit die stärkste Bäderabgabe statt- 
findet und infolgedessen immer grosser Bedarf an genügend abge- 
kühltem Badwasser ist. 

Das abgekühlte Wasser wird von den Behältern durch besondere 
Leitungen unmittelbar in die Badewannen geführt. Hierdurch und 
durch die Zuführung von heissem Thermalwasser, wie es die Quelle 
bringt, kann die Bereitung der Thermalbäder durch Mischung des 
heissen und abgekühlten Wassers in jedem gewünschten Wärmegrad 
geschehen. 

Das „ Schützenhof bad" enthält 27 Einzelbadwannen und ein 
Doppelbad, das „Gemeindebad" 17 Einzelbadwannen. Fast sämtliche 
Badewannen sind in den letzten Jahren in einer für den Badenden 
bequemeren Form erneuert und mit weissem Plattenbelag ausgekleidet 
worden. Die wenigen noch rückständigen Wannen im „Gemeindebad" 
werden im nächsten Winter ebenfalls noch umgeändert. 

An Bädern wurden im Jahre 1907 im „Schützenhofbad" verabfolgt:, 
rund 24000 Bäder; im „Gemeindebad" rund 40000 Bäder, zusammeiL 
also rund 64000 Bäder. 



Frensch, Heilbäder. Hl 

Der Preis eines Thermalbades beträgt im „ Schützenhof bad" von^ 
vormittags 6 — 10 Uhr 1,20 M. und ausserhalb dieser Zeit 1, — M.,. 
im „Gemeindebad" ohne Rücksicht auf die Zeit 60 Pfg. 

II. Die Bäckerbrunnen -Anlage. 

Das in den Badehäusern zur Verfügung stehende Thennal- 
wasser genügte schon seit Jahren nicht mehr, um den stetig 
zunehmenden Bedarf an Thermalbädern zu decken. 

Dieser Umstand und die infolgedessen gesteigerte Nachfrage 
nach Badegelegenheit veranlasste die Inhaber von Hotels und 
Pensionen, die keinen unmittelbaren Zulauf von Thermalwasser zu 
ihren Grundstücken besitzen, Thermalwasser in Fässern unmittelbar 
an der Quelle zu entnehmen und auf Fahrzeugen nach der Ver- 
wendungsstelle zu verbringen. 

Die Wasserentnahme erfolgte an dem zu öffentlichen Zwecken, 
bestimmten und im Mittelpunkt der Stadt belegenen Bäckerbrunnen 
in der Grabenstrasse. Das Thermalwasser gelangte dort in einem um 
etwa 1^/2 m gegen die Geländeoberfläche vertieft angelegten Raum 
an 2 Stellen zum natürlichen Auslauf, wovon der eine der Trink- 
kur, der andere zum Füllen der Fässer diente. 

Zur Aufrechterhaltung der Ordnung war dieser Teil des Bäcker- 
brunnenraumes von dem der Trinkkur dienenden abgetrennt und die 
Nutzniessung des zum Ablauf kommenden Thermalwassers an einen 
Privat-Untemehmer verpachtet. Dieser hatte gegen einen jährliche» 
Pachtzins von 600 Mark die alleinige Berechtigung, Thermalwasser 
in grösseren Gefässen am Bäckerbrunnenauslauf zu füllen und 
3 Pfennig für eine Tonne von etwa 50 Liter Inhalt zu erheben. 

Infolge weiterer Steigerung der Nachfrage nach Thermal-Bade- 
wasser nahm der Verkehr an dem an einer verhältnismäßig schmalen 
und verkehrsreichen Strasse belegenen Bäckerbrunnen mit der Zeit 
inuner mehr zu, sodass bald eine Reihe von Unzuträglichkeiten ent- 
standen, die zu lauten Klagen und berechtigten Beschwerden der 
Anwohner und der dort verkehrenden Personen führten und in 
Verbindung mit den vorhandenen primitiven und unzulänglich 
gewordenen Einrichtungen eine Abhilfe dringend notwendig machten. 

Infolgedessen arbeitete das städtische Kanalbauamt einen Ent- 
wurf für eine auf derselben Stelle zu errichtende Neuanlage aus,, 
die den jetzigen veränderten Verhältnissen genügen und auch der 
weiteren Zunahme des Betriebs Rechnung tragen sollte. 



112 Frensch, Heilbäder. 

Dieser Entwurf wurde nach erfolgter Genehmigung und Bereit- 
stellung der erforderlichen Mittel durch die städtischen Köi-per- 
schaften im Jahre 1906 zur Ausführung gebracht und die Anlage 
Ende desselben Jahres in Betrieb genommen. 

Die neue Bäckerbrunnenanlage besteht aus 8 Teilen: 

der Quellenkammer, 

der Zuleitung, 

dem Verteilungsraum, 

dem unterirdischen Sammelbehälter, 

dem Pumpenraum, 

den oberirdischen Heiss- und Kühlwasserbehältern, 

dem FassfüUhof und 

dem Trinkraum. 
Das zum „ Bäckerbrunnen ** gehörige Thermalwasser entspringt 
aus vier Quellen, die teils in der Goldgasse, teils in dem Grundstück 
Goldgasse Nr. 10 belegen und in gesundheitlich völlig einwandfreier 
Weise gefasst sind. Das in einer Sammelleitung vereinigte Themial- 
wasser wird mittelst einer etwa 90 m langen Zuleitung der in der 
Grabenstrasse belegenen Bäckerbrunnenanlage zugeführt. Dort kann 
es in der Verteilungskammer nach verschiedenen Verwendungsstellen 
umgeleitet werden. 

Der für die Speisung der Bäckerbrunnen -Anlage bestimmte 
Teil gelangt alsdann in einen unterirdischen Sammelbehälter von 
etwa 76 cbm Inhalt, der den gesamten Abfluss der Bäckerbrunnen- 
quellen aufnimmt. 

Über dem unterirdischen Sammelbehälter erhebt sich ein zwei- 
stöckiges Gebäude mit einer Hof-Umfahrtstrasse (Tafel 33), 

Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich ein Raum, in dem die 
zur Entnahme und zum Heben des Thermalwassers aus dem unter- 
irdischen Sammelbehälter in die oberirdischen Heiss- und Kühlwasser- 
behälter erforderlichen Pumpanlagen nebst deren Elektromotoren 
aufgestellt sind. Dort befindet sich auch, von der Strasse aus 
unmittelbar zugänglich, der Trinkraum, in dem die Trinkkur von 
jedermann unentgeltlich ausgeübt werden kann. Im Obergeschoss 
des Gebäudes sind Heiss- und Kühlwasserbehälter untergebracht, mit 
den zur Warmhaltung bezw. Abkühlung des Wassers erforderlichen 
Einrichtungen. 

Mittelst Verteilungsleitungen gelangt das Thermalwasser zu 
den Entnahmestellen im Fassfüllhof, wo drei Wagen gleichzeitig. 



Tafel 33, 




Der Bäckerbrunnen. 
(Rückansicht.) 



Frensch, Heilbäder. 113 

völlig abseits der Strasse und ohne Behinderung des Verkehrs auf- 
gestellt und die Fässer mit Thermalwasser gefüllt werden können. 
Zu diesem Zweck sind an jeder Füllstelle drei Abläufe angebracht, 
sodass gleichzeitig an 9 Zapfstellen Thermalwasser entnommen werden 
kann, wodurch das Füllen der Fässer sich ausserordentlich rasch 
abwickelt (Tafel 33). 

Die Gesamtkosten der Bäckerbrunnenanlage haben 58000 Mark 
betragen. 

Der Betrieb der Anlage erfolgt stadtseitig und ist dem städtischen 
Kanalbauamt unterstellt. Zur Bedienung der Maschinen und Aufrecht- 
erhaltung der Ordnung ist ein städtischer Bediensteter während der 
Betriebszeit ständig anwesend. 

Das Thermalwasser wird gegen eine Gebühr von 5 Pfennig für 
je 50 Liter Thermalwasser, also 1 Mark für das cbm, verabfolgt, so 
dass der Bezugspreis an Thermalwasser für ein Bad von 200 bis 
250 Liter Inhalt 20 bis 25 Pfennig beträgt. Hierzu kommen selbst- 
verständlich noch die Fuhrkosten, die je nach der Entfernung sehr 
verschieden sind. 

Im abgelaufenen ersten Betriebsjahr sind am Bäckerbrunnen 
insgesamt rund 300000 Fässer zu je 50 Liter Inhalt = 15000 cbm 
Thermalwasser abgegeben worden, womit etwa 60000 bis 70000 
Bäder gegeben werden konnten. Der geringste Verbrauch an Thermal- 
wasser fand im Monat Januar mit rund 6300 Fässern und der stärkste 
Verbrauch im Monat Mai mit rund 58 000 Fässern statt ; der grösste 
Tagesverbrauch war im Mai mit 2700 Fässern. 

Im ersten Betriebsjahr sind rund 15000 Mark eingegangen, 
während früher mit der alten Anlage nur 600 Mark jährlich ein- 
genommen wurden. 

Diesen Einnahmen stehen gegenüber: 

die Betriebsausgaben mit .... 2400,00 Mark 
für Verzinsung des Anlagekapitals 

und für Abschreibung . . . 3600,00 „ 

zusammen somit: 6000,00 Mark 
so dass ein jährlicher Überschuss von 15000 — 6000 = 9000 Mark 
verbleibt. 



G. Einrichtungen für Fürsorgebedürftige. 

Zasammengestellt von Sanitätsrat Dr. Friedr. Cuntz. 



1. Fürsorge für Kinder. 

Fürsorge für Säuglinge und noch nicht 
schulpflichtige Kinder. 



a) Städtische Säuglingsmilchanstalt und Mutter- 
beratungsstelle. Auf Anregung des Ehrenbürgers Geh. Rat 
Fritz Kalle hier wurden die Anstalten anlässlich der Silberhochzeit 
unseres Kaiserpaares im Herbst des Jahres 1905 gegründet. Der 
Zweck der Anstalten — die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit — 
soll erreicht werden durch zwei Mittel: 

1. Durch Belehrung der Mütter über Säuglingsemährung und 

Säuglingspflege, Ermahnung derselben, ihre Kinder selbst zu 

nähren (Mütterberatungsstelle) ; 
2. durch Beschaffung von hinsichtUch Qualität und Quantität 

einwandsfreier Säuglingsmilch in trinkfertigen Mischungen 

(SäugUngsmilchanstalt). 

A. Säuglingsmilchanstalt. 

Im Schlachthaus gelegen. Neuer Aufbau auf einem bereits 
bestehenden Gebäude. Baukosten M. 16586, Einrichtungskosten 
M. 23045, zusammen M. 39631. 

6 Räume: 1 Milchbereitungsraum mit Spülraum (Tafel 34), 
1 Laboratorium z^ur Milchuntersuchung, 1 Vorratsraum, 1 Ankleide- 
raum, 2 Kühlräume. 

Eröffnung der Anstalt: 3. April 1907. 

Betriebskosten im 1. Betriebsjahr M. 27897 (Städtischer Zuschuss 
M. 16000). 

Herstellung von 4 Milchmischungen nach Biedertschem System. 
Ausserdem Abgabe von Buttermilch und Kell er scher Malzsuppe. 



Tafel 34. 




C 
3 



s: 
u 



Vi 

C 

s: 
E 

Vi 

bO 
C 

CO 



Fürsorge für Säuglinge und noch nicht schulpflichtige Kinder. 115 

Im L Betriebsjahr wurden abgegeben: 
4186 Portionen an Arme unentgeltlich, 
54705 „ an Minderbemittelte zu 22 Pfg. ä Portion, 

645 „ an Bemittelte zu 85 Pfg. ä Portion, 

179 „ Kell ersehe Malzsuppe zu 24 Pfg. ä Portion, 

11776 Flaschen Buttermilch zu 6 Pfg. die Flasche. 

Ausgabe der Milch durch 10 über die Stadt verteilte Ausgabe- 
stellen (vom L Juli 1908 ab 15 Ausgabestellen). 

Personal der Milchanstalt: 1 Vorarbeiter, 4 Mädchen. 
Die Überwachung der Anstalt, Untersuchung der Milch, Über- 
wachung der Herstellung der Milchmischungen usw. ist dem Schlachthof- 
direktor gemeinsam mit dem Arzt der Mutterberatungsstelle tibertragen. 

B. Mutterberatungsstelle 

(Marktstrasse 1/3. Arzt: Dr. Hirsch, Sprechstunden Dienstag, 

Donnerstag und Samstag von 5 — 7 Uhr). 

3 Räume: Wartezimmer, Wiegezimmer, Sprechzimmer. 

1 Arzt, 1 Schwester vom Roten Kreuz zur Assistenz. 

Zweck der Beratungsstelle ist in erster Linie die Stillpropaganda, 
weiterhin Belehrung über Säuglingspflege. Die Maßnahmen sind rein 
prophylaktischer und hygienischer Natur, eine Behandlung findet 
nicht statt. 

Weiterhin ist die Mutterberatungsstelle Kontrollstelle fttr alle 
Kinder, die Milch aus der städtischen Säuglingsmilchanstalt beziehen. 
Verpflichtung der Mütter, die Kinder alle 14 Tage dort vorzuzeigen. 
Jedesmalige Wägung und ärztliche Untersuchung. 

Eröffiiung der Mutterberatungsstelle: 2. April 1907. 

Frequenz der Stelle im 1. Berichtsjahr: 538 Mütter. 

In Bezug auf die Ergebnisse der Anstalten wird auf den auf- 
liegenden ausführlichen ärztlichen Bericht verwiesen. 

b) Für die Pflege von verlassenen, verwaisten und erkrankten 
Säuglingen und noch nicht schulpflichtigen Kindern bestehen Kinder- 
stationen im städtischen Krankenhause, dem katholischen Waisen- 
hause und der Paulinenstiftung. In diesen Anstalten, sowie auch 
in Familienpflege wurden 1906/07 seitens der Armenverwaltung 
189 Kinder unter 5 Jahren untergebracht. Pflegesatz bei Säug- 
lingen durchschnittlich 240 M. jährlich, bei älteren 120 — 140 M. 

c) Kinderkrippe. Stiftung des Wiesbadener Krippenvereins aus 
milden Beiträgen, eigenes Haus, Gustav Adolfstrasse, auf städtischer- 
seits geschenktem Boden, dient zur Pflege und Wartung von gesunden 



116 Fürsorge für Säuglinge und noch nicht schulpflichtige Kinder. 

Kindern von 6 Wochen bis 3 Jahren, tagsüber gegen 25 Pfg. Entgelt, 
bei Erkrankung oder sonstiger Behinderung der Mutter. Arztliche 
Aufsicht (Dr. W. Koch); Isolierzimmer. An 296 Tagen insgesamt 
10728 Kinder, d. h. 36,2 durchschnittliche Tagesfrequenz. Bei 
10271 M. Betriebskosten kommen pro Kind und Tag 95,7 Pfg. 

d) Kindergarten (Tafel 35). Städtischer Volkskindergarten, auf 
1437 qm grossem Gelände, Gustav Adolfstrasse, erbautes Haus (Thunes- 
stiftung) [s. Tabelle über die Schulen], durch Armen Verwaltung geleitet 
und unterhalten (12000 M. städt. Zuschuss). ') Kindergärtnerinnen (800 
bis 1 300 M. Gehalt). Arztliche Aufsicht. Dient zur Aufnahme, Pflege 
und Beschäftigung (Froebel) noch nicht schulpflichtiger Kinder, tags- 
über. Durchschnittlicher Besuch 70 — 80 Halb- und Ganztagskinder. 
Unbemittelte unentgeltlich. Minderbemittelte gegen 20 Pfg. Tages- 
verpflegung. Besondere Reinlichkeitspflege und Badevorrichtungen. 

Dieser, wie auch drei weitere private Kindergärten (Frl. Krause, 
Prochnow und Neumann) mit je 30 — 50 Tageskindern unter- 
stehen der Aufsicht der städtischen Schulinspektion. (Reg.-Verf. v. 
29. 11. 98.) 

e) Kinderb ewahranstalt, durch private Stiftungen und Beiträge 
gegründet und unterhalten (3000 M. städtischer Zuschuss); grosses 
dreistöckiges Gebäude auf 3870 qm grossem Gelände, Schwalbacher- 
strasse, mit reichlichen Unterrichts-, Arbeits- und Schlafräumen, 
Isolierzimmer, Bade Vorrichtungen etc., zur Aufnahme von verlassenen 
und verwaisten „Tageskindern" und „Hauskindern" (zu ständigem 
Aufenthalt) im schulpflichtigen wie auch noch nicht schulpflichtigen 
Alter. Frequenz durchschnittlich 130; volle Tagesverpflegung für 
ca. 45 Pfg., im Internat jährlich 130-^160 M. Leitung durch Volks- 
schullehrer; ärztliche Beaufsichtigung. 

f) Waisenhäuser. Soweit die Unterbringung der Waisen nicht 
in Familienpflege erfolgt, wozu reichlich Gelegenheit besteht, besonders 
im Landbezirke, stehen die Anstalten der Paulinenstiftung 
(evangel.) und des kathol. Waisenhauses (Platterstrasse) zur 
Verfügung. In ersterem, Abteilung Erziehungshaus, stehen etwa 
129 Betten mit durchschnittlich 125 Belegziffier und einem Pflegesatz 
von 0,50 — 0,60 M. täglich, in letzterem 100 Betten mit 95 Beleg- 
zahlen, zu 0,45 M., zur Verfügung. 

Der städtischen Armen Verwaltung fielen anheim 1906/7 93 Waisen 
(41 Knaben und 52 Mädchen), hiervon 65 eheliche, 28 uneheliche ; 
von ihnen waren untergebfacht im Paulinenstift 12, im katholischen 



Tafel 35. 




c 

u. 
CO 

bO 

u. 
<U 
TS 

C 

CO 

O 
> 



JZ 

u 
w 

'-? 
TS 



Volksschi 




Ti l> I' h h 



Tafel 36 a. 



e an der Lorcherstrasse. 
(Erster Bauteil.) 

-J=t D<S\E.Ä C M O ö S ■ 




I" 1»'"^ 



Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 117 

Waisenhaus 12, in der Kinderbewahranstalt 30, in Privatpflege 29, 
im evangelischen Rettungshaus 1 und auswärts 9, gegen einen durch- 
schnittlichen Jahressatz von 135 M., ausschliesslich der Bekleidung. 

g) Das evangelische Rettungshaus dient zur Unterbringung 
von verwahrlosten und gefährdeten Kindern beiderlei Geschlechts, ent- 
sprechend den Bestimmungen über Fürsorgeerziehung. Es besteht 
aus mehreren Gebäuden für Wohnräume, Arbeitsräume, Unterrichts- 
räume, Ökonomiebetrieb etc., auf etwa 45 Morgen grossem Gelände 
im Norden der Stadt. Es ist gegründet durch den „Evangelischen 
Verein des Konsistorialbezifks Wiesbaden" und steht unter dessen 
Leitung. Verpflegungspreis 0,70 M. pro Tag. 

Die der Zwangserziehung bedürftigen katholischen Kinder werden 
in die Anstalt Marienhausen im Rheingau aufgenommen. 



II. Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 



A. Schulbauten. 

Von Stadtbauinspektor Grün. 

Unter städtischer Verwaltung stehen die höhere Mädchenschule, 
2 höhere Knabenschulen (Oberrealschulen mit Reformgymnasium), 
4 neunstufige Mittelschulen und 7 achtstufige Volksschulen, 1 vier- 
klassige und 1 einklassige Volksschule; der Aufsicht der städt. 
Schulinspektion unterstehen femer 2 private höhere Knabenschulen, 
4 private höhere Mädchenschulen, die private zweiklassige Volks- 
schule des evangel. Rettungshauses und eine Anzahl von Pensionaten 
zur Fortbildung der nicht mehr schulpflichtigen weiblichen Jugend. 

Die Schulen liegen räumlich möglichst günstig in der Stadt 
verteilt, der grösseren Bevölkerungsziffer entsprechend vorzugsweise 
nach Westen und Südwesten zu. Im äussersten Westen, Distrikt 
Kleinf eidchen, ist bereits der Bau einer neuen grossen Volksschule 
in Angriff genommen. 

Der raschen Entwickelung Wiesbadens entsprechend sind auch 
die meisten städtischen Schulen neueren Datums und zeigen in baulicher 
Hinsicht alle Fortschritte der Bautechnik, Architektur und Bauhygiene. 

Als typisches Programm für die neuen Volksschulen kann das 
der im Bau begriffenen Volksschule am Exerzierplatz gelten. (Tafel 36a). 



118 Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 

Die Schule wird in zwei selbständigen Baugruppen eine Knaben- 
und eine Mädchenabteilung enthalten mit je: 
16 Klassen für 60 Schüler, 
2 Reserveklassen, 

1 Zeichensaal bezw. Handarbeitssaal, 
1 Singsaal, 

1 Werkstättenraum bezw. Kochlehrktiche, 
1 Brausebadanlage, 
1 Frühstücksraum, 
1 Turnhalle, 
1 Abortgebäude, 
Räume für Rektor, Lehrer, Bibliothek und Sammlungen, 
Schuldienerwohnung. 

Allgemeine Anlage. 
Die Turnhalle und das Abortgebäude liegt in der Regel getrennt 
von dem Schulhaus und mit diesem durch einen offenen Gang ver- 
bunden. Das Schulhaus ist dreigeschossig, mit voll ausgebauten 
hohen Keller- und Dachgeschossen. In dem Kellergeschoss werden 
Brausebad, Lehrküche, Werkstätten- und Frühstücksraum, in dem 
Dachgeschoss Handarbeits-, Sing- und Zeichensaal sowie Reserve- 
klassen angeordnet. 

Bauart. 

Die Klassengebäude werden feuersicher hergestellt. Sie erhalten 
Decken aus Eisenbeton, Granittreppen, Plattenböden in den stark 
benutzten Korridoren und Treppenpodesten, im übrigen Linoleum- 
böden auf Korkplatten oder einer anderen schalldämpfenden Unter- 
lage. Die reinen Mittelkorridoren werden vermieden. Die Korridore 
werden nur in geringem Maße zweiseitig bebaut und durchschnittlich 
ca. 4 m breit. Sie enthalten offene Kleiderablagen. Die Stockwerks- 
höhen betragen 4,50 m, die Klassen haben nicht unter 4 cbm Luft- 
raum für einen Schüler. Die Fensterfläche der Klassen beträgt 1/4 
bis 1/5 der Fussbodenfläche. 

Die Turnhallen sind etwa 12 auf 22 m gross und nicht unter 
6 m hoch. Nebenräume für Kleiderablagen und Geräte sind vor- 
handen. Eine Schule hat ausser der geschlossenen Turnhalle eine 
offene Sommerturnhalle. Die Turnhallen-Fussböden bestehen aus 
Holz auf federnder Unterlage. Die Aborte haben intermittierende 
Spülung, die Pissoirs Oelsyphons. Die Pissoirwände werden mit Oel 
behandelt. Waschgelegenheit ist in den Aboi-ten vorhanden. 



I 



Tafel 36b. 




a 
^ 



"^ 



bO 



Xi 



u 

CO 



o 

> 



Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 119 

Heizung, Lüftung und Beleuchtung. 

Die Schulen erhalten Zentral-Niederdruckdampf heizung, in einem 
Fall verbunden mit Luftheizung. Die Regelung der Temperatur 
geschieht vermittelst Fernthermometeranlagen. Die Luft-Zu- und 
Abführungskanäle sind so bemessen, dass auch ohne Fensterlüftung 
ein genügender Luftwechsel stattfindet. Zur Beleuchtung wird im 
allgemeinen Gasglühlicht, in der neuesten Schule elektrisches Licht 
von dem städtischen Werk verwendet. Für die Zeichen- und Hand- 
arbeitssäle wird halbzerstreutes Licht gewählt. 

Sonnenschutz. 

Als Sonnenschutz dienen in der Regel ohne Zugvorrichtung 
zu bewegende Vorhänge aus grauem Leinen. In einzelnen Fällen 
sind ausserdem in unbenutztem Zustand verdeckt liegende Plättchen- 
jalousien angeordnet worden. 

Brausebäder. 

Die Brausebäder für Mädchen sind nach Art der Volksbrause- 
bäder Einzelbäder mit Brause- und Aus- und Ankleidezelle. Die 
Brausebäder für Knaben sind für Gruppen von 4 — 6 Schülern ein- 
gerichtet. Die Wände bestehen aus glasierten Steinen. Die Warm- 
wasserbereitung erfolgt im Winter durch Dampf von der Sammel- 
heizung, im Sommer durch Gas. Die Betätigung der Brausen ist 
zentral. (Siehe Tafel 37.) 

Kochlehrküche, Frühstücksraum, Schülerwerkstätten. 

In den Mädchenschulen werden Kochlehrküchen (siehe Tafel 36 b) 
und Frühstücksräume miteinander verbunden. In den Knabenschulen 
tritt zu dem Frühstücksraum ein besonderer Raum - zur Bereitung 
warmen Frühstücks. Die im Untergeschoss liegenden Räume, ins- 
besondere die Schülerwerkstätten, werden teilweise in der schulfreien 
Zeit zu Hortzwecken verwendet. 

Schulbänke, Schultafeln. 

Die Schulbänke sind zweisitzig, ohne bewegliche Teile und mit 
Holzrosten versehen. Der Tiefe nach werden 4 Bänke aufgestellt. 
Die Schultafeln sind mit geringer Neigung fest an der Wand an- 
gebracht. Sie bestehen aus Schiefer. 



120 



Fürsorge fttr schulpflichtige Kinder. 

















Die Unteirichtsanstalten 










1 






Schulbänke, Zahl 








■^ 


S so 






der Klassen mit 




Name 

der 

Anstalt 


1 
1 


.s 

1 


c* ^ 




'feS 


'T3 8 






.5 

J 


5= 

£ 

11 


1 


2 

1 


1 


1! 

:s-e 


1 








t^ 


O 


S 


n 


c 


^ ^^p 


PL, 


5"^ 


P5 


S 


1. 


Kgl.human.Gymnas. 


— 


1600 


400 1(0,77) 
1 7,5 
450 1(1,2) 
10,9 


3500 


515 


19 


27 


— 


— 


— 


19«) 


2. 


Real-Gymnasium . . 


— 


2057 


3500 


362 


14 


26 


31) 


— 


— 


11^) 


3. 


Höhere Mädchen- 
























schule am Markt . 


1898/01 


3829,0 


1989,71' 3,10 


742 


642 


25 


26 


7 


— 


18 


— 


4 


Desgl. Dotzheimer 






1 




















Strasse 5 


1906/07 


1245,0 


968,18 ! 5,04 


— 


192 


7 


27 


— 


7 


— 


— 


5. 


Realsch. Oranienstr. 


1866/67 
erw. 


7613,0 


5492,65 7,77 


— 


707 


22 


32 


— 


4 


— 


2KL3S. 
16,48. 






1896/97 




! 
















6. 


Desgl. Zietenring . . 


1904/06 


5437,0 


8442,72; 3,74 


— 


920 


21 


44 


— 


14 


— 


4.4s. 


7. 


Mittelsch. Luisenstr. 


1876 

erw. 

1901/02 


2539,0 


1560 ; 1,54 

1 




634 


17 


37 






17 




8. 


Desgl. Riederberg . 


1905/07 


4689,0 


3205,4 4,00 


— 


801 


17 


47 


— 


17 


— 


— 


9. 


Desgl. Rheinstr. . . 


1877/78 


6293,0 


4618,72 4,40 


— 


1050 


25 


42 


— 


22 


— 


3 Kl. 4b. 


10. 


Desgl. Stiftstr. . . . 


1879/80 


3298,0 


2558,9 , 5,01 1 — 


490 


13 


38 


— 


13 


— 


— 






1899 




1 














11. 


Volkssch. Lehrstr. . 


1843 


2468,0 


1000 1,80 1 1177 


1203 


25 


48 


— 


25 - 


— 






crw 
1898/99 


ca. 


1 1 










. 






12. 


Desgl. Schulberg . . 


1861 u. 
1870 

1882/84 


6706 


4912,0 


4,10! - 


1196 


28 


43 


— 


25 


-i3KL48. 

1 


13. 


Desgl. Kastellstr.. . 


6503,0 


4966 


3,72 


— 


1333 


26 


51 


— 


22 


-4 ,4ß. 


14. 


Desgl. Blücherpl.. . 


1896/97 


5242,0 


3849,0 


3,08 fr. PI. 


1250 


25 


50 


-; 25 j-; -__ 


15. 


Desgl. Bleichstr. . . 


1876/77 


5876,0 


4365,84 


3,45 


— 


1263 


25 


50 


- 15 


-10KL58. 


16. 
17. 


Desgl. Gutenb. M. \ 
Desgl. „ K. / 


1901/08 


10939 


— 


6,25 


10010 


800 
800 


16 

16 


50 
50 


- 1^ r - 

_! 16 I-' - 


18. 


Desgl. Mainzer Str.. 


1906 


2357,0 


2023,28 


14,66 


— 


138 


4 


35 


— 


4 — - 


19. 


Desgl. Klarental . . 


1881 


666,0 


542,80 


14,0 


— 


39 


1 


39 


— 


1B14S. 




Kindergarten . . . . 


1899 


1437 


1165,7 


11,42 


— 


102 


2 


51 


— 


'rl ' 




Gewerbeschule . . . 


1882 

erw. 

1888 u. 


2956,75 


935,73 


200 VolksschOler 
302 freiw. Gewerbe- 

Bchüler 
889 oblig. Zeichen- 


32 


— 


— 


4-' - 

1 i 






1907/08 






schüler 
1007 oblig. Fort- 
bildungsschfiler 






1 ' ; 












500 oblig. kaufin. 
















Fortb 


ildungssc 


hüler 












1 
1 



Bei allen Schulen ist die jetzige Besetzung der Klassen nach Angabe der Herren 
Projekt berechnete Schülerzahl eingesetzt. 



1) Alte Reihenbänke. — *) 3 — 4 sitzig. Beweglicher Sitz und Pult. 



Fttrsorge für schulpflichtige Kinder. 



121 



im Jahre 1906. 






































Durchschnittl. Maß 


Cm 




f2 






1 






















c;> 




der Lehrsäle 


^ 

^ 


S 
















u 








2 




B 














Sd 








2 

a. 

S 

1 

cbm 


1 


1 

TS 

1 


•1 


'S 

Eh 


Anzahl der Handa 
Räume 


1 

S 


B 
B 

1 


1 

B 

1 


i 


1 
II 

1 


g 

'S 
S 


TS 
C3 

1 


«M 

1 


1 

I 


s 

> 




8,50 


7,00 


3,92 


232,10 


8,60 


— 


1 




1 


— 


1 


2 


2 






— 


— 


— 


— 





— 




7,80 


6,50 


3,50 


177,50 


6,80 


— 


— 




1 


— 


2 


4 


2 




— 


— 


— 


— 


— 


— 


— 




8,00 


6,96 


4,60 


256,00 


9,85 


1 


1 




1 


— 


1 


2 


1 




1 


1 


— 


— 


— 


— 


vorh. 


1 


5,72 


3,90 


3,20 


71,38 


2,64 




















1 


1 




_ 

















__ 


1 
s 


8,50 


6,60 


4,20 


235,60 


7,34 


8 


1 




1 




2 


4 


1 




— 


1 


— 


— 


— 





vorh. 


8,20 


6,30 


4,20 


216,90 


9,81 


4 


1 




1 




1 


8 


1 






1 


_ 


_ 


_ 


1 


_ 


8,40 


6,50 


4,20 


229,30 


6,20 


1 


1 


— 


1 


— 


— 


3 


1 




— 


— 


— 


— 


— 





— 


i 


8,43 


5,98 


4,05 


204,10 


4,34 




1 


_ 


1 


_ 




2 


1 




1 


1 


_ 






_ 




i 


9,60 


6,60 


4,65 


294,60 


7,00 


1 


— 


1 


1 


— 


— 


1 


1 


— 


— 


— 


— 


— 


— 





vorh. 


9 


8,30 


6,60 


4,20 


230,00 


6,05 


— 


1 


— 


1 


— 


1 


1 


1 




— 


1 


— 


— 


— 








o 


9,70 


6,10 


4,10 


242,60 


5,04 


— 


1 


— 


1 


1 


1 


1 


1 




— 


1 


— 


1 


1 


_ 


vorh. 




11,0 


6,80 


4,30 


321,64 


7,48 




— 


— 


1 


— 


— 


3 


1 




— 




1 


1 


— 


— 


— 




9,00 


6,80 


4,20 


257,04 


5,00 


2 


— 


1 


1 


wird die 
Anla ben. 


1 


1 


1 


1 


— 


— 


— 


wirdGang 
verw. 


— 


— 




8,60 7,30 


4,35 


273,00 


5,47 


— 


1 


— 


1 


— 


1 


1 


1 


— — 


1 


— 


1 


1 





vorh. 




9,10 


6,50 


4,40 


260,26 


5,20 


— 


— 


1 


1 


— 


— 


2 


1 


—1 — 


— 


1 


1 


1 





vorh. 




8,90 


6,77 


4,35 


262,00 


5,24 




— 


1 


2 


— 


2 


ll — ' — 


1 


1 


1 


1 





— 




8,90 


6,77 


4,85 


262,00 


5,24- 


1 


— 


1 


— 


— 


2 


1 1 — 


1 




1 


2 


— 


vorh. 




8,50 6,00 


3,70 


188,70 


5,40- 


— 


— 


— 


— 


1 


1 


-1 1;- 


1 




— 


— 





— 




10,0 6,00 


3,70 


222,00 


5,70 


— 


— 


— 


— 


— 


1 


— 


1 ' 


— 




— 





-^ 


— 




8,00 


5,00 


4,00 


160,00 


3,13 


— 


— 


1 
Spielz. 


— 


— 


— 


— 


— 


— 


— 




— 


— 


— 


— 




11,0 


6,60 


4,00 


290,40 


— 


— !— 




— 


1 


6 


2 


— — 


1 


— 


— 


— 


— 


noch 
nicht 






























1 














verraiet 





Schuldirektoren gerechnet. Bei der Oberrealschule am Zietenring unter 6 ist die für das- 



122 Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 

B. Schnlbetrieb. 

Die vorstehende Tabelle gibt über sämtliche Schulen in tiber- 
sichtlicher Weise Auskunft. 

Die Gesamtschülerzahl betrug in den Mittelschulen 2901 
in 70 Abteilungen, mit 4 Rektoren, 50 Lehrern, 16 ordentlichen und 
4 technischen Lehrerinnen. In den Volksschulen befinden sich 
8187 Kinder in 170 Abteilungen mit 7 Rektoren, 124 Lehrern, 
39 ordentlichen und 13 technischen Lehrerinnen. 

Das Jahresbudget der städtischen Schulverwaltung beläuft sich auf 
insgesamt 1714139 M., pro Kopf der Bevölkerung 16,02 M.; mit einem 
eigenthchen Bedürfhiszuschuss von 1 245 738 M = 96,39 M pro Schulkind. 

Für unentgeltliche Lern- und Handarbeitsmittel an bedürftige 
Binder wurden 2300 M. verausgabt. 

Für die Einrichtung, das Ziel und die Unterrichts- 
gegenstände gelten die gesetzlichen Bestimmungen vom 15. Oktober 
1872. Ausführliche Lehrpläne sind durch Schuldeputation, Schul- 
inspektion und Lehrerkollegien ausgearbeitet. 

Durch Verfügung Königl. Regierung vom 4. 1. 1902 finden 
Unterrichtspausen statt zwischen der 1. und 2. Stunde von 
10 Minuten, zwischen der 2. und 3. Stunde 15 Minuten und zwischen 
der 3. und 4. Stunde wieder 10 Minuten. Die Kinder sollen in allen 
Pausen, wenn es das Wetter irgend zulässt, in den Schulhof geführt 
und die Klassen gründlich gelüftet werden. 

Seit 1894 wird in den Volksschulen an sämtliche Schülerinnen 
der obersten Klassen ein freiwilliger hauswirtschaftlicher 
Unterricht theoretisch und praktisch erteilt, in 14 Abteilungen 
einmal wöchentlich zu je 4 Stunden während des ganzen letzten 
Schuljahres. Die betreffenden technischen Lehrerinnen sind speziell 
hierfür in Cassel oder Karlsruhe ausgebildet. Zur Verfügung stehen 
3 Schulküchen. 

Mit dem Schuljahr 1904 wurde für Schwachbegabte Schüler 
die erste Hilfsklasse eingerichtet; seitdem jährlich eine neue Klasse 
angefügt, sodass Ostern 1909 die sechsklassige Hilfsschule vollständig 
entwickelt ist; zur Zeit zählt sie in 5 Klassen 96 Schüler und 
Schülerinnen. Aufgenommen werden die Kinder, welche zwei Jahre 
erfolglos die Normalschule besucht haben. 

Seit Herbst 1905 sind Stotterer- bezw. Sprachheilkurse 
eingerichtet, von jeweils halbjähriger Dauer bei 5 Stunden wöchentlich. 
Der betreffende Lehrer erhielt eine besondere Ausbildung zu diesem 
Zwecke. Die Erfolge sind sehr befriedigend. 



Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 123 

C. Sehulgesundheitspflege. 
I. Schiplärzte* In Wiesbaden sind für die städtischen Volks- 
und Mittelschulen seit 1896 Schulärzte nebenamtlich angestellt; z. Z. 
acht, darunter die fünf städtischen Armenärzte. Jahresfixum 600 Mi 
und pro Kopf der zur Nachuntersuchung kommenden Schüler des 
2., 4., 6. und 8. Jahrganges 20 Pfg. 

Die Ziele und die Tätigkeit der Schularzteinrichtung darf als 
bekannt vorausgesetzt werden, und hier möge eine kurze Skizzierung 
genügen. 

Die „Anweisung für den schulärztlichen Dienst" verlangt 1. eine 
äussere Voruntersuchung aller Kinder der Aufnahmeklassen inner- 
halb der ersten drei Schultage ; 2. genaue Untersuchung dieser Auf- 
nahmeklassen in den ersten sechs Wochen (hierbei Dispens durch 
Tiausärztliche Zeugnisse verschwindend selten), möglichst in Gegen- 
wart der Eltern (etwa 80 — 90®/o der letzteren anwesend). Hierbei 
Ausstellung eines „Gesundheitsscheines" für jedes Kind mit den 
•erforderlichen Eintragungen durch Lehrer und Arzt. Dieser Schein 
begleitet das Kind durch seine ganze Schulzeit und bleibt in Ver- 
wahrung des Lehrers. 

Die Prüfung von Auge und Ohr erfolgt meist später, in der 
zweiten Hälfte des ersten Schuljahres. 

3. Klassen weise „Nachuntersuchungen" der sämtlichen Schüler 
•des 2., 4., 6. und 8. (letzten) Schuljahres. 

4. „Schulärztliche Sprechstunden", d. h. Besuche des Arztes in 
der Schule bezw. einzelnen Klassen, alle 3 — 4 Wochen, zur Über- 
wachung besonders kränklicher Kinder, sowie zur Kontrolle des 
Schulgebäudes, Heizung, Ventilation, Schulbades etc. 

Je nach Bedarf werden gelegentlich dieser Tätigkeit schriftliche 
Mitteilungen an die Eltern gesandt über vorgefundene Krankheits- 
erscheinungen, mit Aufforderung zu deren Beseitigung bezw. ärzt- 
licher Behandlung usw. 

Die letztere steht den Schulärzten als solchen nicht zu! 

Gleichzeitig erfolgen Einträge in die Gesundheitsscheine über 
•erforderliche Rücksichtnahme im Unterricht, Dispens, besonderen Sitz- 
platz usw. Anträge an Schul- oder Polizeibehörde (Zwangsreinigung !). 

Der älteste Schularzt übernimmt die Leitung der Geschäfte und 
die Vertretung in der städtischen Schuldeputation. 



124 Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 

IL Schulzahnärzte. Seit 1 906 ist für die Kinder der Volks- 
schulen geordnete Zahnpflege, unentgeltliche Unter-suchung und 
Behandlung durch approbierte Zahnärzte eingeführt. Für jede Schule 
ist ein Zahnarzt vertraglich angestellt, welcher sämtliche Kinder in 
bestimmten Zeiträumen in der Schule zu untersuchen und er- 
forderlichen Falles in seiner Sprechstunde die geeignete Behandlung,. 
Füllung, Extraktion etc. vorzunehmen hat. Als Vergütung werden 
pro Kopf des gesamten Schulbestandes 0,50 M. gegeben. Behandlung 
selbstverständlich ohne jeden Zwang und möglichst an schulfreien 
Nachmittagen. 1906/07 waren von 7992 Kindern 7619 zahnkrank, 
von diesen kamen 1364 zur Behandlung mit 931 Füllungen und 
3071 Extraktionen etc. 

III. Schulbäder bestehen jetzt in Gestalt von Brausebädern 
in allen Volksschulen, in den älteren Gebäuden dem Räume ein- 
gefügt, nicht immer allen strengen Forderungen genügend; in den 
neueren dagegen in jeder Hinsicht einwandfrei, ja mit einer gewissen 
Eleganz ausgestattet (Gutenbergschule). 

Für die Knaben gemeinsam offener Auskleideraum und Brause- 
räume, für die Mädchen neuerdings Einzelauskleide- und Badezellen 
(Tafel 37). 

Das Baden besteht in einer 30—35 ^ C. warmen Brause 1 bis 
2 Minuten, dann Pause von 3 bis 4 Minuten zum gründlichen 
Abseifen; hierauf 2 bis 3 Minuten Brause langsam von 35^ auf 
20« C. sich abkühlend. 

Nach dem Bade V2 Stunde Freiübungen in Turnhalle oder Hof. 

Die Beteiligung am Bade ist freiwillig, schwankte im letzten 
Jahre zwischen 35,7 und 48,1 «/o — die beiden niedrigsten Mädchen- 
ziffern — und 76,3—76,4, die höchsten Knabenziffern ! Leider findet 
diese so vorzügliche Einrichtung nicht in allen Kreisen das wünschens- 
werte Verständnis und Entgegenkommen. 

IV. Schul frühstück wird an bedürftige Kinder der Volks- 
schulen — Auswahl durch Arzt und Lehrer — während der Winter- 
monate unentgeltlich verabreicht in Form eines Tellers warmer 
Hafergrütze und einem Stück Brot. Kosten rund 2000 M., durch frei- 
willige Beiträge gedeckt. Zubereitung durch Schuldiener und Frau 
gegen mäßige Vergütung in den dafür eingerichteten Kellerräumlich- 
keiten. Ausgabe vor der ersten Unterrichtsstunde. Beteiligung: 
478 Kinder an 69 Tagen mit 33017 Portionen. 

Über die Verabreichung von warmem, nahrhaftem Mittagessen 
an besonders bedürftige Schulkinder werden z. Z. Erhebungen angestellt- 



Tafel 37. 



■ 


s 


1 




1 






1 




1 

1 

i 


9 


! 


'^L^ 


f 


\ 


^ 



Outenbergschule, Brausebad für Mädchen. 




Outenbergschule, Brausebad für Knaben. 



Fürsorge für schulpflichtige Kinder. 125 

V. Turnspiele werden seit 1904 durch die Knaben der Volks- 
schulen an einem Nachmittage wöchentlich ausgeführt, ausser den 
zwei verbindlichen Turnstunden. Einmal monatlich findet an Stelle 
der Spiele ein grösserer Turnmarsch statt. Als Spielplätze 
dienen in erster Linie der grosse städtische Spielplatz unter den 
Eichen, ca. 12000 qm gross, mit Schutzhalle, Gerätehalle usw., 
ferner ein von der Stadt zu erwerbender Teil des alten Exerzierplatzes 
an der Aarstrasse in Grösse von 7700 qm und ein neu geplanter 
Platz am Zietenring von ca. 4700 qm. Ferner ist die Benutzung des 
grossen Exerzierplatzes an der Schiersteinerstrasse von dem Militär- 
fiskus bereitwilligst und unentgeltlich in den Nachmittagsstunden 
den Schulen zur Verfügung gestellt. (50 M. Entschädigung an den 
Pächter der Grasnutzung.) Aufsicht durch Lehrer gegen besondere 
Vergütung. Gesamtaufwendung hierfür (inkl. Spielutensilien etc.) im 
letzten Jahre 4031 M. 

Beteiligung durchschnittlich 78 — 88®/o der in Betracht kommenden 
Schüler. 

D. Einderhorte und Sommerpflege. 

Die Bestrebungen der Schulgesundheitspflege werden in wirk- 
samster Weise unterstützt durch die hier bestehenden Vereine für 
Kinderhorte und für Sommerpflege armer Kinder. 

Ersterer übernimmt die Beaufsichtigung, Beschäftigung und 
körperliche Pflege der Schulkinder in den unterrichtfreien Stunden. 
(Besondere Betonung der Reinlichkeit, Zahnpflege, Gewährung von 
Nahrungs- und Stärkemitteln etc.) Eine besondere Abteilung befasst 
sich mit der Gewährung freier Mittagsmahlzeit an arme Kinder, sowie 
der Überwachung hortentlassener Zöglinge bis zum 18. Lebensjahre. 

In 4 Horten z. Z. etwa 330 Zöglinge, meist in zur freien Ver- 
fügung gestellten Schulräumen. Freiwillige Leitung (Frl. Merttens) 
und Beaufsichtigung durch Vereinsdamen ; ärztliche Untersuchungen. 
Jahresunkosten rund 17000 M., mit 2300 M. städtischem Zuschuss, 
;sonst freiwillige Beiträge. 

Der Verein für Sommerpflege armer Kinder ermöglicht 
schwächlichen und kränklichen Kindern einen meist vierwöchentlichen 
Landaufenthalt oder Kur in Solbädern etc. in einzelnen Familien, 
Anstalten und einem seit 1907 eröffneten eigenen Gebäude, Ferienheim 
in Oberseelbach im Taunus, 315m Höhenlage, etwa 50 Betten, 
eigenes Wasserwerk, elektrische Lichtanlage. Geeignete Beauf- 
sichtigung, auch ärztliche, Körperpflege, Badeeinrichtungen (1907: 



126 Krankenanstalten. 

2835 Bäder), gute, kräftige Beköstigung. Vorläufig nur Sommer- 
betrieb, Unbemittelte ganz frei, vermögendere Kinder gegen an- 
gemessenen Beitrag. 1907 wurden . 480 Kinder (200 Knaben und 
280 Mädchen) ausgesandt, davon etwa 200 in das Ferienheim, 155 
in Familien auf dem Lande und 125 in geeignete Anstalten, Sol- 
bäder etc. (Kreuznach, Orb, Nauheim). Jahresausgabe des Vereins 
rund 26000 M. mit 1500 M. städtischem Zuschuss. Auswahl der 
Kinder durch Schulärzte, Lehrer und Vereinsvorstand. 

Auch der Wiesbadener Hilfsverein für das Viktoriastift 
in Kreuznach möge hier erwähnt werden. Derselbe vermittelt die 
Behandlung skrofulöser Ender in Kreuznach und entsandte 1907 
89 Kinder aus Wiesbaden und 62 aus dem Regierungsbezirk dorthin. 

Die Jahresrechnung des Vereins (Vorsitzender Geh. Rat Pagen- 
stecher) beläuft sich auf 9574 M., worunter lOOOM. städtischer 
Zuschuss. 



.2. Fürsorge für Kranke. 
I. Krankenanstalten. 



a. Städtisches Krankenhaus^). 

Dirigierende Ärzte: Prof. Dr. Landow und Prof. Dr. Weintraud. 

a. Bauten. 
Von Stadtbauinspektor Grün. 

Wiesbadens ältestes Krankenhaus, das kleine veraltete Hospital 
am Kochbrunnen, hat vor etwa mehr als 3 Jahrzehnten aufgehört zu 
bestehen, nachdem die Stadtgemeinde an anderer Stelle eine grössere 
zeitgemäße Krankenhausanlage hatte errichten lassen. Diese wurde 
in den Jahren 1876 — 1879 nach dem Pavillon-System auf einem 
städtischen Grundstück von 3,52 ha Flächengrösse erbaut. 

Durch eine zentrale und zugleich gesunde Höhenlage ist die 
Anstalt besonders ausgezeichnet. Sie liegt an der Stelle des ehemaligen 
Römer-Kastells etwa 40 m über der inneren Stadt im Mittel 160 m 
über N. N., begrenzt von drei öflFentlichen Strassen (Schwalbacher-^ 
Platter- und Kastell-Strasse) mit der Hauptorientierung nach Osten 
(Schwalbacher Strasse) und Südwesten (Platter Strasse). Unter Ein- 

1) Infektionsspital siehe Seite 161. 



Tafel ^Ä. 




x: 
n 

n 

Um 

(U 

x: 
u 
w 

T3 
CA) 



Tafel 30. 




CD 
C/3 
W 
CO 



03 

n 
n 

CÖ 



n 

3 



< 

lE 

CJ 



n 
n 

CÖ 



TS 
:03 



C/} 



Krankenanstalten. 127 

schluss eines späteren Neubaues bietet sie Unterkunft für 300 Kranke 
und ist mit einem für die Verhältnisse der Zeit beträchtlichen Auf- 
wand und in grosszügiger Weise angelegt. In der Hauptaxe standen 
das dreistöckige Verwaltungsgebäude, das auch die Au&ahmeräume, 
die Polikliniken, die Stationen für Privatpatienten und Arzte- 
wohnungen enthielt, das Kochküchen- und das Waschküchengebäude. 
Seitlich schlössen sich eine Reihe teils zweistöckige, teils einstöckige 
Krankengebäude an. 

Lange hat aber auch diese Anstalt der fortschreitenden Ent- 
wickelung der Technik und der Hygiene einerseits und dem Wachstum 
der Stadt andererseits nicht standhalten können, und es hatten im 
Laufe der Jahre schon nicht unerhebliche Erweiterungs- und Anbauten 
stattgefunden, als man sich zu einer durchgreifenden Modernisierung 
und Erweiterung des Krankenhauses entschloss. Zu letzterer bot das 
noch unbebaute Areal eine allerdings durch die ungünstige dreieckige 
Umrissform des Geländes und durch die starken Höhenunterschiede 
recht erschwerte und hinsichtlich der Grösse des Areals beschränkte 
Möglichkeit. 

Wenn man trotz dieser Schwierigkeiten und der Bedenken, die 
an und für sich gegen einen Um- und Erweiterungsbau bestehen 
müssen, nicht zu dem verhältnismäßig weniger kostspieligen Neubau 
einer Krankenanstalt an anderer Stelle überging, so war dabei mit 
ausschlaggebend die schon erwähnte vorzügliche Lage des alten 
Krankenhauses. 

Das Programm für die Um- und Erweiterungsbauten, deren 
Kosten nach ihrer Beendigung ca. 2^2 Millionen M. betragen, er- 
streckte sich 

1. auf den Umbau der bestehenbleibenden Gebäude zum Zwecke 
der Erfüllung aller hygienischen Forderung einschliesslich 
der Herstellung von Sammelheizanlagen und elektrischer Be- 
leuchtungsanlagen, 

2. auf die Errichtung neuer Bauten. 

Die Durchführung dieses Programms muss sich im Interesse des 
Betriebes auf eine Reihe von Jahren verteilen. Im Laufe von vier 
Jahren sind bis jetzt fertiggestellt (siehe Tafel 38 — 41) an Neubauten : 

1. Das Leichenhaus mit den anatomischen, chemischen und 
bakteriologischen Arbeitsräumen. 

2. Das Koch- und Waschküchengebäude und das Kesselhaus mit 
den zentralen Dampf- und Warmwasserbereitungsanstalten^ 



128 Krankenanstalten. 

3. Im Anschluss an das Kesselhaus eine öffentliche Desinfektions- 
anstalt, die zugleich den Krankenhauszwecken dient. 

4. Ein Gebäude für die Apotheken, die Polikliniken und die 
Wohnungen von 18 Schwestern. 

5. Die Neubauten für die chirurgische Abteilung bestehend aus 
3 Krankengebäuden und einem Operationsgebäude. 

6. Ein unterirdischer Verbindungsgang für die Rohrleitungen 
zwischen den fertiggestellten Bauten. 

Die Umbauten der alten Gebäude sind zum Teil im Gange. 
Weitere drei Krankengebäude, davon zwei an Stelle niederzulegender 
alter Bauten, sind geplant und sollen in den nächsten Jahren zur 
Ausführung kommen. Die Anstalt wird dann auf einer Gesamt- 
grundstücksfläche von rund 36 000 qm nahezu 600 Krankenbetten 
enthalten, und zwar in der chirurgischen und geburtshilflichen 
Abteilung rund 200 Betten, in der inneren Abteilung rund 400 Betten. 
Von den letzteren werden rund 50 Betten auf das Isoliergebäude für 
Infektionskranke und 7 Betten auf das Gebäude für Irre entfallen. 

Die Mehrzahl der Krankengebäude ist zweistöckig. Nur bei 
zwei Gebäuden der inneren Abteilung hat die Beschränktheit des 
Platzes zu dreistöckigen Anlagen geführt. 

In jedem Stockwerk befindet sich im allgemeinen eine selbst- 
ständige Station mit Tageräumen, Verband- und üntersuchungszimmer, 
Bädern, Wärmküche und Liegehalle. Da, wo in einem Geschosse zwei 
Stationen eingerichtet wurden, hat jede einen gesonderten Zugang 
beziehungsweise Treppenaufgang. Jede Station besitzt Krankenzimmer 
und -Säle verschiedener Grössen. Die Säle haben Sonne von zwei 
Seiten und enthalten bei der inneren Abteilung nicht über 20 Betten 
{Tafel 39), Niederdruckdampfheizung, in den Sälen teilweise Warm- 
wasserheizung, künstliche Lüftung, elektrische Beleuchtung, Kalt- 
und Warmwasserleitung in allen Räumen. Elektrisch betriebene Fahr- 
stühle führen nach den oberen Stockwerken. Handaufzüge befördern 
die Speisen nach den oberen Wärmküchen. 

Für Verbandzeug und andere Abgänge, die im Krankenhaus 
vernichtet werden müssen, ist ein besonderer Verbrennungsofen 
vorhanden. 

Eine zentrale Badeanlage mit einer grösseren Anzahl medi- 
zinischer Bäder und den Einrichtungen für die Hydrotherapie wird 
in dem hohen Kellergeschoss eines Krankengebäudes eingerichtet. 

Unter Annalmie, dass die voraussichtliche, überschläglich be- 
rechnete Kostensumme der ursprünglichen und der hinzugefügten 



Tafel 40, 




C3 

o 



a. 
O 

x: 



C5- 
< 



C/J 

x: 
n 

(U 

n 



:03 



CO 



Krankenanstalten. 129 

resp. umgeänderten Bauten ca. 3600000 M. beträgt und 600 Betten 
untergebracht werden können, würden sich die Kosten pro Bett auf 
6000 M. belaufen. 

ß, Betrieb. 

Die Leitung resp. Verwaltung des ganzen Krankenhauses wird 
durch folgendes Personal z. Zt. bewirkt: 

1. Die Krankenhaus-Deputation des Magistrats, bestehend aus 
3 Mitgliedern des Magistrats, 2 Oberärzten und 6 Stadt- 
verordneten ; 

2. 2 Oberärzten, 2 Sekundärärzten, 8 Assistenzärzten und 
1 Prosektor mit 1 Assistenten; 

3. 1 Oberin mit 65 Pflegeschwestern, welche zusammen den 
Verband der Schwestern vom Roten Kreuz des Frauenvereins 
Wiesbaden, unter einem besonderen Kuratorium, bilden; 

4. 1 Verwalter mit 1 Kassierer und 4 Bureauassistenten; 

5. 1 Obermaschinist mit 7 Heizern; 

6. 1 Hausmeister mit 4 Hausburschen; 

7. Unterpersonal (80 Köpfe). 

Im Betriebsjahr 1906/07 wurden insgesamt 4292 Kranke verpflegt 
an 98858 Verpflegungstagen, bei einem durchschnittlichen Kranken- 
stand von 270,84 gegen 286,0 im Vorjahr, und einer durchschnitt- 
lichen Aufenthaltsdauer von 23,03 Tagen. 

In dem letzten Betriebsjahre ergaben sich II 7 776 Verpfiegungstage. 
Es wurden ausgegeben . . . 809904,89 M., 

zurückerstattet 594085,88 M. 

Es blieb eine Mehrausgabe von 215819,01 M., 
welche aus anderen Einnahmen der Stadt in Form eines Zuschusses 
gedeckt werden musste. 

Die Kosten eines Kranken betrugen für das Betriebsjahr 1906/07 
4,21 M. Hierbei wurden alle Unkosten exkl. der Neubauten aber 
inkl. der Unterhaltungsbauten berücksichtigt. 

Die Beurteilung der Krankheiten möge die beifolgende kurze 
Übersicht geben über die im städtischen allgemeinen Kranken- 
hause 1906 behandelten Krankheitsfälle. 

Von 2924 Krankheitsfällen der inneren Abteilung ent- 
fielen auf: 

1. Infektionskrankheiten 247 mit 15 Todesfällen 

2. Konstitutionskrankheiten 255 „23 „ 

3. Krankheiten des Nervensystems ... 318 „ 36 „ 

9 



130 Krankenanstalten. 

4. Geisteskrankheiten 155 mit 6 Todesfällen 

5. E[rankheiten der Atmungsorgane . . 646 «69 „ 

6. „ „ B[reislaufsorgane . . 105 „ 31 „ 

7. „ r, Verdauungsorgane . 268 „ 38 „ 

8. „ „ Harn- und Geschlechts- 

organe 309 »16 „ 

9. „ « Bewegungsorgane . . 239 „4 ^ 

10. . „ Haut 374 , 5 

11. r, r, Sinnesorgane ... 8 „ — „ 
Von 1350 Kranken der äusseren (einschl. geburtshilf hohen) 

Abteilung kamen 780 zur Operation mit 36 Todesfällen. 

b. Das Krankenhaus der „Paulinen-Stiftung". 

Dirigierende Ärzte: Dr. E. Pagenstecher und Dr. Kretzsohmar. 

Das Diakonissen -Mutterhaus „Paulinenstift** ist eine mit 
Korporationsrechten ausgestattete Wohltätigkeits- Anstalt. Sie steht 
unter dem Protektorat der Grossherzogin von Luxemburg und trägt 
ihren Namen zum Andenken an Herzogin Pauline von Nassau. 

Die Anstalt liegt an der Schiersteiner Strasse in einem Gelände 
von ca. IV2 lia, mit ca. 1200 qm Baufläche; sie gliedert sich, ihrer 
Bestimmung entsprechend, in drei zusammenhängende Gebäude, das 
Schwesternhaus, das B[rankenhaus (mittlerer Teil) und das Erziehungs- 
haus, Kinderheim. Ein getrenntes Gebäude dient der Verwaltung 
und dem leitenden Geistlichen zur Wohnung. 

Das Krankenhaus nimmt E[ranke jeder Konfession beiderlei 
Geschlechtes auf, ausgenonunen Geisteskranke, auch Sieche zu dauernder 
Pflege;* es besteht die Einrichtung der Dienstbotenabonnements und 
besonderer Vereinbarungen über Aufiiahme von Krankenkassen- 
mitgliedern. Das Haus ist den Anforderungen der Neuzeit entsprechend 
ausgestattet, hat kleines Isoliergebäude mit Desinfektionsvorrichtung, 
Operationssaal, Röntgenkabinett etc. Viele Einzelzimmer für Privat- 
patienten. 

Die verfügbaren 65 Betten weisen eine durchschnittliche Beleg- 
zifl^er von 57 Kranken auf. Es bestehen drei Verpflegungsklassen 
zu M. 2,25, M. 5—6 und M. 8—10 pro Tag. 

Das Pflegepersonal stellen die Diakonissenschwestem, von denen 
etwa 90 einschl. Hilfs- und Lehrschwestern zur Verfügung stehen, 
soweit solche nicht auf den Aussenstationen im Regierungsbezirk in 
Krankenpflege und Gemeindedienst Verwendung finden. 



Shdt iDi^sljQikti 




Tafel 41, 






SidgQscftoss. 




Krankenanstalten. 131 

Über die in dem Gebäude untergebrachte Kinderstation im 
Erziehungshaus ist oben bereits berichtet. Das Kinderheim bedarf 
der Vergrösserung und diese ist bereits in nächster Nähe in Angriff 
genommen. 

Die Unterhaltungskosten werden ausser durch die Kranken- und 
Pflegekosten durch freiwillige Beiträge seitens privater Vereine, 
Bezirksverband und Stiftungszinsen getragen. Die Jahresrechnung 
schliesst in Ausgabe mit ca. 128000 M. ab. 

e. Der Wiesbadener Verein vom Roten Kreuz, 
sein Sehwesternheim und Krankenhaus. 

Von Dr. Lande. 

Der Verein wurde im Jahre 1885 durch den Prinzen Nicolaus 
von Nassau ins Leben gerufen. Die ersten Schwestern des Vereins 
wurden in dem unter dem Protektorate Ihrer Königl. Hoheit der 
Kronprinzessin, späteren Kaiserin Friedrich stehenden Viktoria- 
hause zu Berlin ausgebildet; bald jedoch übernahm der Verein die 
selbständige Ausbildung seiner Schwestern. Bei der schnell wachsenden 
Schwestemzahl machte sich das dringende Bedürfiiis nach einem 
eigenen Sehwesternheim geltend und um den Schwestern auch einen 
festen Wirkungskreis zu geben, wurde in schönster Höhenlage, am 
sonnigen Südabhang des Leberbergs und der Schönen Aussicht, ein 
Krankenhaus und Schwesternheim erbaut, welches nach feierlicher 
Einweihung am 28. März 1892 seiner Bestimmung übergeben wurde. 

Das Krankenhaus bietet nach wesentlichen Veränderungen und 
Vergrösserungen zur Zeit Raum für 70 Kranke, welche sich auf 
42 Krankenzimmer verteilen. Die Patienten lassen sich vom Arzte 
ihrer Wahl behandeln. Durch den Bau eines zweiten, nach den 
modernsten Grundsätzen erbauten Operationssaales — der Stiftung 
einer hochherzigen Gönnerin des Vereins — ist, da nunmehr zwei 
Operationsräume zur Verfügung stehen, allen Ansprüchen der 
behandelnden Arzte Rechnung getragen. 

Das Schwesternhaus ist inmitten des schönen Gartens erbaut; 
an dasselbe sich anlehnend ist eine Dampfwäscherei mit elektrischem 
Betriebe, elektr. Dampfinangel etc. errichtet. 

Die Anzahl der Schwestern — durch Gründung der neuen 
Schwesternschaft im städtischen Krankenhause etwas reduziert — 
beträgt zur Zeit 72. Dazu kommen noch 22 Pensionärinnen. Das 
Arbeitsfeld der Schwestern ist ein sehr umfangreiches und mannig- 



132 Krankenanstalten. 

faltiges. In Wiesbaden arbeiten dieselben ausser im eignen Kranken- 
hause in der Armen- und Kirchenpflege, der allgemeinen Poliklinik, 
dem Wöchnerinnenasyl, der Mutterberatungsstelle, der Nassauischen 
Fürsorgestelle für Lungenkranke, der Nervenklinik des Herrn Dr. 
Friedländer und in umfangreicher Privatpflege. 

Ausserhalb Wiesbadens stellt der Verein seine Schwestern der 
Königl. Universitäts- Frauenklinik und Gebäranstalt zu Bonn, der 
Königl. Universitäts -Augenklinik zu Bonn, dem Viktoriahospital zu 
Godesberg, der Lungenheilstätte zu Naurod, ebenderselben zu Schöm- 
berg, der Gemeindepflege zu Sulzbach. Der Verein verfügt ferner 
über eine Anzahl Hebammenschwestern, welche in der Bonner 
Universitäts-Frauenklinik ihre Ausbildung erhalten. 

Einen Beweis für die Tüchtigkeit und Beliebtheit der Schwestern 
des Wiesbadener Vereins vom Roten Kreuz bietet auch die Tatsache, 
dass aus ihren Reihen bereits 7 Schwestern berufen wurden, um als 
Oberinnen an die Spitze bedeutender Schwestern vereine zu treten. 

d. Das „Hospiz zum heiligen Geist". 

Dirigierender Arzt: Dr. Ant. Pfeiffer. 

Das im Besitz und unter der Leitung der Barmherzigen Schwestern 
(Kongregation der armen Dienstmägde Jesu Christi) stehende neu- 
errichtete grosse Gebäude, Friedrichstmsse 24—28, dient als Kranken- 
haus, Schwesternhaus und Mädchenheim („Marienhaus"). 

Im Hospiz stehen jetzt etwa 60 Zimmer mit 75 Betten zur 
Verfügung; viele Einzelzimmer für Privatpatienten. Aufuahme finden 
innerlich Kranke jeder Art (ausgenommen Geisteskranke und 
ansteckende Krankheiten), jeden Alters und Geschlechts, ohne Unter- 
schied der Konfession; der neuerrichtete Mittelbau ist vorzugsweise 
für Badegäste bestimmt und demgemäß mit den neuesten Einrichtungen 
für Balneotherapie versehen. Es bestehen drei Verpflegungsklassen 
zu 2.25, 5.—, 10.— M. 

Seit Eröffnung des Neubaues (September) betrug die durch- 
schnittliche Belegziffer 42,5. 

Den Pflegedienst versehen etwa 20 barmherzige Schwestern. 

6. Das St. Josephsspital. 

Dirigierende Ärzte: Dr Wehmer und Dr. Hackenbrnch. 

Das St. Josephsspital am Langenbeckplatz (Ende der Frankfurter 
Strasse), ausserhalb der Stadt in erhöhter Lage erbaut, ist von einem 



Krankenanstalten. 133 

grossen (ca. 4^2 Morgen) Garten mit Alleen und schattigen Baum- 
gruppen umgeben. Von allen Teilen des Hauses eröffnet sich ein 
herrlicher Fernblick auf die Stadt mit ihren Garten villen , auf die 
Höhenzüge des Taunus und in die Rheinebene. 

Das Haus ist nach den Plänen des verstorbenen ersten Chef- 
arztes Dr. Fr. Gramer erbaut und im Jahre 1892 bezogen. 

Eigentümerin ist das hiesige Filialinstitut der 'Armen Dienstmägde 
Christi, deren Mutterhaus sich in Dembach bei Montabaur befindet. 

Die Bauart des dreistöckigen eigentlichen Krankenhauses ist ein 
einreihiges Korridorsystem. Die Hauptfront liegt nach Südwesten. 
Die Grundform des Baues bildet ein Kreuz, da nach Süden ein Vor- 
bau an das Haus stösst, welches die Räume für den Verkehr des 
Publikums mit dem Hause enthält (Haupt-Treppenhaus, Sprech- und 
Wartezimmer, Röntgenkabinet , Pförtnerzimmer und eine grosse, 
prächtig ausgestattete Kapelle). 

Nach Norden ist ein tieferer Flügel angebaut, der die Wach- 
zimmer, Teeküchen, Speise-, Wäsche- und Personenaufzüge, Bade- 
zimmer, zwei (chirurg. und gynäkol.) Operationszimmer mit Vor- 
bereitungsräumen und Laboratorium enthält. 

In jeder Etage befinden sich ausserdem je zwei Loggien und 
ein grosser, gedeckter Balkon, die für den Aufenthalt von Rekon- 
valeszenten bestimmt sind. 

Das Souterrain birgt neben der Küche und den Wirtschafts- 
räumen eine Waschanlage mit Dampfbetrieb, eine eigene elektrische 
Zentrale (Gleichstrom) und die Zentralheizungs-Kesselräume (System 
Bechem u. Post). — Sprachrohre und Telephon ermöglichen eine 
bequeme Verbindung der einzelnen Stockwerke. 

Aufnahme finden im Josephsspital Kranke jeden Alters und 
Geschlechts ohne Unterschied der Konfession, sofern sie nicht an 
ansteckenden und Geisteskrankheiten leiden. Vornehmlich werden 
operative (chirurg. und gynäk.) Kranke daselbst behandelt und ver- 
pflegt. Etwa 90 Kranke können in den vorhandenen 38 Kranken- 
zimmern untergebracht werden. Dieselben sind hoch, luftig und 
geräumig angelegt, sowie mit eigener Ventilationsanlage versehen. 
Der Kubikinhalt der Zimmer pro Patient bewegt sich zwischen 22 
(Kinder) und 42 (L Kl.) cbm (Norm 35) nach Art, Klasse und Zahl 
der Kranken. 

In der L Klasse erhält jeder Kranke ein Zimmer für sich, in 
der H. teilen sich zwei Kranke in ein Zimmer, während in der 
in. Klasse 5 — 6 Kranke in je einem Saale untergebracht sind. 



134 Krankenanstalten. 

Die Verwaltung liegt in den Händen der jeweiligen Oberin, 
welcher ca. 30 Schwestern und das nötige männliche und weibliche 
Dienstpersonal zur Seite stehen. 

Die ärztliche Behandlung untersteht zwei dirigierenden Ärzten, 
den Herren Dr. Wehmer für die gynäkologische Abteilung (zugleich 
Chefarzt des Spitals) und Dr. Hackenbruch für die chirurgische 
Station. 

Ausserdem sind noch mehrere Hilfsärzte tätig, von denen zwei 
im Hause wohnen. 

Der Preis für die Verpflegung beträgt: 

in der I. Klasse . . . 8—10 M. 

„ , n. „ ... 4- 6 

, , HI. , ... 2- 2,50 „ 

Für Aufiiahme und Verpflegung von Mitgliedern der Kranken- 
kassen sind besondere Vereinbarungen getroffen. 

f. Die Augenheilanstalt zu Wiesbaden. 

Dirigierender Arzt: Geh. Sauitätsrat Prof. Dr. H. Pagenstecher. 

Die Augenheilanstalt wurde im Jahre 1854 vom Hofrat Dr. med. 
Alexander Pagen stech er gegründet. Nach dessen Tode im Jahre 
1879 übernahm sein Bruder, der jetzt dirigierende Arzt die ärztliche 
Leitung. 

Da das alte Gebäude den Anforderungen der modernen Hygiene 
nicht mehr entsprach, wurde in den Jahren 1903 — 1905 ein Neubau 
aufgeführt; die Pläne hierzu hatte der dirigierende Arzt entworfen. 
Die neue Anstalt steht in der Kapellenstrasse, frei in einem Villen- 
viertel in der Nähe des Waldes. Der Bau ist in Backsteinen auf- 
geführt und mit Vei-putz bekleidet, Fenster- und Türeinfassungen sind 
aus Sandsteinen, der Unterbau und das Fundament aus Bruchsteinen. 

Die bebaute Fläche beträgt 20 ar 85 qm. Der Garten ist 35 ar 
28 qm gross. 

Im üntergeschoss liegen die Räume der Poliklinik, das Ver- 
waltungs- und Direktorzimmer, der Speisesaal und die Küchenräume. 

Im Erdgeschoss ist die Männerabteilung (6 Zimmer, 30 Betten), 
sowie die Wohnung des I. Assistenten. 

Im ersten Obergeschoss sind die Frauen und Kinder (7 Räume 
und 45 Betten) untergebracht. 

Im zweiten Obergeschoss liegen 1 1 Zimmer für Kranke I. Klasse 
und die Wohnung des II. Assistenten. 



Krankenanstalten. 135 

Die Krankenzimmer liegen fast sämtlich nach Südwest. Auf 
jedes Bett kommt mehr als 1,5 qm Fensterfläche und 35 cbm 
Luftraum. Die Bodenfläche pro Bett tibersteigt 7,5 qm. 

Die Anstalt hat 2 Treppenhäuser, die Gänge sind 3,5 m breit 
und durchziehen das ganze Haus. In der Mitte erbreitern sich 
dieselben auf allen Stockwerken zu einem 5 m breiten und 11,5 m 
langen Raum, der durch 3 grosse Fenster erhellt wird und in dem 
sich die Kranken tagstiber aufhalten. Die Böden in den Kranken- 
zimmern sind mit Linoleum belegt. Speisezimmer, Wartezimmer, 
Gänge, Klosetts und Tagesräume haben Terrazzoboden. Die Kranken- 
zimmer haben Doppelfenster, die unteren Scheiben sind nur mit einem 
Schlüssel zu öffnen, die Oberlichter sind auch hinter den Vorhängen 
leicht aufzuklappen und ist so stets für Erneuerung der Luft gesorgt. 
Als Beleuchtung ist überall Gas und elektrisches Licht vorgesehen, 
in den Tagesräumen, den Esszimmem und der Küche wird Gas ge- 
brannt; die Krankensäle werden durch elektrische Lampen erhellt. 
Diese besonderen Modelle sind nach den Angaben von Dr. Adolf 
Pagenstecher eigens konstruiert. In einem nach oben offenen 
Porzellantrichter, der innen weiss und aussen grün ist, hängt die 
elektrische Birne. Das Licht wird so an die Decke geworfen und 
von dort reflektiert. Auf diese Weise fällt nie direktes Licht ins Auge. 

In allen Stockwerken findet sich Warm- und Kaltwasserleitung 
und genügend Bäder. Im Baderaum sind 5 Waschbecken mit 
fliessendem Wasser für die Patienten IL Klasse. 

Die Niederdruckdampfheizung wird durch 2 Kessel besorgt, von 
denen in der Übergangszeit nur einer brennt. Die Heisswasserleitung 
wird von einem besonderen kleinen Kessel aus betrieben. Das Spül- 
wasser für die Küche wird vom Herd aus erhitzt. Je ein Personen-, 
Wäsche- und Speiseaufzug, sämtlich elektrisch betrieben, gehen durch 
das ganze Haus. Ein grosser Garten ermöglicht den Aufenthalt 
im Freien. 

Ausser dem dirigierenden Arzt sind an der Anstalt 4 Arzte tätig; 
5 Schwestern, 1 Wärterin und 1 Wärter besorgen die Krankenpflege. 

Im Jahre 1907 wurden 3290 Kranke ambulant und 901 stationär 
behandelt (durchschnittlich 70 stationär). 

Jeder Augenkranke ohne Rücksicht auf Konfession, Nationalität 
und Zahlungsfähigkeit wird aufgenommen, sobald der dirigierende 
Arzt oder dessen Stellvertreter es für nötig hält. 

Der Tagessatz beträgt für die IL Klasse 2 M., für Kinder unter 
12 Jahren 1,10 M., ausschliesslich Arznei und Verbandmittel. 



\?A Kjankenanatalten. 

Die aritliche Behandlung^ Operation und Pflege ist in der 
IL Kütsse unentgeltlich. Ist ein Kranker zahlungsunfähig, so erhält 
er eine Freistelle. In der L Klasse betragt der Tagessatz je nach 
Lage des Zimmers und Anzahl der Betten 5 — S M. Arztliche Be- 
handlung Lst hier l>esonders zu honorieren. 

g. RöDigliehe Wilbelmsheilanstalt zu Wiesbaden. 

Chefarzt: Oberstabsarzt Dr. PapenhaiiseiL 
Die Aastalt wurde durch Seine Majestät König Wilhelm L 
für seine in den Feldzügen 1864 und 1866 verwundeten und erkrankten 
Krieger ias Leben gerufen. Die Grundsteinlegung erfolgte in Aller- 
höchstseinem Beisein am 14. August 1868. Während des Krieges 
1870 71 vorübergehend als Reservelazarett benutzt, erfolgte die Er- 
öffnung am 1. Mai 1871. Später wurde die Anstalt zu einon Müitär- 
kurhaus erweitert, dessen Unterhaltung aus dem Reichsmilitärfonds 
erfolgt. 

Die ärztliche Leitung sowie die Gesamtverwaltung der Wilhelms- 
Heilanstalt liegen dem Chefarzt ob. Zur militärischen Leitung, ins- 
besondere zur Handhabung der Disziplin und Regelung der persön- 
lichen Angelegenheiten der Kurgäste ist ihm ein inaktiver Stabsoffizier 
beigeordnet. An sonstigem Personal ist vorhanden: 

1. 1 Stabsarzt, 

2. 2 Ober- oder Assistenzärzte, 

S, 1 Lazarett -Verwaltungs- Inspektor, 

4. 1 Unterinspektor, 

5. 1 Aufsichtsunteroffizier (Halbinvalide), 

6. 7 Sanitätsunteroffiziere, 

7. 10 Zimmerburschen, 

8. 10 Militärkrankenwärter, 

9. 1 Geschäftszimmerordonnanz, 

10. 1 Pförtner, 

11. 1 Maschinist, 

12. 1 Bademeister. 

Die Verpflegung der Offiziere, Mannschaften, sowie des Personals 
der Anstalt ist einem in der Anstalt wohnenden Wirtschafter über- 
tragen. In der Anstalt sind Wohnräume für 31 Offiziere und 97 
Mannschaften. Ausserdem kann der Chefarzt aktiven und inaktiven 
Offizieren usw. die Benutzung der Kurmittel der Anstalt gegen 
Bezahlung (50 Pfg. pro Tag) genehmigen, sofern es ohne Beein- 
trächtigung der sonstigen Militärkurgäste zulässig erscheint. 



Krankenanstalten. 137 

Die Gesamtzahl der vom 1. April 1907 bis 31. März 1908 in der 
Anstalt behandelten Offiziere betrug 1030, die der Mannschaften 568. 
Heilmittel: 

1. Thermalbäder: 21 Badezellen. Einrichtung zur Verabreichung 
von Thermalduschen. Die Anstalt verfügt über drei Quellen, 
welche durchschnittlich 100 — 115 Liter in der Minute liefern. 
Eine vierte, beim Bau der Anstalt erschlossene Quelle eignet 
sich besonders zur Trinkkur. 

2. Abteilung für Kaltwasserbehandlung : 2 Bassins für Vollbäder,, 
ferner Wannen für Halb- und Sitzbäder, Regen-, Strahl-, 
Fächer-, Staub-, Ring-, Sitzsprudelduschen usw. Druck und 
Temperatur des Duschewassers kann von einer Zentralstelle 
aus genau bemessen werden. 

3. Römisch-irische und russische Bäder mit ausgedehnten Dusche- 
vorrichtungen und Ruhekojen. 

4. Abteilung für Fango-Behandlung. 

5. Elektrisches Lichtbad. 

6. Taller man n-Apparat für therapeutische Verwendung hoher 
Lufttemperaturen. Die Heizung geschieht mittels hoch- 
gespannten elektrischen Stromes (115 Volt) und zwar auf 
120— 145^0. 

7. Inhalatorium: Zur Einatmung zerstäubten Thermalwassers 
sind an einem Inhalationstisch verschiedene Apparate vor- 
handen für Mund und Nase. Die Zerstäubung geschieht 
durch komprimierte Luft aus dem Windkessel des Maschinen- 
hauses. 

8. Manuelle Massage in zwei Massagezimmern von gründlich 
geschulten Sanitätsfeldwebeln unter ärztlicher Aufsicht. 
Turngeräte (Leiter, Ringe) im Massagezimmer. Ausserdem 
Nerven-Massage nach Cornelius durch Arzt. 

9. Für die elektrische Behandlung stehen drei Induktionsapparate 
und ein Apparat für Galvanisation, Faradisation und Elektro- 
lyse für Kaustik und Körperhöhlenbeleuchtung zur Verfügung. 
Ferner Vibrations-Massage. 

10. Röntgenzimmer. 

11. Laboratorium für Urin-, Sputum- und Blut-Untersuchungen. 

12. Kaiser Wilhelms -Saal für medico- mechanische Behandlung. 
Reichhaltige Apparate meist nach dem System Zander und 
Kruckenberg. Der Antrieb der Apparate für passive Be- 
wegungen erfolgt durch einen Elektromotor. 



138 Krankenanstalten. 

h. Polikliniken. 

Ausser den stark besuchten Polikliniken der hiesigen grösseren 
Anstalten, städtisches Krankenhaus (über 7000 Patienten), Josephs- 
hospital, Paulinenstift, Augenheilanstalt (siehe oben) besteht eine 
allgemeine Poliklinik, Helenenstrasse 19, in welcher 10 Spezial- 
ärzte unentgeltliche Beratung und Behandlung unbemittelter Kranke 
gewähren, nach Möglichkeit auch Arznei und Verbandmittel. M. 1000 
städtischer Zuschuss und freiwillige Beiträge. Jahresfrequenz 1907: 
3921 Kranke. Jahresausgabe ca. M. 2800. 

Die Elisabethenanstalt, Luisenstrasse 39, Stiftung des 
früher Herzoglich Nassauischen, jetzt Grossherzoglich Luxemburgischen 
Fürstenhauses; unentgeltliche Beratung, Behandlung und Arznei- 
lieferung an Kinder der Minderbemittelten aus Wiesbaden und Um- 
gegend. 2 Arzte (dirigierender Arzt: Hofrat Dr. Koch). Jährliche 
Frequenz etwa 4000. Stationäre Behandlung erforderlichen Falles 
im Paulinenstift. 

Die „Fürsorgestelle für Lungenkranke", 1904 ein- 
gerichtet und unterhalten durch den Heilstättenverein und Verein 
für Bekämpfung der Schwindsuchtsgefahr (städtischer Zuschuss 
M. 1000), Dotzheimerstrasse 9; keine eigentliche Behandlung, nur 
Beratung, Unterstützung durch Nahrungsmittel, geeignete Pflege, 
Desinfektion , Vermittlung der Heilstätten - Behandlung , Sputum- 
untersuchung etc. (dirigierender Arzt: Dr. Mäckler), Kontrolle und 
Hausbesuche durch Pflegeschwester. 1907: 163 Kranke, 31105 Liter 
Milch, 485 Hausbesuche. 

i. Die Nassauisehe Heilstätte für Lungenkranke bei Naurod. 

Durch den Nassauischen Heilstätten -Verein zu Wiesbaden 1905 
gegründete Anstalt auf 5 ha grossem Waldgelände, nordöstlich von 
Wiesbaden, 280 m Höhenlage, 2 Wegstunden entfernt, Bahnverbindung. 
54 m langes, dreistöckiges Hauptgebäude, 50 nach Süden liegende 
Zimmer, Isolierräume, Laboratorium, Desinfektionsanstalt etc., mit 
reichlichen Nebengebäuden, eigenem alleinstehenden Arzthaus, zur 
Behandlung chronischer Lungenkrankheiten, Tuberkulose im Anfangs- 
stadium, nach den bekannten Grundsätzen für Heilstättenbehandlung. 
3 Ärzte (dirigierender Arzt: Dr. Stöhr). Aufnahme von Patienten 
des Mittelstandes beiderlei Geschlechtes. Tagespreis 4 — 7,50 M., 
Getränke, Medizin etc. extra. 



Krankenanstalten. 139 

k. Die Lungenheilstätte zu Ruppertshain 
bei Eppstein im Taunus. 

Durch Wohltätigkeitsverein gegründete Anstalt für unbemittelte 
Lungenkranke beiderlei Geschlechtes, vorzugsweise Krankenkassen- 
mitglieder aus dem Regierungsbezirk Wiesbaden (Frankfurt und Wies- 
baden) für ca. 140 Kranke (90 männliche, 50 weibliche) bestimmt; 
Tagessatz M. 3—3,75. 

1. Das „Theodorhaus'^ zu Eppenhain 
bei Eppstein im Taunus. 

Private Stiftung (Frau v. Knoop) zur Aufnahme von blutarmen, 
erholungsbedürftigen Arbeiterinnen, Näherinnen aus Wiesbaden für 
«inen vierwöchentlichen Aufenthalt während 5 Sommermonate — an- 
steckende, tuberkulöse und besonderer Pflege bedürftige sind aus- 
geschlossen. Leitung und Aufsicht durch verheirateten Lehrer. Auf- 
enthalt völlig unentgeltlich. Ländliches Gebäude und 75 ar Gelände 
für jeweils 15 Zöglinge, in mittlerer, 420 m Höhenlage, erfrischende 
•Gebirgsluft. 

m. Die Walderholungsstätte 
des Vaterländischen Frauenvereins zu Wiesbaden. 

Unter Leitung durch die Zentralkommission der Wiesbadener 
Krankenkassen. 1 Stunde westlich von Wiesbaden im Walde gelegene 
Anstalt (Station Chausseehaus), zum Tagesaufenthalt wähi-end der 
Sommermonate, für erholungsbedürftige, leichtkranke, männliche 
Patienten, vorzugsweise Kassenmitglieder. 

Unterhalten durch Vaterländischen Frauenverein, Landes -Ver- 
sicherungsanstalt, Stadt Wiesbaden (jährlich M. 1000), Private und 
Kassenbeiträge. Arztliche Aufsicht. Wirtschaftliche Führung und 
Pflege durch Schwester vom Roten Kreuz. Frequenz 1907: 185 Kranke 
mit 4363 Verpflegungstagen ; durchschnittliche Aufenthaltsdauer 
21 Tage. Jahresrechnung mit rund M. 9000 Ausgabe. 



140 Fürsorge für Gebärende. 



IL Fürsorge für Gebärende. 



Arme, unterstandslose, ausserehelich niederkommende Personen 
finden jederzeit im städtischen Krankenhaus Unterkunft; Geburts- 
station mit 209 Entbindungen 1906/07. Soweit solche Personen noch 
reisefähig sind, eventuell schon vom sechsten Schwangerschaftsmonat 
an, können sie kostenlos auch in der Universitätsklinik in Marburg 
Aufnahme finden. 

Auch in dem neu gegründeten, durch barmherzige Schwestern 
geleiteten Johannisstift, Platter Strasse 60, können solche 
Schwangere Aufnahme, Beschäftigung und Pfiege bis zum Termin 
ihrer Niederkunft finden. 

Das Wo chn e rinnen asyl, Schöne Aussicht 18, eigenes modern 
gebautes Haus, Stiftung eines privaten Vereins, aus freiwilligen Bei-^ 
trägen und seitens der Stadt gewährten zinslosen Darlehen von 
M. 30000, sowie einem städtischen Zuschuss von M. 600 unterhalten 
und eingerichtet, bietet verheirateten unbescholtenen Frauen Gelegen-^ 
heit, bei ungünstigen häuslichen Verhältnissen ihre Niederkunft unter 
geschulter Pfiege und ärztlichem Beistande abzuwarten. Arme und 
Bedürftige völlig kostenlos. Minderbemittelte gegen mäßiges Entgelt. 
Entlassung erfolgt durchschnittlich am 10. Tag nach der Entbindung. 

Das Asyl, das den modern hygienischen Anforderungen ent- 
spricht, enthält Entbindungs-, Operationszimmer, Sterilisationsraumy 
Baderaum und 5 Wöchnerinnenzimmer mit 13 Betten ; dasselbe wird von 
Schwestern vom Roten Kreuz geleitet (dirigierender Arzt: Dr. Fuchs). 

Wanderkörbe. Für die Geburts- und Wochenbettshygiene 
von grossem Werte ist die hier bestehende Einrichtung von „Wander- 
körben", d. h. Behälter mit allen zur Entbindung notwendigen 
Gegenständen ; sie enthalten 1 Eimer, 1 Bettpfanne, 2 Waschschüsseln, 
1 Betttuch, 1 Gummiunterlage, 2 Holzwollkissen, 1 Frauenhemd^ 
3 Handtücher, Seife, Bürste, aseptische Gaze und Watte etc. Sie 
stehen jederzeit auf der Sanitätswache der Feuerwehr und im 
städtischen Krankenhaus zur leihweisen Verfügung. Arme unentgelt- 
lich. Minderbemittelte gegen Ersatz des Verbrauches. Armenverwaltung 
sorgt für Reinigung, Desinfektion und Ersatz des Verbrauchten. 



Die Gesundheitskommission. 141 

Hebammen praktizieren in Wiesbaden etwa 39 unter Kontrolle und 
Prüfung durch den Königlichen Kreisarzt, bisher alle 3 Jahre, voraus- 
sichtlich in Zukunft jedes Jahr. Dieselben haben im Jahre 1907 bei 
2279 Geburten Hilfe geleistet; bei 302 Geburten war ärztliche Hilfe 
•erforderlich ; es erkrankten 20 Wöchnerinnen, darunter 9 an Puerperal- 
fieber; es starben in der Geburt 1 Gebärende und im Wochenbett 6 
(darunter 2 an Puerperalfieber). 



III. Die Gesundheitskommission. 



Die städtische Gesundheitskommission (Reichsgesetz vom 
16. September 1899) besteht aus 2 Magistratsmitgliedern, darunter 
der Stadtbaurat, 4 Stadtverordneten (2 Arzte, 1 Chemiker und 
1 Bausachverständiger), dem städtischen Schulinspektor und dem 
Königlichen Kreisarzt und Kreis- Assistenzarzt ; letztere Beide mit 
beratender Stimme. 

Im Jahre 1906/07 kamen in den Sitzungen derselben zur Be- 
sprechung : Die Handhabung der Wohnungsaufsicht, Erweiterung der 
Schularzt-Einrichtung, Abänderung der Dienstanweisung der Schul- 
ärzte, Einführung der Schulzahnpflege, Beschaffung von Jugend- 
spielplätzen, das Schulneubauprojekt im Distrikt Kleinfeldchen, Ver- 
besserung der sanitären Verhältnisse an den Gemarkungsgrenzen, 
Abänderung der Pohzeiverordnung über die Verbringung der Leicheti 
in die Leichenhalle u. a. m. 



142 Heil- und Pflegepersonal und Arzneiversorgung. 



IV. Heil- und Pflegepersonal und Arzneiversorgung^ 



a. HeilpersonaL 

Die Zahl der zur Praxis angemeldeten in Deutschland appro- 
bierten Arzte betrug 1907 265, die Zahl der Zahnärzte 25, der 
approbierten Heilgehilfen 25, Heilgehilfinnen 5, der Tierärzte 9. 

Im Ausland approbierte Arzte und Arztinnen 2, Zahnärzte 2» 

Der Medizinal-Abteilung der Königlichen Regierung steht vor 
Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. A. Pfeiffer; Kreisarzt ist 
Geh. Medizinalrat Dr. Gleitsmann, Kreisassistenzarzt: Professor 
Dr. Frank. 

Sanitätspolizeiliche Untersuchungen wurden durch die letzteren 
vorgenommen: wegen unerlaubter Ausübung des Heilberufes 21^ 
wegen unerlaubten Verkaufes von Heilmitteln, Giften etc. 59. Begut- 
achtungen öfiFentlicher Gebäude, Plätze etc. 81, von Apotheken 15^ 
von Nahrungsmitteln 57, von Infektionskranken 58, von Kranken- 
häusern, Entbindungsanstalten etc. 36, von Schulen 3, von gewerb- 
lichen Anlagen, Badehäusem etc. 49. 

b. Pflegepersonal. 

Geprüfte Kranken-Pflegerinnen und -Pfleger für 
Privatpflege stellen in Wiesbaden vor allem die festen kirchlichen 
Organisationen: das Diakonissen-Mutterhaus Paulinenstiftung, das 
Diakonissenheim, Emser Strasse 29, das Diakonenheim des Vater- 
ländischen Frauenvereins, Philippsbergstrasse 8, das Krankenhaus 
der Barmherzigen Brüder, Schulberg 7 und das Institut der Barmherzigen 
Schwestern, Friedrichstrasse 24. 

Der Wiesbadener Verein vom Roten Kreuz, Schöne Aussicht 21^ 
stellt eine grosse Anzahl ausgebildeter Pflegeschwestem für die 
Privatpflege. 

Auch durch die Geschäftsstelle des „Arbeitsnachweises für Frauen *" 
im Rathause können Pflegerinnen nachgewiesen werden. 

Die zahlreichen nicht inkorporierten Pflegerinnen und Pfleger 
werden durch das von den ärztlichen Organisationen eingerichtete 
„Ärztliche Bureau", Dotzheimer Strasse 4, den Patienten jederzeit 
nachgewiesen. Eintragung der Pflegepersonen unentgeltlich, aber 



Sanitäts wache. 143 

nur auf Empfehlung durch 2 Arzte; von den Patienten sind 2 M.. 
Vermittlungsgebühr zu entrichten. Zahl der zur Verfügung stehenden 
Pflegerinnen durchschnittlich 50, der Pfleger 20. 

Es bestehen in Wiesbaden z. Zt. 3 Vereine von z. T. staatlich, 
geprüften Masseuren und Masseusen mit etwa 34 männhchen 
und 24 weiblichen Mitgliedern; ein Teil ist auch in B[rankenpflege 
ausgebildet. Vermittlung wenn nicht direkt, so durch das ärztliche 
Bureau. Preise für Hilfeleistungen in Tarifen festgelegt. 

An nicht approbierten Zahntechnikern sind etwa 30 gemeldete 
Nicht approbierte Personen haben sich zur Ausübung der Heil- 
kunde angemeldet 25. 

e. Arzneiversorgung. 

Es bestehen in Wiesbaden z. Zt. 12 konzessionierte Apotheken.. 

Die Drogenhandlungen, welche Geheimmittel und Gifte führen^ 
werden jährlich durch den Kreisarzt revidiert. Von 41 untersuchten 
Handlungen gelangten 2 wegen Übertretungen der bestehenden Vor- 
schriften zur Bestrafung. 



V. Sanitäts wache. 

Von Branddirektor Stahl. 



Allgemeines. 

Die Sanitäts wache wurde am 13. November 1903 durch Stadt- 
verordnetenbeschluss gegründet. Zu diesem Zweck wurden in die 
Feuerwehr noch 3 Mann und eine zweirädrige Bahre eingestellt. 
Schon nach kurzer Zeit erwies sich dieses Transportmittel als unzu- 
reichend, weshalb ein grosser, zweispänniger Unfallwagen mit zwei 
übereinanderliegenden Bahren beschafft und die erforderliche Be- 
spannung bereit gestellt wurde. 

Immer mehr Meldungen von Unfällen und das mangelhafte 
Transportsystem für Erkrankte führten schliesslich zu dem Beschluss,. 
das gesamte Krankentransportwesen der Berufsfeuerwehr zu über- 
tragen, nachdem die Sanitätswache rasch in den Kreisen der Bürger- 
schaft beliebt geworden war. 



144 Sanitätswache. 

Am 1. Mai 1906 wurde dann auch der ganze Betrieb von der 
Feuerwehr übernommen, und zu diesem Zweck wurden weitere 2 Mann 
und 2 Krankenwagen sowie das zweite Paar Pferde bewilligt. 

Die Mannschaften der Sanitätswache sind Feuerwehrleute und 
wie alle übrigen durch ärztliche Unterweisung im Samariterdienst 
ausgebildet worden. Ein Teil der Feuerwehrleute ist ausserdem im 
istädt. Krankenhause zu praktischen Hilfeleistungen verwendet worden. 

Infolge der sich stetig mehrenden Inanspruchnahme wurde 1907 
ein vierter Krankenwagen beschafft, so dass zur Zeit ein solcher 
speziell zum Transport Verunglückter, einer für Infektionskranke 
und zwei für andere Kranke vorhanden sind. (Tafel 42.) 

Sauerstoff koff'er sind vorhanden. 

Die Wagen werden je nach Bedarf täglich 1 — 2 mal mittelst 
Formalinapparat desinfiziert. Die Mannschaften haben einen besonderen 
Wacht- und Ankleideraum mit den erforderlichen Kleidungsstücken, 
Waschgelegenheit, Bad etc. 

Bei starkem Betriebe werden je nach Bedarf Reservepferde 
eingestellt ; auch Mannschaften des Reservezuges abgegeben und diese 
wieder mit dienstfreien durch Weckeranruf ersetzt. 

Hilfeleistungen. 

Es fanden statt: 

1906: 372 Unfalltransporte, 

509 gewöhnliche Transpoi-te, 

50 von Infektioftskranken. 
Verbände wurden 28 angelegt. 
1907: 396 Unfalltransporte, 

827 gewöhnliche Transporte, 
120 von Infektionskranken. 
Verbände wurden 64 angelegt. 

Kosten. 

5 Mann, ä 1200 M. jährlich 6000 M. 

4 Pferde und 2 Fahrer 5600 „ 

Bekleidung 250 „ 

Verbandszeug etc 250 „ 

Unterhalt der Wagen 500 „ 

Sa. . . 12600 M. 



Tafel 42. 




C/3 






TD 

c 
a> 

O 
CL 
C/) 

n 

c3 



Fürsorge für Irre, Idioten, Epileptische, Taubstumme und Blinde. 145 

Tarif. 
Je eine Stunde Transport I. Klasse . . . 10, — M. 

» » » n ■'"'■• » ... Dj jf 

TTT 9 

Transport eines Verunglückten .... 6,50 „ 
Die Kosten werden aber auch in vielen Fällen niedergeschlagen. 



VI. Fürsorge für Irre, Idioten, Epileptische, 
Taubstumme und Blinde. 



Wiesbaden besitzt keine eigenen Anstalten zur Unterbringung 
der genannten Hilfsbedürftigen und ist genötigt, die staatlichen bezw. 
unter Aufsicht und Leitung des Bezirksverbandes und der Provinzial- 
regierung stehenden Anstalten, sowie private und Stiftungsanstalten 
in Anspruch zu nehmen. 

Es kommen hierbei in Betracht die Irrenanstalten Eichberg im 
Rheingau, Weilmünster im Taunus; die Idiotenanstalt in Idstein, 
Scheuern und Montabaur; für Epileptiker Valentinshaus in Kiedrich 
und Bethel; für Krüppel die Anstalt Hephata in Treysa; für Taub- 
stumme die Anstalt in Camberg. 

In Wiesbaden befindet sich nur eine Blindenanstalt, Vereins- 
anstalt mit Unterstützung des Bezirksverbandes. Auf ca. 87 ar grossem 
Gelände an der Walkmühlstrasse; sie beherbergt im ganzen zur Zeit 
65 Zöglinge ; hiervon sind 49 zur Schule und Ausbildung eingewiesen. 
16 erwachsene weifcliche Blinde im sogenannten Blindenheim zu 
dauernder Unterkunft und Beschäftigung. 

Die Anstalt wird, dem steigenden Bedürfnisse entsprechend, 
durch einen grossen im Bau begriffenen Neubau vergrössert, nach 
dessen Fertigstellung 90 — 100 Pfleglinge Unterkunft finden können. 

An Pflegekosten werden erhoben für Kinder 200 — 300 M. ; für 
Erwachsene 200 — 400 M. Für Nichtangehörige des diesseitigen Bezirks- 
verbandes erhöhen sich diese Sätze auf 400 — 500 M. 



10 



146 



Fürsorge für Arme und Arbeitsinvalide. 



1810, 

1249, 

62, 

121, 

53, 

159, 

64, 

132, 

77. 

Anstalten 327, 



3. Fürsorge für Arme und Arbeitsinvalide. 

Der Fürsorge der städtischen Armenverwaltung fielen 
anheim 1906/07 an unterstützten Familien und einzelstehenden 
erwachsenen Personen 3727, an Kindern (ausser Waisen) 490. 
Von den ersteren waren untergebracht 
in offener Armenpflege 
im städt. Krankenhause 
in der Augenheilanstalt 
in Irrenanstalten . . 
im Versorgungshaus . 
im Armen- Arbeitshaus 
in Familienpflege . . 
in andern Gemeinden 
in verschiedenen Anstalten 
Von den 490 Kindern befanden sich m Anstalten öZi, m 
Privatpflege 107 und auswärts 56. 

Von den insgesamt 4217 unterstützten Personen wurden vorüber- 
gehend unterstützt 3050, dauernd 1167. 

Die Gesamtaufwendungen der Armenverwaltung hierfür, ein- 
schliesslich Verwaltungskosten, betrugen 364928 M. 

Die private Wohltätigkeit und Armenpflege wird durch eine 
grosse Zahl von Werktätigen Vereinen geübt : dem Armenverein, dem 
Wiesbadener und Vaterländischen Frauenverein, dem Elisabethenverein, 
dem altkatholischen Frauenverein, Verein vom heiligen Vinzenz, dem 
kirchlichen evangelischen Hilfsverein, israelitischen Unterstützungs- 
verein, Kaufinännischen Verein usw. 

Der Fürsorge für Arbeitsinvalide, Sieche dient das Ver- 
sorgungshaus für alte Leute, Schiersteiner Strasse, eine Privat- 
stiftung (Zimmermann), in welcher über 50 Jahre alte Personen 
beiderlei Geschlechtes, sofern sie noch so rüstig sind, dass sie keiner 
besonderen Pflege und fremder Hilfe bedürfen, Unterkunft finden. 

Es bietet Raum für etwa 80 Pfründner in 18 Zimmer zu 4 und 
2 Betten, gegen einen jährlichen Pflegesatz von 140 M. Die Anstalt 
ist finanziell gut fundiert; ärztliche Aufsicht. Fast ^/,q der Insassen 
werden durch die städt. Armen Verwaltung eingewiesen. 



Fürsorge für Arme und Arbeitsinvalide. 147 

Das Damenheim Kreidelstift, Walkmühlstrasse, ebenfalls 
private Stiftung (Kreidel) ist bestimmt, wenig bemittelten alten 
einzelstehenden Damen der besseren Stände ein dauerndes Heim zu 
bieten ; Pflegesatz 60 — 90 M. monatlich. Etwa 30 Einzelzimmer. 

Auch im Paulinenstift, Hospiz zum heiligen Geist und katholischen 
Brüderhaus finden Altersschwache und Sieche lebenslängliche Pflege. 

Das städtische Armen-Arbeitshaus, Mainzer Landstrasse, 
städt. Anstalt auf Stiftungen und Zuschüssen fundiert; 85,61 ar grosses 
Gelände mit Schlafsälen, Arbeitsräumen, Wirtschaftsräumen etc., 
Krankenzimmer, Baderäume, Desinfektionsraum etc., zur Aufnahme 
von ca. 120 Personen beiderlei Geschlechts eingerichtet. 

Es dient zur Aufnahme von Altersschwachen, keiner besonderen 
Pflege bedürftigen Siechen und zeitweiser Unterbringung von Arbeits- 
und Wohnungslosen. Beschäftigung in Haus- und Gartenarbeit und 
angegliedertem landwirtschaftlichem Betrieb. Arztliche Aufsicht. Bei 
ca. 0,75 M. täglichen Pflegekosten Jahresausgabe von 25670 M. 

Für die ärztliche Versorgung erkrankter Armen ist die 
Stadt in 12 Armenbezirke eingeteilt, für welche 5 Armenärzte, 
Stadtärzte, nebenamtlich, ohne Pensionsberechtigung, angestellt sind. 
900 M. Anfangsgehalt, alle 2 Jahre steigend bis 1350 M. ; ausserdem 
ca. 200 M. für Wahrnehmung der Leichenschau verstorbener Armer. 
1906/07 wurden behandelt 4235 Krankheitsfälle mit 6399 Besuchen 
und 6220 Konsultationen. 

Die Suppenanstalt des Wiesbadener Frauenvereins 
gewährt während der Wintermonate Armen und Bedürftigen gegen 
ein geringes Entgelt von 0,30 M. ein einfaches nahrhaftes Mittagessen» 
sowie Kafl'ee und Milch. 

In vier Volks-Kaffeehallen des Vereins vom blauen Kreuz und 
des Vereins gegen Missbrauch geistiger Getränke, werden durch- 
schnittlich an 500 Personen gegen billigen Preis alkoholfreie Getränke 
und Nahrungsmittel verabreicht. Jahresaufwendung ca. 1000 M. 



10* 



148 Fürsorge für Gefangene. 



4. Fürsorge für Gefangene. 

In dem neuen grossen Gebäude der Königl. Polizei -Direktion, 
Friedrichstrasse, sind zur vorübergehenden Unterbringung der PoHzei- 
gefangenen Zellen eingerichtet für 58 Männer und 23 Frauen. 

Männer: Frauen: 

Bestand am 1. Januar 1907 . 15 3 

Zugang im Laufe des Jahres . 3090 342 

Abgang im Laufe des Jahres . 3081 342 

Bestand am 31. Dezember 1907 24 3 

Es erkrankten unter diesen 8 Männer und 4 Frauen. 

Das Justizgefängnis, Albrechtstrasse, ist eingerichtet für 210 
Männer und 41 Frauen. 

Männer : Frauen : 

Bestand am 1. Januar 1907 . 214 20 

Zugang im Laufe des Jahres . 2283 609 

Abgang im Laufe des Jahres . 2290 608 

Bestand am 31. Dezember 1907 207 21 

Hiervon wurden krank gemeldet 790 Männer und 263 Frauen. Die 
Mehrzahl derselben sind Krankmeldungen zu Täuschungsversuchen 
und leichtere Erkrankungen. Am 31. Dezember 1907 betrug der 
Krankenstand 27 Männer und 6 Frauen. Die tatsächlich Erkrankten 
finden erforderlichen Falles Aufnahme im städt. Krankenhaus. 



H. Verhütungs- und Desinfektionswesen. 



I. Die städtische Schlacht- und Viehhof- Anlage. 

Von Direktor Thon. 

Die städt. Schlacht- und Viehhofanlage wurde in den Jahren 
1882—1884 gebaut und am 16. April 1884 dem Betrieb übergeben. 
Das Gelände, auf welchem dieselbe errichtet, umfasst eine Grösse 
von 2,8 ha. Die Schlachthof anläge bestand ursprünglich aus einem 
Verwaltungsgebäude, in welchem sich die Bureaus, die Wohnungen 
der Beamten und die Restauration befinden, den drei Schlachthallen 
(für Grossvieh, Schweine und Kleinvieh), dem Maschinenhaus, der 
Kuttelei, dem Kühlhaus und einem Remisenbau. 

Die Viehhofanlage bestand aus einem Grossviehstall, einem 
Kleinviehstall, einer Zuchtviehmarkthalle, sowie einem Marktplatz. 
Auf einem abgesonderten Gelände befand sich die Sanitätsanstalt. 
Ein Bohrbrunnen von 236 m Tiefe versorgte die Anlage mit Nutz- 
wasser. Die Kosten der ursprünglichen Anlage betrugen ca. 740000 M. 

Im ersten Betriebsjahr wurden 6179 Stück Grossvieh, 17070 
Schweine und 20526 Stück Kleinvieh geschlachtet. Sämtliche mit 
der Bahn ankommende Tiere mussten an dem ehemaligen Ludwigs- 
bahnhof ausgeladen und zu Fuss oder per Wagen nach dem Schlachthof 
transportiert werden. Um diesem Übelstande zu steuern wurde im 
Jahre 1900 von dem Ludwigsbahnhof zum Schlachthof ein Anschluss- • 
gleis mit Ausladerampe gebaut. Im Jahre 1898 und den folgenden 
Jahren wurden verschiedene Neu- resp. Erweiterungsbauten in der 
Anlage vorgenommen. 

Das Kühl- und Maschinenhaus wurde teils neu- teils umgebaut. 
Das Ganze wird von einem Wasserturm gekrönt. In dem obersten 
Stockwerk des Turmes befinden sich vier Kaltwasserreservoires und 
ein Heisswasserreservoir von je 60 cbm Inhalt. Im zweiten Stock- 
werk befindet sich das Trichinenschauamt, im Mittelstock befinden 
sich die Baderäume, zwei Wannen- und vier Brausebäder, welche mit 
Kalt- und Warmwasser gespeist werden. Im unteren Geschoss sind 
die Eisschränke zur Aufbewahrung des in dem nebenanliegenden 



150 I^i® städtische Schlacht- und Viehhof -Anlage. 

Baume erzeugten Eises aufgestellt. Es können täglich bis 300 Zentner 
Eis in Blöcken von 50 Pfiind ausgestossen und abgegeben werden. 
Im Maschinenbaus wurden 2 ^Maschinen aufgestellt, eine liegende 
Tandemmaschine von 250 P. S. und eine Reservemaschine von 
50 F. S. Zwei Dynamos von je 126 Ampere laden die Akkumu- 
latoren und versorgen die ganze Anlage mit elektrischem Licht. 

Die Grossvieh-, Schweine- und Kleinvieh-Schlachthalle wurden 
durch Transportgeleise mit dem Vorkühlhaus verbunden, in der Gross- 
viehhalle wurden Patentwinden und Spreizen angebracht, sodass die 
ausgeschlachteten Tiere sofort nach dem Schlachten nach dem Vor- 
kühlhaus geschafft werden können, wodurch die Hallen bedeutend 
an Raum gewinnen. Die Kühlung des Kühlhauses erfolgt durch 
kalte Luft, welche in die an der Decke angebrachten Holzluftschächte 
aus den Luftkühlem mittelst Ventilatoren eingeführt wird. Ein 
neuer Brunnen von 100 m Tiefe wurde in der Nähe des Kesselhauses 
gebohrt. 

Im Jahre 1902 wurde der Schlachtzwang auch auf Pferde aus- 
gedehnt und die ursprünghche Sanitätsanstalt als Pferdeschlachthaus 
eingerichtet; ebenso wurde der Remisenbau in eine Verkaufshalle 
für eingebrachtes Fleisch umgebaut. Da die Stallungen den An- 
forderungen nicht mehr genügten, wurden die Kleinviehstallungen 
zu Grossviehställen umgebaut und eine neue Kleinviehmarkthalle, die 
zugleich als Stallung dient, erbaut. Dieselbe ist 56 m lang, 30 m 
breit und 13 m hoch. Mittelst einer Transportbahn werden die 
Schlachttiere nach den Schlachthallen geschafft. In der Halle 
befinden sich 32 Buchten für Schweine und 29 Buchten für Kälber 
und Hammel. Die Ausladerampe schloss sich der Halle dicht an, 
sodass das mit der Bahn ankommende Kleinvieh direkt in dieselbe 
eingetrieben werden konnte. 

Durch die Neuanlage des Bahnhofes wurde im Jahre 1905 der 
Bau einer neuen Viehrampe auf der westlichen Seite der Anlage 
erforderlich. Die Länge der Rampe beträgt 106 m, die Breite lim. 
Auf der Rampe befinden sich 1 1 mit Eisenrohren umwehrte Buchten, 
in welchen die Tiere bei ihrer Ankunft^durch die Tierärzte untersucht 
werden. 

Da die beiden Brunnen verschlammten und trotz Aufwendung 
beträchtlicher Mittel nur noch einen verschwindend kleinen Teil des 
Bedarfes an Nutzwasser lieferten, sodass jährlich für ca. 23000 M. 
Wasser aus der städt. Leitung entnommen werden musste, sah sich 
die Verwaltung vor die Notwendigkeit gestellt, einen neuen Brunnen 






vTrrTTTT mriTmWIT^^ 



■i.i.....i.i.i.i.i.ri; TT.r.i i...i.i..."t X TX]:..t i.:.i.i.i.i.i.i..... i..- h..u i. i.i.'...l.. i.wi ^ 




Qt'.'^fl Ml. I 



üp-1 


,^—1 






Tafel 43. 



[Tr]TWliiTi'i'i'Fnm^^ 




Die städtische Schlacht- und Viehhof -Anlage. 151 

anzulegen. Nach verschiedenen Bohrversuchen wurde in der Nähe 
des Pferdeschlachthauses mit dem Bau eines Schachtbrunnens begonnen. 
Der Brunnen hat eine Tiefe von 10,62 m und einen Durchmesser von 
2,50 m. Zur Förderung des reichlich vorhandenen Wassers dienen zwei 
Zentrifugalpumpen von ca. 20 cbm stündlicher Leistung. Der ganze 
Bedarf an Nutzwasser kann jetzt aus diesem Brunnen gedeckt werden. 
Da es sich herausgestellt hat, dass dieses Wasser wegen seines Kalk- 
gehaltes zur Kesselspeisung nicht geeignet ist, wird zur Zeit eine 
Wasserreinigung gebaut, deren Kosten sich auf ca. 10000 M. belaufen. 
Der östliche Teil des Kühlhauses wurde um ein Stockwerk 
erhöht und in diesem Raum die städt. Säuglingsmilchanstalt ein- 
gerichtet, welche im April 1907 in Betrieb genommen wurde. In 
derselben wurden im abgelaufenen Jahr 47200 Liter Vollmilch und 
ca. 24 Zentner Zucker verarbeitet. 

Durch die Zunahme der Schlachtungen — im letzten Betriebs- 
jahre 9260 Stück Grossvieh, 42821 Schweine und 29000 Stück Klein- 
vieh — genügen die Schlachthallen, hauptsächlich die Schweine- und 
Kleinviehschlachthallen nicht mehr den Anforderungen und schweben 
zur Zeit Verhandlungen betr. die Vergrösserung bezw. Neuanlage 
von weiteren Schlachthallen. 

Die Grösse (Grundfläche) der einzelnen in der Schlachthofanlage 
errichteten Gebäude (Tafel 43) ist aus der nachfolgenden Zusammen- 
stellung ersichtlich. 

Verwaltungsgebäude 515,60 qm, 

Fleischmarkt mit Portierwohnhaus . 493,00 „ 

Kühlhaus etc 1885,86 „ 

Schlachthallen 1569,57 „ 

Kuttelei etc 347,59 „ 

Stall für österr. Vieh und Häutelager 767,56 „ 

Grossviehstall 1176,10 , 

Stall und Sanitätsanstalt .... 412,92 „ 

Kleinviehmarkthalle 1913,35 „ 

Pferdeschlachthaus 152,52 ^ 

Portierhäuschen (3 Stück) ... 41,58 ^ 

Brunnenhäuschen 49,28 „ 

Zusammen . 9324,93 qm. 
Die Kosten der Gesamtanlage einschliesslich Grund und Boden 
belaufen sich zur Zeit auf ca. 3000000 M. 



152 Überwachung des Nahrungsmittelverkehrs. 



2. Überwachung des Nahrungsmittelverkehrs. 

Der eigentliche Marktverkehr (städt. Marktordnung vom 

1. Dezember 1901) für Gemüse, Obst usw. findet auf dem offenen 
ca. 2143 qm grossen Marktplatz neben dem Rathaus und einigen 
kleineren anderen Plätzen statt. 

Der grosse unter dem Marktplatz befindliche Marktkeller bietet 
den Händlern in sanitärer Hinsicht gute einwandfreie Lagerräume 
für aufzubewahrende, nicht verkaufte Waren, gegen einen bilHgen 
Preis. Dadurch wird dem Aufbewahren in einzelnen Häusern mit 
ungeeigneten Räumen entgegengewirkt. Auch wird für die übrigen 
Verkaufsplätze seitens der Akziseverwaltung nur solchen Händlern 
Erlaubnis erteilt, welche entweder den Marktkeller benutzen oder zu 
Hause einwandfreie Aufbewahrungsräume nachweisen. 

Zum Schutze des Publikums bestehen Polizei -Vorschriften vom 

2. Dezember 1902, welche den 'Gebrauch von bedrucktem oder be- 
schriebenem Papier zum Einwickeln der Waren, das Betasten derselben, 
das Mitbringen von Hunden an die Verkaufsstände etc. verbieten; 
auch bestehen über den Transport und das Auslegen von Fleischteilen 
besondere Bestimmungen, desgleichen für die Abgabe minderwertigen 
Fleisches auf der Freibank. 

Die Polizeiverordnung über den Verkehr mit Milch (vom 
November 1903) enthält Bestimmungen über: die Anzeigepflicht, die 
Bezeichnung und Beschaffenheit der Verkaufsware, über die Rein- 
haltung der Kühe und der Melkenden, über die Beschaffenheit der 
Aufljewahrungsräume, der Stand-, Transport- und Messgefässe, der 
Transportwagen etc. Sondervorschriften für Kindermilch, Gesundheits- 
milch u. dergl. (jährliche Tuberkulinimpfung der Kühe!). 

Über den Milchhandel und -verbrauch sind bestimmte Zahlen 
nicht zu ermitteln. Die grössere Menge Haushaltungsmilch wird aus 
dem angrenzenden Landbezirke eingeführt und auch für diese 
Bezugsquellen bestehen sanitätspolizeiliche Vorschriften. In Wies- 
baden selbst sind ausser vereinzelten landwirtschaftlichen Betrieben 
5 grössere „Milchkuranstalten" mit eigener Stallhaltung, vorzugsweise 
zur Lieferung von „Kur- und Kindermilch", letztere in verschiedenen 
Mischungen und Zubereitungen. 



Impfwesen. 155 

Die chemische Untersuchung der Nahrungsmittel^ 
laut Reichs-Nahrungsmittelgesetz vom Mai 1879, geschieht durch das^ 
Laboratorium Fresenius dahier. 

Milchproben werden durch Polizeiorgane im Sommer 5 mal 
wöchentlich, im Winter 4 mal dem Marktverkehr entnommen und zur 
Untersuchung gebracht. 

1907/08 wurden in dem genannten Laboratorium untersucht: 
Milchproben 160, davon beanstandet 8; 
an sonstigen Nahrungsmitteln : Butter, Fleischwaren, Gewürzen, Frucht- 
säften etc. 157 Proben; 

von 30 Butterproben wurden beanstandet 1 

„ 6 Margarineproben „ „ — 

„ 20 Schmalzproben „ „ — 

„ 28 Hackfleischproben „ „ 4 

„ 18 Wurstproben „ „ 2 

„ 8 Bierproben „ , — 

Auf privates Ersuchen erfolgten Untersuchungen von 12 Milch- 
und 267 Weinproben. Von den ersteren wurde 1 beanstandet. 



3. Impfwesen. 



Die Vornahme der öffentlichen Impfungen ist in Wiesbaden den 
fünf Stadtärzten (Armenärzten) übertragen. Als Impflokal dient 
z. Z. das Gebäude des früheren Hessischen Ludwigsbahnhofes; das- 
selbe genügt nur bescheidenen Ansprüchen in hygienischer Hinsicht. 

Bei rund 105000 Einwohnern waren im Jahre 1907 impfpflichtig 
für die Erstimpfung insgesamt 3530 Kinder, hiervon sind teils 
vorgeimpft, teils verzogen und verstorben 764 in Abzug zu bringen;, 
von den verbleibenden 2766 wurden 1249 öffentlich und 925 privatim 
geimpft; 592 wurden z. Z. befreit bezw. der Impfung entzogen. 

Wiederimpflinge waren nach Abzug der bereits vorgeimpften 
vorhanden 1762, hiervon wurden öffentlich geimpft 1322, privatim 
357 und von der Impfung befreit und entzogen 83. 

Die Lymphe wird aus der Kgl. L3miphanstalt in Cassel bezogen. 

Als Honorar erhalten die Impfärzte je M. 200. — und der älteste 
Arzt für Geschäftsführung etc. weitere M. 50. — . 



154 Überwachung der Prostitution. — Bestattungswesen und Friedhöfe. 



4. Überwachung der Prostitution. 

Die Zahl der eingeschriebenen Dirnen schwankt zwischen 40 
und 90. Jede derselben wird zweimal wöchentlich durch den Kreis- 
arzt in besonderen Räumen des Polizeigebäudes untersucht. 

Bei jeder dritten Untersuchung findet mikroskopische Unter- 
suchung statt. (Bei 2893 Gesamt -Untersuchungen 1110.) 

Es wurden 1907 krank befunden 27 (-=27,8 ^Iq der Untersuchten) 
und sofort dem Hospitale zugeführt. 

Seitens der Stadtärzte erfolgte die Anzeige von 38 Syphilis- 
und 42 Gonorrhoeerkrankungen. 



5. Bestattungswesen und Friedhöfe. 



Für die Friedhofsangelegenheiten der Stadt Wiesbaden besteht 
eine besondere Friedhofsdeputation, aus 2 Mitgliedern des Magistrats, 
2 Stadtverordneten und dem Vorsteher der Strassenbauabteilung. 
Das Personal der Friedhofsverwaltung besteht aus 2 Aufsehern 
(städtischen Beamten) und 12 Leichenbestattern und Totengräbern (im 
Tagelohn beschäftigt). 

Laut Polizeiverordnung vom 4. September 1903 darf die Leichen- 
schau nur von approbierten Ärzten ausgeübt werden. 

Laut Polizeiverordnung vom 27. Juni 1904 sind die Leichen 
sämtlicher in Wiesbaden verstorbener Personen spätestens innerhalb 
24 Stunden nach dem Tode mittels städtischen Leichenwagens in 
die Leichenhalle zu verbringen. Ein längeres Belassen der Leichen 
in Wohnhäusern ist nur dann gestattet, wenn von einem approbierten 
Arzte bescheinigt wird, dass gesundheitliche Bedenken nicht im Wege 
stehen. Bei Todesfällen von anzeigepflichtigen Infektionskrankheiten 
ist keinerlei Ausnahme gestattet. 

Gebühr für die Einstellung von Leichen wird bei hiesigen Ein- 
wohnern nicht erhoben, für Leichen von Ortsfremden sind 25 Pfg. 
pro Stunde zu entrichten. 



Bestattungswesen und Friedhöfe. 



155 



Der Leichentransport erfolgt mittels Leichenwagens (besonderer 
Kinderleichenwagen). Es wurden verbracht Erwachsene 934 (46 nach 
auswärts und 37 von auswärts), Kinder 176. 

Von dem Rechte des Tragens der Leichen von Kindern (unter 
2 Jahre alt) wurde in 405 Fällen Gebrauch gemacht. 

Die Begräbnistosten sind durch besonderen Tarif geregelt. 

Die Zahl, Fläche und Benutzung der in Gebrauch befindlichen 
Friedhöfe ergibt folgende Tabelle: 



Friedhöfe 


Zahl 


F 
h 


lach 
a 


e 
qm 


Beerdigte Leichen 
Kinder Er- 
unter l-U wach- 
1 Jahr Jahren gene 


Stadt. Friedhöfe (paritätisch) . . 

Jüdische Friedhöfe 

Griechisch-katholischer Friedhof . 


2 
3 

1 


21 

1 


24 
51 


89 


444 
5 


154 
3 


888 

24 

4 


Zusammen . . 


6 
4 


22 

' 16 


75 
11 


89 

89 


449 


157 


916 


Hiervon ausser der Bauzone gelegen 




1522 





Die Beisetzung der Leichen geschieht auf dem städt. Friedhofe 
in unentgeltlichen Reihengräbem, wenn nicht Kaufgräber bezw. Grüfte 
erworben sind. Die Preise für die letzteren schwanken zwischen 
150, 300, 500 und 1200 M.; ausser den Kosten der Gruftmauerung. 
1906/07 wurden für 96260 M. Grabstellen verkauft. 

Die Belegungsfrist für die Reihengräber ist durch Nassauische 
Verordnung auf 20 — 25 Jahre festgelegt, unterliegt aber den jeweiligen 
genaueren Bestimmungen durch den Regierungs-Präsidenten. 

Die Benutzungsdauer für Kaufgräber beträgt 50 Jahre, nach 
•deren Ablauf neue Vereinbarungen zu treffen sind. 

Es wurden 1906/07 beigesetzt: 
in Reihengräbern für Erwachsene . . . 606 Leichen, 

„ i, y, Kinder 590 „ 

„ Kaufgräbern und Grüften 180 „ 

„ schon belegten Gräbern 110 „ 

Auf dem neuen Friedhof an der Platterstrasse befinden sich 
zwei Urnenhallen zur Aschenbeisetzung. 

Die kleinere, vom Verein für Feuerbestattung 1895 erbaut, 
bietet Platz für 60 Urnen und ist voll belegt. 

Die grössere ist von der Stadtgemeinde erbaut und bietet Platz 
für 512 Urnenkammern; sie ist seit 1902 in Benutzung. 



156 Bestattongswesen und Friedhöfe. 

Die Preise für einen Umenplatz, je nach Lage und Dauer^ 
schwanken zwischen 100 und 300 M. 

Im Jahre 1906/07 erfolgten 63 Äschenbeisetzungen; insgesamt 
bis Ende März 1907: 361. Die Feuerbestattung hier Verstorbener 
erfolgt meist in den zunächst gelegenen Krematorien: Mainz, Heidelberg» 
OfFenbach. 

Kreisärztliche Zeugnisse für Feuerbestattung wurden erteilt 1907: 
im Stadtkreis 103, im Landkreis 4. 

Der Rechnungsabschluss der Friedhofsverwaltung schliesst ab 
mit 75742 M. in Einnahme und 88441 M. in Ausgabe. 

Dem wachsenden Bedtirfiiisse entsprechend, war die Stadt 
gezwungen, neues Gelände für einen Friedhof zu erwerben. Es sind 
hierfür im Süden, zwischen Frankfurter Strasse und Mainzer Land- 
strasse ca. 255 000 qm angekauft worden (Tafel 44). 

Die Anlage ist soweit gediehen, dass mit der Belegung baldigst 
begonnen werden kann. Die Leichenhalle mit Zellen, Sektions- 
räumen etc. ist fertiggestellt. 

Durch Regierungs-Verfügung ist die Gräbergrösse für diesen 
neuen Friedhof etwas grösser als bisher üblich festgelegt worden^ 
und zwar: 

für Erwachsene 2,50 : 1,20 m = 3,00 qm, 

„ Kinder von 5—15 Jahren 2,00:1,10 „ =2,20 „ 
unter 5 Jahren . . 1,50 : 0,80 „ = 1,20 „ 
bei durchschnittlich 0,50 bezw. 0,30 m Zwischenraum und 1,80 bezw. 
1,40 m Tiefe. 

Nach diesen Maßen würde der neue Friedhof für etwa 25550 
Gräber für Erwachsene, 1870 für Kinder über 5 Jahre und 10900 für 
Kinder unter 5 Jahren Raum bieten und für etwa 25 Jahre ausreichen. 

Die Gesamtkosten sind zu über 2 Millionen Mark veranschlagt. 

Die Wiederbelegung der Reihengräber richtet sich nach der 
Bodenbeschaffenheit und dem Verlaufe des Verwesungsprozesses. Der 
letztere war bei einer versuchsweise erfolgten Ausgrabung auf dem 
neuen Friedhofe der Platterstrasse nach etwa 25 jähriger Belegdauer 
noch nicht soweit fortgeschritten, dass seitens der Kgl. Regierung 
die Erlaubnis zur Neubelegung erteilt werden konnte. 




Säd-f' 



Tafel 44. 




riedhof. 



öffentliches Desinfektionswesen und die Desinfektionsanstalt. 157 



6. Öffentliches Desinfektionswesen und 
die Desinfektionsanstalt. 

Von Oberingenieur Frensch. 

Die Ausführung der Desinfektionen geschieht nach Maßgabe 
der Bestimmungen des Gesetzes betreflPend die Bekämpfung über- 
tragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 durch die Desinfektions- 
Abteilung des städtischen Kanalbauamtes, das zu diesem Zweck über 
einen Oberdesinfektor und sechs Desinfektoren verfügt, die sämtlich in 
der Desinfektorenschule zu Frankfurt a. M. ausgebildet und staatlich 
geprüft sind. 

Die vortrefflichen Gesundheitsverhältnisse Wiesbadens, ins- 
besondere der nahezu völlige Mangel an ansteckenden Krankheiten, 
hätten an und für sich die Bereitstellung einer so verhältnismäßig 
grossen Anzahl an Desinfektoren nicht erforderlich gemacht, wenn 
man nicht bei der Bedeutung Wiesbadens als internationaler Kurstadt 
Wert darauf gelegt hätte, dem Auftreten aller nur denkbaren Möglich- 
keiten begegnen zu können. 

Die städtischen Desinfektoren — mit Ausnahme des in der 
öffentlichen Desinfektionsanstalt ständig anwesenden Desinfektors — 
sind darum auch nur verhältnismäßig wenig in Anspruch genommen 
und werden, wenn keine Desinfektionen vorliegen, anderweit beschäftigt. 

Die Anmeldung von Desinfektionen bei Privaten erfolgt in der 
Regel durch den Haushaltungsvorstand, und bei zwangsweiser An- 
ordnung der Desinfektion durch die Königliche Polizeidirektion nach 
vorheriger Anhörung des Kreisarztes.. 

Nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht über die im Jahre 
1906/07 ausgeführten Desinfektionen. 

Für diejenigen Personen und Haushaltungs vorstände, die von 
der Armenverwaltung dauernd unterstützt oder nach deren Gutachten 
als unbemittelt zu betrachten sind, wird die Desinfektion ganz bezw. 
teilweise gebührenfrei ausgeführt. Die erwachsenen Kosten werden 
aus der Kasse der Armenverwaltung vergütet. Diese Vergütungen 
werden nicht als Armenunterstützungen betrachtet. 



158 



öffentliches Desinfektionswesen und die Desinfektionsanstalt. 




Typhus 
Diphtherie 
Scharlach 
Masern 
Tuberkulose 
Lungenentzündung . 
Krebs 

Sonstige Krankheiten 
Zusammen 

Im Jahre 1906/07 betrugen die Gesamtausgaben 

für Desinfektionen 2020,80 M^ 

wovon auf Unterhaltung der Betriebsgeräte und Neu- 
beschaffung 255,20 „ 

entfallen, sodass 1765,60 M 

für die Ausführung der Desinfektionen in Betracht komanen. 

Hiemach wurde für eine Desinfektion im Durchschnitt verausgabt: 

1765,60 , ,^^^ 

— 1-?~ — = rund 10 M. 
1 /o 

Die Einnahme stellte sich insgesamt auf 2184 M. 

Die Desinfektion in den Wohnungen erfolgt unter Verwendung^ 
von Spray- und Verdampfungsapparaten, vermittelst derer Formal- 
dehyd durch Zerstäuben mit Wasserdampf aus der etwa 35 prozentigen 
Formaldehyd enthaltenden käufhchen wässerigen Formaldehydlösung 
entwickelt wird. 

Die Einwirkungsdauer der Formaldehyddämpfe in den gut 
abgedichteten und verschlossenen Räumen dauert 7 Stunden, nach 
welcher Zeit sämtliche Ansteckungskeime abgetötet sind. Zur Un- 
schädlichmachung der zur Verwendung gekommenen Formaldehyd- 
dämpfe, die auf die Schleimhäute der Luftwege, der Nase und der 
Augen stark reizend wirken, werden nach Ablauf der 7 Stunden 
etwa eine Stunde lang die Dämpfe einer 25 prozentigen Ammoniak- 
lösung in den Raum eingeleitet, worauf dieser ohne weiteres wieder 
benutzt werden kann. 

Da die Desinfektion mit Formaldehyddämpfen nur solche Krank- 
heitskeime abtötet, die den Oberflächen der in Betracht kommenden 



öffentliches Desinfektionswesen und die Desinfektionsanstalt. 159^ 

Gregenstände anhaften, so werden Bettwerk und sonstige, eine Tiefen- 
einwirkung der Desinfektion erfordernde .Gegenstände in den Dampf- 
Desinfektionsapparaten der öffentlichen Desinfektionsanstalt behandelt. 

Das letztere geschieht auch mit derartigen Gegenständen aus dem 
städtischen Krankenhause sowie bei den dort vorkommenden und die 
Desinfektion erforderlich machenden Krankheitsfällen, die übrigens 
in vorstehender tabellarischer Zusammenstellung nicht enthalten sind. 

Die Desinfektion in der Anstalt wird gewöhnlich mittelst ge- 
spannten strömenden Wasserdampfes von 103® C. ausgeführt. Für 
empfindliche Gegenstände, die diesem Hitzegrad nicht ausgesetzt 
werden dürfen, wie Pelzwerk, Lederzeug, bessere Kleidungsstücke 
und dergleichen, finden unter Vakuum erzeugte Formaldehyd- Wasser- 
dämpfe von 75 bis 80® C. Verwendung. 

Da die früher vorhandenen Einrichtungen zur Dampfdesinfektion 
den jetzigen Anforderungen nicht mehr in vollem Umfange genügten,, 
ist im Gelände des städtischen Krankenhauses, neben dem Kesselhaus, 
eine neue öffentliche Desinfektionsanstalt hergestellt und Ende 1907 
in Betrieb genommen worden. Bei der Anlage der Anstalt ist die 
Teilung in eine „unreine" Seite für mit Krankheitskeimen behaftete 
Gegenstände, und in eine „reine" Seite für die desinfizierten Sachen 
sowie für den Aufenthalt des Personals dienend, streng durchgeführt 
worden. Sowohl zwischen „reinem" und „unreinem" Hof als auch 
zwischen „reinem" und „unreinem" Desinfektionsraum ist wie die um- 
stehende Abbildung zeigt, die Trennung mittelst durchgehender 
Mauern hergestellt. In der Anstalt haben zwei Desinfektionsapparate 
von grossen Abmessungen Aufstellung gefunden, wovon der eine erst 
neuerdings beschafft und so eingerichtet ist, dass er den neuesten 
wissenschaftlichen Forschungen und Anforderungen auf dem Gebiete 
des Desinfektionswesens entspricht. Der vorhandene Raum genügt 
noch zur Aufstellung eines dritten, vorläufig aber noch nicht erforder- 
lichen Apparates. 

Die Apparate sind in der Trennwand zwischen „unreinem" und 
„reinem" Raum so eingebaut, dass sie in ersterem beschickt und in 
letzterem entladen werden können. Sämtliche Ventile, Abstellvor- 
richtungen usw. zur In- und Ausserbetriebsetzung der Apparate sind 
vom „reinen" Raum aus bedienbar. Durch diese Anordnung, die 
von den in anderen Orten bestehenden derartigen Anlagen abweicht, 
wird erreicht, dass zur Bedienung der Apparate nur ein Desinfektor 
erforderlich ist, während hierzu andernfalls deren zwei nötig wären.. 



160 öffentliches Desinfektionswesen und die Desinfektionsanstalt. 




Grün, IniFektionsspital. 161 

Die Wände und Decken der Apparate - Räume sowie der an- 
schliessenden Bade-, Umkleide- usw. Räume sind mit weissen, glasierten 
Steinen ausgekleidet und der Fussboden ist mit Platten belegt, sodass 
eine gründliche Säuberung der Räume täglich durch Abspritzen mit 
Wasser vorgenommen werden kann. Grosse Oberlichte in der Decke, 
sowie Fenster in zwei gegenüberliegenden Seitenwänden der sehr 
hohen und luftigen Apparate-Räume sorgen für ausreichendes Licht. 
Die Räume sind in zweckmäßiger Weise mit wirksamen Entlüftungs- 
vorrichtungen versehen. 

An die eigentlichen Desinfektionsräume schliessen sich die vom 
„reinen" Hof aus zugänglichen, aus Wagenschuppen, Chemikalien- 
raum, Aufbewahrungsraum, Trockenraum und Waschküche bestehenden 
Nebenräume an. 

In der Waschküche, wo sich ein grosser Dampf- Kochkessel 
befindet, werden die beim Abholen und Fortschaffen der Desinfektions- 
güter zum Verpacken erforderlichen Tücher und Hüllen, Anzüge der 
Desinfektoren usw., nachdem sie im Apparat desinfiziei*t sind, gereinigt 
und im anstossenden Trockenraum getrocknet und gebügelt. 

Die neue Desinfektionsanstalt vereinigt auf einem verhältnis- 
mäßig kleinen Flächenraum, der durch die beschränkten Platz- 
verhältnisse auf dem Krankenhausgelände bedingt war, alle der Neuzeit 
entsprechenden Einrichtungen in äusserst zweckmäßiger Weise und 
dürfte zur Zeit als eine der am besten eingerichteten öffentlichen 
Desinfektionsanstalten gelten. 

Die Herstellungskosten der Anstalt haben einschliessKch der 
Beschaffung eines neuen Desinfektionsapparates etwa 30 000 M. 
betragen. 



7. Infektionsspital. 

Von Stadtbauinspektor Grün. 



Ausserhalb der Stadt, an der Frankfurterstrasse, ist ein kleines 
Sonderkrankenhaus für epidemische Krankheiten errichtet worden. 

11 



162 



Grün, Infektionsspital. 



Dasselbe enthält über den Wirtschafts- und Personalräumen eine 
Quarantänestation mit 4 Betten. Die Anstalt kann im Bedarfsfall 
durch transportable Krankenbaracken erweitert werden (vergl. nach- 
stehende Abbildung). 




•t ^ 



^ 



n 





TTl 










3 


d 

D 3 


yi;;, 



! 

i 


1 ? 


s J^ 


^___,.^ 




J. Bevölkerungsverhältnisse, 

Von Dr. Rahlson, 
Leiter des Statistischen Amts der Stadt. 



Wiesbaden ist mit seinen am 1. Dezember 1905 gezählten 
100953 Einwohnern wohl die jüngste und kleinste, schwerlich aber 
die letzte der deutschen Grossstädte. Welche ihrer deutschen 
Schwestern vermag gleich wie sie eine die Einwohnerzahl (im 
Jahre 1907 105000) überragende Passantenziffer von rund 110000 
aufzuweisen und welche andere deutsche Grossstadt kann ausserdem 
etwa 2/3 ihrer Einwohnerzahl jährlich als Kurgäste (rund 70000) in 
ihren Mauern aufnehmen, darf sich also eines Gesamtfremdenverkehrs 
von fast dem Doppelten der ständig Ansässigen rühmen? Wohl 
hört man behaupten, Wiesbaden verdanke seine hohe Fremdenziffer 
hauptsächlich den glanzvollen Kaisertagen mit ihren einzigartigen 
Maifestspielen. Nun denn — sie sind es: glanzvoll und einzigartig, 
und wir freuen und rühmen uns dessen gern und sind die letzten, 
die ihre Zugkraft unterschätzen und sie missen möchten. Aber bot 
Wiesbaden vorher seinen Fremden nichts? Weshalb kamen bereits 
im Jahre 1867^), also über dreissig Jahre vor den Kaisertagen, 53000 
Fremde nach Wiesbaden, auch damals schon fast das Doppelte der 
Einwohnerzahl (30000) ausmachend? 

Bildet die Stadt darnach für die — sei es zur Linderung körper- 
licher, sei es zur Überwindung seelischer Schicksalsschläge — einen 
vorübergehenden Aufenthalts- und Erholungsplatz Suchenden einen 
starken Anziehungspunkt, so nicht minder für die nach getaner Lebens- 
arbeit — sei es der eigenen, sei es der der Altvordern — nach einem 
dauernden Ruhesitz Ausschau Haltenden. Daher konnte es konmien, 
dass Wiesbaden im 19. Jahrhundert einen ungeahnt schnellen Auf- 
schwung nahm, ohne auch nur ein einziges Mal eingemeindet zu haben. 
Und dabei hat es noch seine Vororte mit in die Höhe zu reissen, d. h. 
einen Teil von eigenem Fleisch und Blut abzugeben vermocht^). 



J) Für das Jahr 1867 liegt erstmalig eine verbürgte Fremdenziffer vor. 
i5) Vergl. Heft 1 der „Beiträge zur Wiesbadener Statistik^ Seite 5—8. 

11* 



164 



Rahlson, Bevölkerongsverhältnisse. 



Im Jahre 1807 noch wenig über 3000 Einwohner, war bereits nach 
sechzehn Jahren, im Jahre 1823, die erste Verdopplung vollzogen; 
nach weiteren siebzehn Jahren (1840) die zweite, nach vierundzwanzig 
Jahren (1864) die dritte, nach fünfzehn Jahren (1879) die vierte und 
nach fünfundzwanzig Jahren (1904) die fünfte. 



Jahr 


Einwohner 


1807 


3071 


1850 


13992 


1871 


35450 


1880 


50238 


1890 


64670 


1900 


86111 


1905 


100953 


1907 


105595 



Aus den vorstehenden Zahlen wird ersichtlich, dass Wiesbaden 
seit dem Jahre 1807 einen über 100000 Köpfe betragenden Zuwachs 
zu verzeichnen hat. Wie sich die in den Jahren 1818 — 1907, also in 
einem Zeitraum von 80 Jahren, 91353 Personen ausmachende Zu- 
nahme im einzelnen aus Geburten- und Wanderungsüberschuss 
zusammensetzt, ist in der folgenden Übersicht dargestellt. 





Geburten - 


Wanderungs- 


Gesamt- 


Geburten- 'Wanderungs- 


Zeitraum 


Übers 


chuss 


Zunahme 


Überscbuss 






a) absolut 




b) prozentual 


1818-1820 


160 


362 


1 

522 


30,65 


69,35 


1821-1830 


646 


1897 i 


2 543 


25,40 


74,60 


1831-1840 


550 


3178 


1 3 728 


14,75 


85,25 


1841-1850 


910 


1473 , 


2 383 


38,19 


61,81 


1851-1860 


798 


3 573 1 


4 371 


18,26 


81,74 


1861-1870 


2182 


11151 ■ 


13 333 


16,37 


83,63 


1871—1880 


5 203 


9 585 


1 14 788 


35,18 


64,82 


1881—1890 


3 740 


9 690 ' 


! 13 430 


27,85 


72,15 


1891-1900 


6 699 


12 951 


' 19 650 


34,09 


65,91 


1901-1907 


5 491 


11114 ! 


16 605 


33,07 


66,93 


1818-1907 


26 379 


64 974 


91353 


28,88 


71,12 



64974 Personen, also 71 ^/o, entfallen auf Zugewanderte und nur 
26379 (29 ^/o) kommen auf den natürlichen Geburtenüberschuss. In 



Rahlson, Bevölkerungsverhältnisse. 165 

den Jahren 1818 — 1820 betrug der Wanderungsüberschuss 69 ^/q der 
Gesamtzunahme, stieg in dem darauffolgenden Jahrzehnt auf 74 ^/^ und 
erreichte in den Jahren 1831 — 1840 mit 85 ^/q eine Höhe, die bisher 
nicht wieder festgestellt werden konnte. 1841 — 1850 waren es nur 
62 ^/o; es ist dies die niedrigste Ziffer. 1851 — 1860 betrug der 
Wanderungsgewinn wieder 82 ^/^ , stieg im darauffolgenden Jahrzehnt 
auf 84®/o, um in dem nächsten Dezennium wieder auf 65 '^/q zu 
sinken. In den Jahren 1881 — 1890 ist ein erneuter Aufschwung auf 
72 ^/q zu verzeichnen, der im letzten Jahrzehnt des vergangenen 
Jahrhunderts auf 66 ^/q sank und sich in den ersten Jahren des 
20. Jahrhunderts mit 67 ^/^ nur wenig darüber erhob. 

45360 von den am 1. Dezember 1905 vorhandenen 100953 Ein- 
wohnern waren männlichen und 55 593 weiblichen Geschlechts, so dass 
das letztere um 10233 überwog. Dieser starke Anteil des weiblichen 
Geschlechts mit 55 ^/^ der Gesamtsumme ist bereits seit dem Jahre 
1871 (53,4 ^/o) vorhanden; mit jenen 55 ^/^ steht Wiesbaden an der 
Spitze unter den 58 grössten deutschen Städten. Es folgen Schöneberg 
mit 54,5 ^/o, Breslau mit 54,4%, Charlottenburg mit 54,2% u. s. f. 
In dem benachbarten Frankfurt a. M. sind es 51,4 und in der Reichs- 
hauptstadt 51,7 ^/q. Der Grund für dieses starke Überwiegen des 
weiblichen Geschlechts dürfte einmal in der grossen Dienstbotenzahl 
liegen, die einschliesslich des weiblichen Hotel- und Pensionen- 
personals etwa 8000 beträgt, und ferner darin, dass Wiesbaden mit 
Vorliebe von einzelstehenden Frauen als Ruheplatz aufgesucht wird. 

Die Altersgruppen sind seit dem Jahre 1895 ohne wesentliche 
Verschiebungen geblieben. Sowohl bei dem männlichen wie bei dem 
weiblichen Geschlecht steht an erster Stelle die Altersgruppe von 
15 bis 30 Jahren mit 32 bezw. 34 ^/q. Die erste Altersgruppe von 
bis 15 Jahren ist bei dem männlichen 28 und bei dem weiblichen 
mit als Folge der stets geringeren Zahl der Mädchengeburten nur 
23 °/q. Die nächststärkste Gruppe ist die von 30 bis 45 Jahren mit 
22 ^Iq bei beiden Geschlechtern. Hieran schliesst sich mit 12 bezw. 
13^/q die Gruppe von 45 bis 60 Jahre und endlich mit 7 bezw. 8 ^/q 
die der über 60 Jahre Alten. 

Scheidet man die ganze Bevölkerung in zwei Hauptgruppen von 
unter und über 20 Jahre alt, so ergeben sich für die erste Gruppe 
35244 und für die zweite Gruppe 65 709 Einwohner. 

Wie die umstehende Tabelle zeigt, sind insgesamt 35 815, also 
über Vs der Gesamteinwohnerschaft (35,48 ^/o), in Wiesbaden gebürtig. 



166 



Rahiso n, Bevölkerungsverhältnisse. 



Die BeYÖlkerang nach Alter und Gebttrtlgkeit 


am 1. 


Dezember 1905. 








Ein wohner 


Geboren in 


unter 2U Jahre 


über 20 Jahre 


insgesamt 




m. 


w. 


zus. 


m. i w. zus. 


in. w. 1 zus. 


a) Wiesbaden . . . 


11601 


11873 


I 
123474 


5164 


1 
6877 


12341 


17065 


18750 35816 


b) Sonst i. d. Prov. 
















' 


Hess.-Nass. . . 


2045 


2723 


4768 


9287 


12368* 


21655 


11332 


15091 II 26423 


c) i. jetz. Preuss. 






1 




|l 




1, 


Staat 


1034 


1351 


1 2385 


5796 


6997 1| 12793 


6830 


8348 1 15178 


1. In Preussen . . 


(14680) 


(15947)1(30627) 


(20547) 


(26242)' (46789) 


(35227) 


(42189^^77416) 


2. Anderedeutsche 










1 

1 








Bundesstaaten . 


1643 


1963 


3606 


6796 


89431 15739 


8439 


10906 


19345 


3. Deutsche 










1 




II 


Schutzgebiete . 


2 


2 


4 


— 


- ;, — 


2 


2" 4 


4. Ausserdeutsche 






1 






j 1 




europ. Staaten . 


323 


457 


780 


1194 


1556 II 2750 


1517 


2013 1 


3530 


5. Ausser europ. 










; 




1 




Staaten 


94 


133 


1 227 


80 


350/ 430 


174 ' 483 


657 


6. Auf See .... 


— 


— 


1 


1 


- 'i 1 


r — 


1 


7. Greburtsland un- 










;i 






bekannt 





— 


- 


— 


— il — 


— ! — 1 — 


Überhaupt . 


16742 


18502 


135244 


28618 


37091 j 


65709 


45360 


55593 1 


100953 



Unter 20 Jahre alt sind davon 23474, die von allen unter 
20 Jahre alten Einwohnern 66,6 ^/o bilden. Die über 20 Jahre alten 
in Wiesbaden Gebürtigen hingegen betragen nur 18,78 ^/^ aller über 
20 Jahre alten Einwohner. Während bei den unter 20 Jahre alten 
Eingeborenen das männliche und weibliche Geschlecht in gleicher 
Stärke vertreten ist, überwiegt bei den über 20 Jahre alten 12341 
Eingeborenen das weibliche Geschlecht um über 1200. 

Der Gebürtigkeit nach befinden sich in Wiesbaden 77416 
Preussen, 19345 Angehörige anderer deutscher Bundesstaaten; 3530 
Einwohner sind in ausserdeutschen europäischen, 657 in aussereuro- 
päischen Staaten, vier in deutschen Schutzgebieten und einer war 
auf See geboren. Von den 77 416 Preussen wiederum sind, wie 
erwähnt, 35815 geborene Wiesbadener und zwar verteilen sie 
sich fast gleichmäßig auf die beiden Geschlechter. 26423 stammen 
aus der Provinz Hessen-Nassau, hier überwiegt das weibliche Ge- 
schlecht (15091) das männliche (11332) erheblich. Der Rest von 
15178 aus anderen Teilen des preussischen Staates vei^teilt sich zu 
6830 auf das männliche und zu 8348 auf das weibliche Geschlecht. 



Rahlson, Bevölkerungsverhältnisse. 167 

Bei beiden Geschlechtem sind gleichmäßig fast 60 ^/(, ledig und 
zwar 26885 männliche und 33173 weibliche. Verheiratet sind bei 
den Männern 38 ^/q, bei den Frauen nur 31 ^/o- Verwitwet sind 
dort 3, hier hingegen 9^/o und geschieden 0,2 bezw. 0,4 ^/q. 

Die Wiesbadener Bevölkerung gehört zu ^/j der evangelischen 
und zu Vs der katholischen Konfession an mit 63,20 bezw. 32,49 ^Z^; 
1,47 ^/o sind andere Christen, 2,63 ^/^ Israeliten und 0,21 ^/^^ sonstige. 

Ausser 97267 deutschen Reichsangehörigen wurden am 
1. Dezember 1906 in Wiesbaden 3383 Reichsausländer, das sind 
3,65 ^Iq der Gesamtsumme, gezählt. Unter den letzteren waren 749 
Österreicher, 736 Russen, 502 Engländer, 395 Nordamerikaner, 287 
Holländer, 272 Schweizer, 214 Italiener und 115 Franzosen u. s. f. 
Ein nicht unerheblicher Teil dieser der Staatsangehörigkeit und meist 
auch der Gebtirtigkeit nach Fremden sind, da Wiesbaden auch Winter- 
kurort, nur vorübergehend anwesend. 

Die wichtigsten Ergebnisse aus der Bevölkerungsbewegung sind 
in der Tabelle auf Seite 168 niedergelegt. 

Die Geburtenziffer hat hiernach mit 23,5 auf 1000 Einwohner 
im Jahre 1907 einen Tiefstand erreicht, wie nie zuvor. Ein Rück- 
gang, der eine Folge des schnellen Anwachsens der Bevölkerungs- 
zahl ist. 

Auch die Sterbefälle weisen eine ständige Abnahme auf. 
Mit einer Sterblichkeitsziffer von 15,78 auf 1000 Einwohner steht 
Wiesbaden unter den deutschen Grossstädten mit an günstigster Stelle. 
Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass Wiesbaden einen Ring von 
Vororten mit insgesamt etwa 50000 Einwohnern hat und von diesen 
in ernsteren Krankheitsfällen wegen seiner zahlreichen grossen 
Krankenanstalten aufgesucht wird. So waren im Jahre 1907 unter 
den 185 ortsfremd Gestorbenen 49 aus dem Landkreise Wiesbaden. 
Ohne die Ortsfremden, deren Zahl im Jahre 1906 164 betrug, lautet 
die Sterbeziffer auf 1000 der mittleren Einwohnerzahl im Jahre 1906 
nur 14,04 und im Jahre 1907 nur 14,01. 

Der Unterschied der Bevölkerungsbewegung in der Grossstadt und 
in den Vororten wird aus der ersten Tabelle auf Seite 169 ersichtlich, 
die die Bewegung in den Vororten, in der Stadt und in der mit den 
Vororten vereinigten Stadt zeigt. Berücksichtigt sind hier die Vororte 
Biebrich, Bierstadt, Dotzheim, Erbenheim, Schierstein, Sonnenberg 
und in den Jahren 1906 und 1907 auch Rambach. 



168 Rahlson, Bevölkerungsverhältnisse. 

Oebarten und SterbefWe in den Jahren 1820— 1907. 





(U 


burt en 


Sterb 


efälle 


Geburten 


Sterbe- 
fälle 


Sterbefälle 
von 






1 








(einschl. 

Tot- 
geburten) 


(ausschl. 


Kindern 


Jahr 




j davon 


ins- 
gesamt 


darunter 

TT" 1 


Tot- 
geburten) 


unter 
1 Jahr auf 




ins- 


'Lebend- 


Tot- 


(ohne 


Kmder 






100 




gesamt 






Tot- 


unter 






Lebend- 






Geburten 


geburten) 


1 Jahr 


auf 1000 Einwohner 


geborene 


1820 


232 


222 


10 


156 




43,92 


29,53 




1830 


301 


284 
365 


17 


196 




37,85 


24,64 


. 


1840 


380 


15 


287 




32,62 


24,64 




1850 


485 


459 


26 


419 




34,78 


30,04 




1860 


521 


1 501 


20 


398 




28,27 


21,33 


. 


1870 


1141 


i 1094 


47 


780 


188 


35,63 


23,40 


17,18 


1880 


1543 


1489 


54 


944 


248 


31,14 


18,97 


16,66 


1881 


1494 


1446 


48 


981 


278 


29,44 


19,33 


19,28 


1882 


1490 


1416 


74 


1072 


242 


28,79 


20,71 


17,09 


1883 


1406 


1331 


75 


937 


220 


26,64 


17,75 


16,53 


1884 


1419 


1346 


73 


1010 


259 


26,36 


18,76 


19,24 


1885 


1477 


1407 


70 


1291 


269 


26,90 


23,51 


19,12 


1886 


1490 


1426 


64 


1033 


273 


26,46 


18,34 


19,14 


1887 


1573 


1510 


63 


1042 


259 


27,08 


17,94 


17,15 


1888 


1594 


1528 


66 


1152 


264 


26,61 


19,23 


17,28 


1889 


1608 


1554 


54 


1071 


274 


26,03 


17,34 


17,63 


1890 


1738 


1670 


68 


1305 


290 


27,29 


20,49 


17,37 


1891 


1842 


1 1790 


52 


1223 


292 


28,09 


18,65 


16,31 


1892 


1889 


1840 


49 


1325 


336 


28,03 


18,66 


18,26 


1893 


1985 


1907 


78 


1455 


359 


28,67 


21,01 


18,83 


1894 


2037 


1966 


71 


1226 


304 


28,62 


17,31 


15,46 


1895 


2082 


1991 


91 


1317 


383 


28,47 


17,94 


19,24 


1896 


2061 


1975 


86 


1273 


293 


27,36 


16,90 


14,84 


1897 


2133 


2061 


72 


1296 


339 


27,34 


16,61 


16,45 


1898 


2290 


1 2226 


64 


1397 


412 


28,39 


17,32 


18,51 


1899 


2145 


! 2068 


77 


1307 


300 


25,91 


15,79 


14,59 


1900 


2284 


; 2208 


76 


1514 


369 


26,86 


17,81 


16,71 


1901 


2403 


2325 


78 


1402 


328 


27,33 


15,95 


14,11 


1902 


2389 


2308 


81 


1509 


338 


26,33 


16,63 


14,64 


1903 


2335 


2263 


72 


1601 


396 


25,02 


17,15 


17,50 


1904 


2509 


2439 


70 


1642 


350 


25,97 


17,00 


14,35 


1905 


2535 


2444 


91 


1708 


383 


25,40 


17,11 


15,67 


1906 


2568 


2468 


100 


1601 


372 


25,10 


• 15,65 


15,07 


1907 


2460 


' 2356 

1 


104 


1649 


356 


23,54 


15,78 


15,11 



R a h 1 s o n , Bevölkerungsverhältnisse. 



169 



Auch für Wiesbaden gilt darnach der Satz, dass durch eine 
Eingemeindung die Geburts- und Sterbeziffern günstig beeinflusst 
werden. Ob die Verhältnisse, ^bald die eingemeindeten Teile völlig 
grossstädtischen Charakter angenommen haben, wieder die alten sein 
werden, muss die Zukunft lehren. 



1 


In 


In 


In 


1 
Jahr] 


den sieben 
Vororten 
zusammen 


1 
1 


G 


den sieben 
Vororten 
zusammen 


1 
1 


G 
' 'S 


den sieben 
Vororten 
zusammen 




G 


entfielen auf 1000 Einwohner 

Geburten (einschliesslich 

Totgeburten) 


starben von 
1000 Einwohnern 


entfielen auf 100 Lebend- 
geborene Sterbefälle im 
ersten Lebensjahre 


1900 


38,58 


26,86 


29,94 


17,20 


17,85 


17,65 


16,11 


16,80 


16,51 


1901 


41,04 


27,33 


30,97 


15,07 


15,95 


15,71 


12,25 


14,11 


13,45 


1902 37,09 


26,33 


29,22 


15,17 


16,63 


16,24 


15,40 


14,95 


14,90 


1903'' 36,92 25,02 


28,25 


17,48 


17,15 


17,24 


16,40 


17,28 19,95 


190411 37,98 


25,97 


29,26 


15,54 17,00 


16,60 


16,27 


14,22 


15,04 


1905'! 36,08 


25,40 


28,35 


16,67 i 17,11 


16,99 


14,96 


15,63 


15,42 


1906 1 37,57 


25,10 


28,66 


13,66 i 15,65 


15,06 


11,60 


15,07 


13,75 


1907 


36,69 


23,54 


26,98 


13,63 


15,78 


14,98 


13,58 


15,11 


14,52 



Die bereits erwähnte Säuglingssterblichkeit ist nachstehend nach 
Monaten berechnet; während der Jahresdurchschnitt im allgemeinen 
etwa 15 Sterbefälle von Kindern unter 1 Jahr auf 100 Lebend- 
geborene beträgt, steigert sich diese Ziffer in den Sommermonaten 
Juni bis September ganz erheblich. 

Sterbefälle Ton Kindern nnter 1 Jahr auf 100 Lebendgeborene. 



Monat 


1893 


1894 


1895 


1896 


1897 


1898 


1 
1899 1900 

1 


Januar 
Februar 
März . . 
April . 
Mai . . 
Juni . . 
Juli . . 
August 
Septemb 
Oktober 
Novemb< 
Dezembe 


er . . 

jr . . 
r . . 


. 17,28 
9,42 
. 10,50 
. 16,77 
. 21,89 
. 29,75 
. 40,48 
. 19,61 
. 13,75 
. 12,75 
. 20,36 
. 10,88 


11,24 
15,38 
16,97 
8,75 
12,88 
16,67 
29,09 
20,26 
12,87 
12,79 
13,29 
15,61 


12,58 
9,66 
17,03 
19,50 
15,23 
27,81 
32,42 
19,19 
29,30 
17,82 
16,67 
13,86 


10,17 

12,06 

7,98 

9,79 

17,80 

27,97 

25,93 

19,43 

20,69 

7,10 

8,72 

11,04 


15,03 
8,70 
14,11 
11,05 
14,79 
22,99 
22,75 
29,12 
13,68 
15,43 
11,95 
15,49 


8,59 
12,20 
17,59 
14,36 
15,82 
14,06 
13,99 
40,28 
41,86 
15,20 
17,22 

8,94 


16,77 
10,13 
12,43 
12,71 

7,06 
13,56 
25,77 
23,93 
18,56 
10,67 

9,20 
11,76 


16,17 
14,59 
12,44 

7,58 
11,94 
23,31 
35,35 
26,15- 
18,85 
12,2a 

8,77 
12,35 


Jahr . . 




. 18,82 


15,46 


19,24 


14,84 


16,45 


18,51 


14,51 


16,71 



170 Rahlson, Bevölkerungsverhältnisse. 

Noch: Sterbefälle von Kindern unter 1 Jahr auf 100 Lebendgeborene. 



Monat 


1901 


1902 


1903 


1904 


1905 


1906 


t907 


1908 


Januar . . . 
Februar. . . 
März .... 
April .... 

Mai 

Juni 

Juli 

August . . . 
September . 
Oktober . . 
November . 
Dezember . 


. . 13,53 

. . 8,79 
. . 8,29 
. . 11,89 
. . 13,17 
. . 17,86 
. . 28,06 
. . 26,70 
. . 10,61 
. . 7,65 
. . 11,32 
. 10,00 


15,66 

16,93 

10,64 

14,43 

9,66 

9,47 

22,22 

26,16 

18,52 

9,95 

8,24 

15,31 


13,11 
17,37 
15,43 
17,19 

8,76 
18,56 
26,61 
32,23 
18,64 
16,11 

9,09 
12,02 


11,11 

6,39 

11,06 

12,02 

8,64 

11,79 

32,70 

32,74 

12,95 

12,37 

9,94 

11,05 


10,10 

11,22 

8,93 

8,54 

11,71 

13,51 

44,93 

32,58 

13,22 

10,55 

6,15 

11,06 


9,86 
13,86 
14,36 
11,95 

7,23 
13,21 
13,41 
30,94 
28,86 
19,25 

8,65 
13,02 


8,74 

9,62 

8,56 

11,49 

12,86 

4,44 

14,22 

27,94 

33,69 

22,97 

15,34 

12,50 


13,51 
10,00 
12,66 
11,17 
16,98 
11,43 
17,14 


Jahr 


. 14,11 


14,64 


17,50 


14,35 


15,67 


15,07 


15,11 





Die verschiedenartige Gestaltung der Sterblichkeitsziffer der 
•ehelichen und unehelichen Kinder wird für das Jahr 1907 an den 
folgenden Zahlen gezeigt: 

Die Sterblichkeit der ehelichen und aaehelichen Kinder unter 1 Jahr. 



Todesursache 


Ehelich 


Unehelich 


Insgesamt 


Auf 100 Lebend- 
geborene entfallen 
Sterbefälle 




1 
m. w. 


zus. 


m. 


w. jzus. 


m. 


w. 


1 
jzus. 


ehel. 


unehel.i zus. 

1 


Angeborene Lebens- 
schwäche .... 


1 

1 

28 24 


52 


5 


3 


8 


33I 27 


60 


2,51 


2,80 


2,55 


Lungenentzündung . 


19' 12 

1 


31 


3 


7 


10 


22j 19 


41 


1,50 


3,50 


1,74 


Krankheiten d.Nerven- 
systems(ausschl. Ge- 
hirnschlag .... 


1 

1 ; 

22 15! 

1 1 


37 


4 


1 


5 


26 


16 


« 


1,79 


1,74 


1,78 


Magen- und Darm- 
katarrh 


61 


41 


102 


22 


10 


32 


83 


51 


134 


4,92 


11,19 


5,69 


Anders benannte 
Todesursachen . . 


38 29 


67 


10 


2 


12 


48 


31 


1 79 


3,24 


4,20 


3,35 


Summe . 


168 


121 


289 


44 


23 


67 


212 


144 


|356 

1 


13,96 


23,43 


15,11 



Rahlson, Bevölkerungsverhältnisse. 



171 



Während von 100 ehelichen Lebendgeburten 14 eheliche Kinder 
sterben, sind es bei den unehelichen 23. Unter den einzelnen Todes- 
ursachen macht sich dieser Unterschied am stärksten bei dem Magen- 
und Darmkatarrh geltend, der dort 5, hier ll®/o der Opfer fordert. 
Ahnlich ist es bei der Lungenentzündung, dort 1,5, hier 3,5 ^/q. 

Der Anteil der unehelichen sowie der Totgeburten an der 
Oesamtzahl der Geburten geht für die Jahre 1880 bis 1907 aus der 
nächsten Tabelle hervor. Wesentliche Schwankungen sind darin 
nicht enthalten. Im Jahre 1907 sind es dort 12,1, hier 4,4 vom 100. 







Auf 100 sämtl. Lebendgeburten kamen 


Jahr 


Uneheliche 

1 
Lebendgeburten | 

1 


uneheliche 
Lebendgeburten 


Totgeburten 


1880 


157 


10,54 


3,63 


1881 


141 


9,75 


3,32 


1882 


140 


1 9,89 


5,23 


1883 


187 


10,29 


5,63 


1884 


108 


8,02 


5,42 


1885 


119 


8,46 


4,98 


1886 


121 


8,49 


4,49 


1887 


129 


8,54 


4,17 


1888 


143 


9,36 


4,32 


1889 


158 


10,17 


3,47 


1890 


175 


10,48 


4,07 


1891 


168 


9,11 


2,91 


1892 


161 


8,75 


2,66 


1893 


198 


10,38 


4,09 


1894 


171 


1 8,70 


3,61 


1895 


190 


1 9,54 


4,57 


1896 


187 


; 9,47 


4,35 


1897 


239 


11,60 


3,49 


1898 


248 


' 11,14 


2,88 


1899 


242 


11,70 


3,72 


1900 


219 


9,92 


3,44 


1901 


235 


10,11 


3,35 


1902 


251 


10,88 


3,51 


1903 


257 


11,36 


8,18 


1904 


308 


1 12,63 


2,87 


1905 


245 


10,02 


8,72 


1906 


255 


10,38 


4,05 


1907 


286 


; 12,14 


4,41 



172 



R a h 1 s o n , Bevölkerungsverhältnisse. 



Nachstehend sind die gesamten Sterbefälle für die Jahre 1880 
bis 1907 nach den wichtigsten Todesursachen geschieden und auf 
1000 Einwohner der mittleren Bevölkerung berechnet. 

SterbefäUe nach Todesarsaehen. 





Sterbefälle 


Todes- 
















1 












ursachen 


1880 1885 1890 1895 1900 1905jl907 


1880 1885 1890 1895 1900 1905 


190T 




absolut 


auf 1000 Einwohner 


Übertragb. 


























Krankh. . . 


25 


143 


49 


46 


84 


93 


57 


0,50 


2,60 0,77 


0,63! 0,99 


0,93 


0,54 


davon: 


















! 








Masern . . 


3 


68 


6 


— 


11 


10 


2 


0,06 


1,24 0,09 


- ' 0,13 


0,10 


0,0^ 


Scharlach . 


9 


3 


~ 


2 


4 


27 


2 


0,18 0,05 - 


0,03. 0,05 


0,27 0,02 


Diphtherie 
















i 1 


1 






u. Krupp . 


4 


10 


25 


19 


16 


9 


27 


0,08 


0,18 0,39 


0,26 


0,19 


0,09 


0,26 


Keuchhust. 


1 


2 


7 


6 


13 


13 


5 


0,02 


0,04 0,11 


0,08 


0,15 


0,13 


0,05^ 


Grippe 




























(Influenza) 


. 


. 


^ 


. 


31 


20 


15 




• 1 • 


. ; 0,36 


0,20 


0,14 


Kindbett- 
















1 

1 










fieber . . . 


2 


1 


4 


1 


3 


3 


1 


0,04 


0,02 0,06 


0,01 


0,04 


0,03 


0,01 


Typhus . . 


6 


59 


7 


18 


6 


11 


5 


0,12 


1,07 0,11 


0,25 


0,07 


0,11 


0,05- 


Lungen- 




























schwinds. . 


172 


213 


188 


153 


149 


165 


152 


3,47 


3,88 2,95 


2,09' 1,75 


1,65 


1,45 


Lungenentz. 


91 


141 


152 


141 


180 


173 


150 


1,84 


2,57 2,39 


1,93 2,12 


1,73 


1,44 


Hirnschlag . 


66 


77 


81 


75 


67 


49 


51 


1,33 


1,40 1,27 


l,03j 0,79 


0,49 


0,49^ 


Krebs u. and. 


























Neubild. . . 


41 


47 


59 


60 


86 


124 


135 


0,83 


0,85 0,93 


0,82 1,01 


1,24 


1,29 


Magen- und 


























Darmkatarrh, 


















1 


i 






Brech- 
















1 








durchfall . 


45 


35 


43 


104 


104 


150 


118 


0,91 


0,64' 0,68 


1,42 


1,22 


1,50: 1,13- 


Gewalts.Tod 


25 


19 


23 


27 


37 


61 


67 


0,50 


0,35 0,36 


0,37 


0,44 


0,61 


0,64 


davon : 




























Selbstmord 


14 


11 


14 


11 


19 


33 


37 


0,28 0,20| 0,22 


0,15 0,22 

1 


0,33 


0,35 


Alle übrigen 
















i 








Krankh. . . 


479 


616 


710 


711 


807 


893 


919 


9,67 11,22 11,14 


9,72 9,49 


8,95 8,79» 


Überhaupt 


944 


1291 


1305 


1317 


1514 


1708 


1649 


19,05 


23,51 '20,49 


18,01 


17,81 


17,11 


15,78 



Einen erfreulichen Rückgang zeigt die Lungenschwindsucht von 
3,5 ^/oo im Jahre 1880 auf 1,5 ^/qq im Jahre 1907. Dagegen ist der 
Krebs sowohl absolut wie pro Mille der Bevölkerung in stetigem 
Steigen begriffen. 



K. Wohnungsverhältnisse. 

Von Dr. Baklson, 

Leiter des Statistischen Amts der Stadt. 



Das Gesamtareal der Stadt Wiesbaden betrug am 1. April 1908 
3607 ha, wovon 1586 ha auf Waldungen, 25 ha auf Parkanlagen und 
232 ha auf Wege, Strassen u. dergl. entfallen, 22 ha nehmen die 
Begräbnisplätze ein, 40ha Eisenbahnen und 36 ha Exerzierplätze; 
9 ha sind Wasserflächen; 1280 ha stehen der Bebauung noch oifen 
und 377 ha sind bereits bebaut. Da zu dem gleichen Zeitpunkt in 
Wiesbaden rund 106000 Einwohner waren, so entfallen auf 1 ha 
des Gesamtareals 29 Einwohner und auf 1 ha des bebauten Bau- 
terrains 281 Einwohner. Diese Ziffer lautete im Jahre 1880 256, im 
Jahre 1900 278 und im Jahre 1905 284. 

Einen Vergleich mit 46 anderen deutschen Städten gestattet 
folgende Tabelle: 

Wohndichtigkeit in 40 deutschen Städten im Jahre 1905. 





Einw. 






Einw. 






Einw. 


Stadt 


auf 1ha 
Hof- 
raum 




Stadt 


auf 1ha 
Hof- 
raum 




Stadt 


auf 1ha 
Hof- 
raum 


1. Zwickau . . . 


124 


17. 


Dortmund . . 


257 


33. 


Posen . . . 


352 


2. Braunschweig. 


153 


18. 


Düsseldorf . 


260 


34. 


Duisburg . . 


353 


3. M.-Gladbach . 


184 


19. 


Halle a. S. . 


262 


35. 


Aachen . . 


362 


4. Potsdam . . 


195 


20. 


Mannheim 


265 


36. 


Altona . . . 


365 


5. Nürnberg . . 


196 


21. 


Chemnitz . . 


267 


37. 


Stettin . . . 


366 


6. Bochum . . . 


211 


22. 


Magdeburg . 


277 


38. 


Görlitz . . . 


375 


7. Freiburg i. B. . 


219 


23. 


Frankfurt a.M. 


280 


39. 


Hamburg . . 


378 


8. Erfurt . . . 


220 


24. 


Danzig . . . 


282 


40. 


Charlotten- 




9. Mülhausen i. E. 


228 


25. 


Wiesbaden . 


284 




burg . . . 


408 


10. Lübeck . . . 


228 


26. 


Barmen . . 


293 


41. 


Breslau . . 


430 


11. Gelsenkirchen. 


235 


27. 


Liegnitz . . 


300 


42. 


Königsberg 




12. Darmstadt . . 


238 


28. 


Essen . . . 


307 




i. Pr. . . . 


447 


13. Karlsruhe . . 


243 


29. 


Cassel . . . 


308 


43. 


Metz . . . 


478 


14. Spandau . . 


246 


30. 


Elberfeld . . 


313 


44. 


Schöneberg . 


G23 


15. Krefeld . . . 


250 


31. 


Cöln a. Rh. . 


321 


45. 


Mainz . . . 


698 


16. Strassburg i. E. 


254 


32. 


Kiel .... 


328 


46. 


Berlin . . . 


738 



174 Eahlson, Wohnungsverhältnisse. 

Danach steht Wiesbaden mit nur 284 Köpfen auf 1 ha bebaute 
Fläche weit unter dem 334 betragenden Durchschnitt sämtlicher 
Städte. Die Höchstziflfern erreichen Berlin mit 733, Mainz mit 698 
und Schöneberg mit 623, die niedrigsten Ziffern Zwickau und Braun- 
schweig mit 124 bezw. 153 Einwohnern auf 1 ha bebaute Fläche- 
Auf ein bewohntes Grundstück entfielen am 1. Dezember 1905 
23 Bewohner. In der Innenstadt beträgt die Behausungsziffer nur 22,. 
ein im Verhältnis zur geschlossenen Bebauungsart niedriger Stand,, 
der teils auf die im Werden begriffene Citybildung, das ist die im 
Stadtinnem sich vollziehende Verdrängung der Wohnhäuser durch 
Geschäftshäuser, teils auf die noch vorhandenen kleinen Häuser zurück- 
zuführen ist. In den Hauptwohnvierteln' West- und Dotzheimer-Bezirk 
entfallen 37 und 34, in den Villenvierteln dagegen nur etwa 
10 Bewohner auf 1 bewohntes Grundstück. Dem zur Befriedigung 
des Wohnbedürfoisses notwendigen Spielraum für Um- und Zuzüge,, 
der im allgemeinen mit 3^/^ leerstehender Wohnungen vom Gesamt- 
bestand als genügend erachtet wird, ist in Wiesbaden reichlich 
Rechnung getragen. Nach der im Oktober 1907 durchgeführten 
Wohnungszählung stehen von 26680 vorhandenen Wohnungen 2022, 
also 7,6 ^/o leer. Über die Lage, Grösse und Preise dieser Wohnungen 
liegen die Ergebnisse noch nicht vor. 

Infolge des erwähnten schnellen Anwachsens der Bevölkerungszahl 
trat vorübergehend mangels geeigneter lokaler Verkehrsmittel eine^ 
Verteuerung des Wohnungsmarktes und gleichzeitig Mangel an ge- 
eigneten kleineren Wohnungen ein. So mussten in einigen älteren 
Strassen des Stadtinnern Zustände in die Erscheinung treten, die eine 
Abstellung forderten. Bei Betrachtung dieser Verhältnisse, insbesondere 
aber bei einem Vergleich mit anderen Städten darf nicht ausser Acht 
gelassen werden, dass derselbe Raum, der in einem grossen kasernenartig 
gebauten Häusermeer der Grossstadt gänzlich ungenügend, ja gesundheits- 
schädlich ist, dort völlig einwandsfrei sein wird, wo für die ungehinderte 
Zufuhr frischer Berg- und Waldesluffc gesorgt werden kann. Dass 
diese Aufgabe mit Erfolg durchgeführt ist, wurde bereits auf Seite 96 
und 97 dieser Schrift an der Anlage der Mauritiusstrasse, der Durch- 
führung der Langgasse bis zur Taunusstrasse usw. gezeigt. Trotz 
dieser günstigen Luffcverhältnisse unserer Stadt haben es sich die 
städtischen Kollegien nicht nehmen lassen, für Wiesbaden als eine 
der ersten preussischen Städte eine Wohnungsinspektion einzu- 
führen. Diese, durch Gemeindebeschluss vom 16. Mai 1902 angeordnet, 
wird durch einen bausachverständigen Gemeindebeamten unter Teil- 



Rahlson, Wohnungsverhältnisse. 175* 

nähme und Aufsicht der städtischen Gesundheitskommission (siehe 
Seite 141) ausgeübt. Die Dienstanweisung verlangt eine Kontrolle 
der bestehenden polizeilichen Vorschriften über Beschaffenheit und 
Benutzung der Wohnungen, Beobachtung aller in hygienischer, sitt- 
licher und sozialer Hinsicht etwa bestehenden Misstände sowohl auf 
behördliche Anweisungen wie auf privates Ersuchen seitens der 
Mieter oder Vermieter, Einwirkung und Ratschläge zur Beseitigung 
dieser Mängel usw. Zur Besichtigung gelangten 1906/07 etwa 200 
Wohnungen. Vorgefundene Misstände wurden in 120 Fällen voll- 
ständig, in 8 teilweise beseitigt, 17 mal waren Schäden in Klosett- 
und Kanalanlagen durch das Kanalbauamt abzustellen; 5 mal wurden 
Desinfektionen vorgenommen. 

Ungenügende Raum Verhältnisse gaben in 15 Fällen Veranlassung 
zur Beschaffung von anderen Wohnungen. Zwangsräumung erfolgte 
vorübergehend 12 und dauernd 14 mal. 

In einer Hinsicht bedarf allerdings die Wohnungsinspektion 
noch der Erweiterung, nämlich hinsichtlich der Überwachung des 
annähernd 3000 Schlafgänger umfassenden Schlafstellenwesens, das 
eine Fülle hygienischer und sittlicher Schäden mit sich bringt. 

Ein weiterer wesentlicher Faktor in der Wohnungsfürsorge liegt 
in der zielbewussten Ausgestaltung der lokalen Verkehrsverhältnisse. 
Das in den Händen einer Aktiengesellschaft liegende Strassenbahn- 
netz hat bereits eine Länge von 44 km, davon liegen 23 km innerhalb 
der Stadt. Dazu kommt noch eine städtische Linie mit einer Gesamt- 
länge von 3,2 km (2 km davon innerhalb der Stadt). Der Bau einer 
zweiten städtischen Linie wird demnächst in Angriff genommen. 
Der Einheitstarif von 10 Pfennig besteht noch nicht. 

Auch die Errichtung von städtischen Arbeiterwohnhäusern ist 
mit Erfolg in Angriff genommen worden. Von den 64 in zwei Häuser- 
blocks mit 11 00 qm Baufläche vorhandenen Wohnungen (56 von 2 
und 8 von 3 Zimmern nebst Nebenräumen) sind 49 (42 bezw. 7)> 
vermietet. Ausserdem stehen den Bewohnern vor und hinter den 
Häusern 49 Hausgärten von durchschnittlich 75 bis 85 qm, sowie in 
nächster Nähe der Häuser 11 Teilungen Ackerland von etwa je 
480 qm Grösse zur Verfügung. 

Aber nicht nur den Bewohnern ihrer Arbeiterhäuser gibt die 
Stadt Gelegenheit zur Betätigung und Erholung in freier Luft bei 
Feld- und Gartenarbeit, sondern auch den übrigen Einwohnern ist 
durch die Errichtung sogenannter Schrebergärten hierzu die Möglich- 



176 Rahlson, Wohnungsverhältnisse. 

keit geboten. Zur Zeit bestehen in den äusseren Stadtbezirken 
63 solcher Gärten von je 150 bis 250 qm Flächenraum, die zu einem 
jährlichen Preis von 12 bis 30 Mark einschliesslich Wassergeld ver- 
pachtet werden. 

Nach alledem hat die Wiesbadener Stadtverwaltung ein oflfenes 
Auge für die Bedürfnisse der Allgemeinheit, insbesondere soweit sie 
«ich auf die öffentliche Gesundheitspflege beziehen. Die vorstehenden 
Arbeiten dürften den Beweis erbracht haben, dass die einzelnen Ver- 
waltungszweige nicht ohne Erfolg jeder in seiner Art an dem Ge- 
deihen der Stadt mitarbeiten. Nicht nur flir die mannigfaltigen Be- 
dürfiiisse der Wohlhabenden und Kurgäste ist gesorgt, sondern auch 
die gesamte Bürgerschaft hat sich einer treuen Fürsorge seitens der 
städtischen Verwaltung zu ei-freuen. 



This book should be rettu-oed to 
tti© Iiibrary on or befor© the last date 
stamped below. 

A fine of üve oents a day Ib incurred. 
by retaining it beyond the apeciflöd 
time, 

Please return promptly.